David Marton war auf dem besten Weg, klassischer Pianist zu werden. Mit Monteverdi zeigt er jetzt am Thalia, was stattdessen so alles möglich ist.
Hamburg. Als Tonträger wäre die Thalia-Probebühne in der Gaußstraße ein zusammengewürfeltes Mixtape. Dekorativ zugerümpelt ist sie; vorne links steht ein antikes E-Piano, hinten rechts frickelt einer der Musiker an einem Synthesizer herum, über die Sitzgruppe im Vordergrund sind Vinyl-Platten verstreut, von Chopin mit Pollini bis zum zweiten Album von Whitney Houston. Klassiker also, wohin man blickt.
Dass diese krausen Zutaten tatsächlich zu einer Auseinandersetzung mit Monteverdis Spätrenaissance-Oper "L'incoronazione di Poppea" gehören können, muss man ganz fest glauben wollen. Zusammengetragen und -gehalten wird das Ganze vorerst vor allem von dem freundlichen jungen Mann, der nach überstandener Probe zunächst vor allem Hunger hat und dann, im Restaurant nebenan, auch Lust aufs Reden über die eigene Arbeit bekommt, bevor am Abend die nächste Probe ansteht.
David Marton - 35, gebürtiger Ungar, was für den Marika-Röck-Akzent im fein formulierten Deutsch sorgt - war jahrelang auf dem besten Weg, in Budapest ein konventioneller klassischer Pianist zu werden. Ein Stipendium brachte ihn 1996 nach Berlin, und von da an wurde es unübersichtlich. Marton wollte zunächst auf Dirigent umsatteln. Das ist es nicht, merkte er schnell. Dann also Bühnenmusiker. Das allein machte aber auch nicht glücklich, deswegen also parallel ein Musiktheater-Regiestudium. Das kommt der Sache schon näher, stellte er fest, während er auf die kunstvoll angeschrägte Bahn zwischen den Konventionen geriet.
Marton fühlt sich von der Parallele zu Christoph Marthaler geehrt
Martons Spezialitäten sind die Irgendwie-anders-Ansätze, die aus so klassischen Opernstoffen wie Webers "Freischütz" oder Bergs "Lulu" an der Berliner Volksbühne zeitgemäße Sammelsurien machen, in denen Handlungsstränge nach Belieben gekappt oder neu verknotet werden. Für die Wiener Burg hat er aus Peter Esterhazys k.u.k.-Familiensaga "Harmonia caelestis" einen bittersüßen Abend mit Musik gemacht, für das Berliner Maxim-Gorki-Theater die Bach-Passionsmusik-Revue "Café Vaterland".
Man muss seit den 1990ern schon sehr viel Theaterschlaf genossen haben, um da nicht sofort auf den großen Vertoner Christoph Marthaler zu kommen. Marton fühlt sich von dieser Parallele geehrt, wahrt aber auch Distanz. "Marthaler ist, was Musiktheater betrifft, der Bedeutendste und Größte der letzten Jahrzehnte. So radikal und so neu. Weil er die Musik und ihre Form ins Zentrum des Theaters gestellt hat, und befreite dadurch vom Begleit-Dienst einer epischen Handlung. Es ist nicht nur richtig, davon inspiriert zu sein, sondern sehr wichtig, das zu behalten."
Jetzt also Monteverdi à la Marton, und das nicht etwa an der Hamburgischen Staatsoper, sondern im Thalia, mit singenden Schauspielern, einigen Musikern und Gleichgesinnten, die genauso ticken wie Marton. Auf die Einstiegs-Frage, was das hier eigentlich wird und warum das an einem Sprechtheater passiert, kommt zwischen zwei Buletten-Bissen als erste, vielversprechende Antwort: "Eine Collage. Eine wilde Collage. Ein kammermusikalischer Versuch. Weder der Roman noch die Oper wird erzählt, es ist etwas Drittes. Unsere Synthese, wenn das gelingt. Was auf der Bühne stattfindet, ist der Abend, das Stück. Nicht Literatur, nicht die am Tisch geschriebene Musik."
Monteverdis Oper über die wilden Zustände im alten Rom gehöre zwar dazu, aber "es geht für mich nicht darum, wie viel man aus Monteverdi schafft, sondern, dass das Thema und die Zeit dahinter - die Verbindung von Macht, Kunst und Liebe - Grundlage für ein Projekt sind. Wenn das nicht so wäre, wäre die Frage, warum das in einem Sprechtheater passiert, sehr richtig."
Die Text-Anteile stammen unter anderem aus dem Roman "Nero, der blutige Dichter" des ungarischen Schriftstellers Dezsõ Kosztolányi, dazu gereicht werden Zitate aus Filmen, und auch eine kleine Portion Wagner soll mittendrin versteckt sein.
Ist das ein sSelbstverliebtes "Trivial Pursuit" für Intellektuelle, weitab von dem, was Oper seit ihrer Erfindung im Italien des frühen 17. Jahrhunderts sein kann und soll? Das sieht David Marton ganz anders, und auf seine ganz eigene Art auch sehr werkverpflichtet. "Ich hoffe, dass es viel mehr ist als nur der Versuch, eine Oper mit Schauspielern zu machen."
Auch in den uralten Streit darüber, wer nun eigentlich auf der Opernbühne das ausdrucksvolle Sagen hat, die Musik oder das Wort, will er sich nicht hineinziehen lassen. "Nichts hat Vorrang."
Ungewohnt ist diese Perspektive für die Schauspieler, die zu einer anderen Ausdrucksform gebracht werden. "Es gibt den Moment des Rantastens, wenn sie das erste Mal auf der Bühne singen sollen. Da merkt man die Scham. Aber die ist nicht musikalisch, sie fragt: Wie geht man damit theatral um?"
Der sichere Weg zum Schlussapplaus ist nichts für Marton
Dass bei dieser Versuchsanordnung gern auch mal etwas danebengehen kann, ist Teil der Probenarbeit, die im Idealfall bis in die Aufführung hinein nachklingt. Der sichere Weg zum Schlussapplaus, immer stramm am Text entlang, das ist jedenfalls nichts für Marton. Er will die musikalische Auseinandersetzung stets nach allen Seiten offen halten, auch das Streben nach Perfektion hat seine zwei Seiten: "Die ist nur ein Weg, um etwas zu vermitteln. Ich meine nicht, dass technische Ungeschicklichkeit toll ist. Aber es gibt einen Unterschied zwischen Können und dem Zelebrieren von diesem Können. Die Frage, wenn man Musik macht, lautet: Was ist das Ziel? Und wenn das Ziel die Perfektion ist, ist das komplett falsch, finde ich. Notentreue ist nur ein Gedanke. Ohne Spielen mit dem Stück ist es kein lebhaftes Musizieren."
Die Frage nach kommenden Projekten zeigt, dass Überraschendes zu erwarten ist. Seit Jahren würde Marton gern ein Abend aus Bachs "Wohltemperiertem Clavier" machen. Er mag Berg und Mozart, Webern und "irre gern" Rossini. Mit Verdi wird er nicht so warm, aber mit Wagner, "und über alles liebe ich Purcell".
Doch als nächstes steht ein weiterer Monteverdi an: "Ulisse" in der Berliner Schaubühne, zu dem Marius von Mayenburg einen Text zugeliefert hat, bevor in Dresden dann ein "Rheingold-Versuch" folgt.
"Es geht mir nicht darum, Oper zu verbessern oder anders zu machen, sondern: Wie kann man der Wirklichkeit mit Musik begegnen?" Die Bühne ist also für ihn ein einziges, großes Experiment? "Das ist sie immer."
Premiere : "Die Krönung der Poppea", 2. Oktober, 20 Uhr, Thalia-Theater. Karten: T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de