Katell Gélébart verwandelt Abfall in Kunst. Am Sonntag erhält die französische Öko-Designerin den Kairos-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung.
Hamburg. Menschen werden aus den unterschiedlichsten Gründen kreativ. Für Katell Gélébart war es ein Urbedürfnis, seit sie als Kind für ihren Teddybären ein Bett aus einer leeren Kaffeeverpackung und ein paar angenähten Stoffresten bastelte. Wenn sie davon erzählt, leuchten die großen dunklen Augen der Französin noch heute, und ihr kindliches Lachen steckt an: "Es ist more fun, etwas mit seinen eigenen Händen herzustellen." Unermüdlich hat sie seither ihre Kleider mit ein paar Handgriffen und Nähten zu Neuem transformiert, Regale aus Schuhschachteln erstellt und Blumentöpfe aus Konservendosen. Fertige Produkte einzukaufen langweilte sie. Stattdessen reifte in ihr die Erkenntnis: "Aus allem lässt sich noch etwas machen."
Heute gilt die 1972 in der Bretagne geborene Öko-Designerin als Pionierin ihrer Zunft. Sie entwickelt Kleider, Taschen, Lampen und Möbel aus dem, was Menschen für gewöhnlich als Müll bezeichnen. Doch der Abfall ist für Katell Gélébart das Gold von morgen. Das Material ist die Message. Sie hat sie in eine derart visionäre Kunst verwandelt, dass sie dafür am Sonntag in Hamburg den Kairos-Preis der Alfred-Töpfer-Stiftung F.V.S. erhält. Die mit 75 000 Euro dotierte Auszeichnung gilt als einer der höchsten Kulturpreise in Europa. Parallel wird im Museum für Kunst und Gewerbe die Ausstellung "Was da ist" mit Kreationen Gélébarts eröffnet.
+++ Das Alte kann das Neue sein +++
Ihr Glück kann sie nicht fassen. "Ich hoffe, dass das eine Sichtbarkeit mit sich bringt, die mir hilft, mit neuen Partnern ein Projekt zu realisieren", sagt sie. Ein ganzes, serienfähiges Ökohaus, ein "House of re-use" schwebt ihr vor. Eines, das von den Möbeln, Vorhängen bis hin zu den Tapeten aus wiederverwerteten Materialien besteht. Sie schert sich nicht um Trends. Auch deshalb wirken ihre mit viel ästhetischem Gespür verfeinerten, häufig retroartigen Schnitte absolut zeitlos.
Aus zwei Handtüchern entsteht ein Kleid. Aus karierten Wolldecken wird ein ganzer Wintermantel, so robust und so edel im Design, dass man gleich hineinschlüpfen will. An der Tasche aus alten Handtüchern erhält ein altes Telefonkabel eine neue Aufgabe als Henkel. Dieses Accessoire ist ihr Verkaufshit. Mit ein paar seltsam zwingenden Überlegungen zu Stoffen und Materialien und ein paar Stichen auf ihrer Nähmaschine erzielt sie verblüffende Effekte. Einige der erstaunlich straßentauglichen Modelle der Katell Gélébart sind während der Dauer der Ausstellung im Museumsshop erhältlich. Ihre Fundstücke entledigt sie gekonnt ihrer Herkunft und behandelt sie so gut, dass sie tatsächlich wie neu aussehen. Das gilt sogar für die weniger kleidsamen Stücke ihrer Kollektion wie die Jacke aus grellbunten Katzenfutterverpackungen. Bei Regen sei es wahnsinnig laut darin, gibt sie zu. Ob alte Leinensäcke der Deutschen Post, Filz aus sowjetischen Armeebeständen oder ukrainische Fallschirmseide, Katell Gélébart gibt den Materialien mit einer neuen Form auch eine neue Wertigkeit.
Das Schneidern hat die studierte Kunsthistorikerin und Skandinavistin sich selbst beigebracht. Unter ihrem Label "Art d'Éco" unterhielt sie 1998 einen Laden in Amsterdam. Zwei ukrainische Mitarbeiterinnen sorgen bis heute für die Produktion. Reichtümer häuft die Vielgefragte, die als Werbegesicht für den französischen Telekom-Giganten Alcatel posierte ("Always On") oder Sozial-Design-Workshops an der Schwarzmeer-Küste leitet, damit nicht an. Denn "Masse in allen Größen" kann sie nicht liefern. Will sie auch gar nicht.
Für Katell Gélébart ist Recycling nicht nur Ausdruck ihrer Kreativität, es ist auch ein Statement, sich herrschenden Zwängen der Konsum- und Wegwerfgesellschaft zu verweigern. Und es ist Teil ihres nomadischen Lebensstils. Eine feste Wohnung oder ein Auto braucht sie nicht. Alle paar Jahre wechselt sie mit ein paar Habseligkeiten, dem selbst genähten Kulturbeutel und ihrer Nähmaschine ihren Lebensmittelpunkt, der schon in Holland, der Ukraine, Neuseeland, oder zuletzt Indien lag. Um dauerhaft an einem Ort zu bleiben, plagt sie die Neugier zu sehr. In Indien ist der Bedarf an Produkten ungleich größer als das Angebot an Neuwaren, sodass man gar nicht umhin kommt, als Dinge um- und wiederzuverwerten. "Hier springt dich der Müll regelrecht an", sagt Katell Gélébart. Natürlich verband sich das Nachdenken über Verwertungsketten auch bei ihr früh mit einem politischen Bewusstsein, das sie als 20-Jährige als Aktivistin in der ersten Reihe in Umweltbewegungen und bei Anti-Atom-Demonstrationen auslebte. Das hat sich geändert.
Heute hält sie es mit Mahatma Gandhi: "Sei selbst der Wandel, den du in der Welt sehen willst." Für die zierliche Person heißt das, Konzentration auf inneres Wachstum mithilfe von Meditation und Yoga im Geiste ihres spirituellen Lehrers Osho, des 1990 verstorbenen Bhagwan. Auch in dessen Meditationszentrum im indischen Pune hat sie schon an einer großen Installation mitgewirkt. "Ich möchte nicht moralisieren, sondern ein Beispiel mit meinem Leben geben", sagt sie. "Wenn man in sich selbst zentriert ist, braucht man kein Greenpeace mehr. Man macht automatisch alles richtig." Sie benötige keine Wohnung, um sich zu beweisen, dass sie existiere. An der so diffizilen Einheit von Kunst und Leben lässt sie nicht den leisesten Zweifel. "Künstler sind überall ökonomisch mit ihren Ressourcen. Sie konsumieren keine riesigen Energien."
In Indien hat sie ein Öko-Ferienresort als Artist In Residence begleitet. Für eine Videoinstallation der Künstlerin Tejal Shah entwirft Katell Gélébart die Kostüme, die eine Gruppe von Tänzern tragen soll. Das Ergebnis wird auf der documenta 13 im Sommer in Kassel zu sehen sein. Der Kairos-Preis ist benannt nach dem "Gott des rechten Augenblicks" aus der griechischen Mythologie. Keine Frage: Dies ist die Stunde für Menschen wie Katell Gélébart.
Was da ist. Recycling-Design der Kairos-Preisträgerin Katell Gélébart bis 6. Mai, Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz; www.mkg-hamburg.de