Warum brauchen wir ein staatlich subventioniertes Theater mit Repertoire, Eigenproduktionen und Ensemble? Ein Essay aus aktuellem Anlass.
Hamburg. Eben erst beklagte Thilo Sarrazin , dass in 50 Jahren möglicherweise niemand in Deutschland mehr in der Lage sein wird, Goethes Gedicht "Wanderers Nachtlied" zu rezitieren. Mag sein, dass das heute schon viele nicht mehr können. Aber gemeint ist doch, dass wir uns in Deutschland als Kulturnation verstehen, als Land, das Goethe, Kleist und Schiller, ja auch Hauptmann und Brecht hervorgebracht hat und deren Werke weiter pflegt. Ganz zu schweigen natürlich davon, dass wir europäische Dramatiker wie Shakespeare und Molière, Garcia Lorca, Ibsen, Strindberg oder Amerikaner wie O'Neill oder Miller kennen wollen und sollten. Zumindest, so lange wir uns noch als Gemeinwesen verstehen, das Wert auf Bildung legt.
Bleiben wir mal kurz bei Goethe, von dem folgender Satz überliefert ist: "Überhaupt glaubt man nicht, wie sehr das Theater, wenn man so zehn Jahre lang es alle Abende besucht, bildet. Da kommt denn doch alles vor: Welt, Kunst, Moral tritt durch das Spiel der Personen hervor und durch die Freiheit des Urteils gewinnt es für die Zuschauer neues Interesse und Lebendigkeit." Zugegeben, das Theater zu Goethes Zeit war ein anderes als heute. Zwangsläufig, denn Theater ist immer auch Abbild unserer Welt. Und ebenso zugegeben, dass manches, was wir heute auf den großen Bühnen sehen, als einziges Vergnügen den Vorhang bietet, der am Ende fällt. Aber das Theater braucht das Experiment ebenso wie das Bewährte, braucht Auseinandersetzung, Fantasie, Ideen, um Qualität bieten zu können.
Natürlich, und jetzt sind wir beim Thema Sparen, kann man auch beim "König der Löwen" Spaß haben. Wer aber nicht vier Jahre lang ein und dieselbe abgekupferte US-Produktion sehen will, wer Dramatiker, Stücke, Schauspieler und eine bunte Geisteswelt kennenlernen möchte, der braucht ein Theater, das große dramatische Stoffe, die seit Jahrhunderten zu uns gehören, in Eigenproduktion ebenso präsentiert wie in brandneuen, avantgardistischen Formen. Dazu benötigt man ein Ensemble, ein abwechslungsreiches Repertoire, einen anregenden Spielplan. So etwas geht nur mit Subventionen. Sie sollen auch ermöglichen, dass jeder, wirklich jeder es sich leisten kann, ins Theater zu gehen.
Spätestens mit dem Gesuch von Schauspielhaus-Intendant Friedrich Schirmer , zum Ende des Monats von seinem Amt zurücktreten zu wollen, ist die Frage wieder aktuell, welche Art von Theater wir in Hamburg brauchen. Und warum wir es uns leisten wollen und sollten. 18,9 Millionen Euro Subvention bekommt das Deutsche Schauspielhaus. Das mag viel Geld sein. Vergleicht man es aber mal willkürlich mit dem Hamburger Milchhändler Eximo, der nur unwesentlich weniger an Subventionen aus dem EU-Topf erhält, sieht es schon anders aus. Die öffentlichen Zuschüsse dienen dazu, Theater überhaupt möglich zu machen.
Knapp 90 Prozent der Subventionen sind gebunden. Sparen können Intendanten nur an der Kunst. Spart man da zu viel, kann man bald statt "Romeo und Julia" nur noch Julia zeigen, weil das Geld fürs Ensemble fehlt. Natürlich kann man auch billiges Theater machen, Pappkulissen, Holzstühle, Kostüme aus Bettlaken. Aber ist es nicht besser, man bekommt Qualität? Wenn es allein um die Finanzen der Stadt ginge, müsste an der Kultur überhaupt nicht gespart werden. Durch Dutzende von Gutachten ist belegt, dass jeder für Kultur ausgegebene Euro über die Umwegrentabilität 1,4-mal wieder in die Wirtschaft zurückfließt. Gelder für die Kultur sind Investitionen. Sie rechnen sich. Hundert geförderte Arbeitsplätze in der Kultur schaffen bis zu 150 Arbeitsplätze in der Wirtschaft. 36 Millionen Euro bekommen die beiden staatlichen Sprechbühnen in Hamburg pro Jahr. Selbst wenn man sie schließen wollte, würde die eingesparte Summe gerade einmal ausreichen, um ein halbes Jahr lang die Zinslast für Hamburgs Neuverschuldung in diesem Jahr zu bezahlen. Aber was würden wir alles verlieren!
Die Chance, eine lebendige Welt, die uns an- und aufregt, voller Schicksale und Leidenschaften durch die Bühne kennenzulernen, würden wir ohne Theater aufgeben. Sparen an der Kultur wäre ein Zeichen von Armut, ein Armutszeugnis also. Hamburg, mit seiner großen Theatertradition, die noch immer weltweit strahlt und ein wichtiger Besuchermagnet ist, hätte da besonders viel zu verlieren.