Wie klingt Hamburg in Zeiten von “Recht auf Stadt“ und Gentrifizierung? Die Texte der Pop- und Rocksongs von Kettcar und Sport erzählen davon.
Hamburg. "Wir bauen eine neue Stadt", proklamierte die deutsche Avantgarde-Band Palais Schaumburg vor gut 30 Jahren in einem kantigen Neue-Deutsche-Welle-Song. Auch, wenn die Gruppe nicht näher artikuliert, wie diese Stadt aussehen soll, steckt in dem Titel doch das Versprechen einer Utopie. Und die Frage: Wie wollen wir gemeinsam leben?
Damals, in den 80er-Jahren, zählten Begriffe wie Gentrifizierung noch nicht zum Standardvokabular des Großstädters. Die urbane Gesellschaft wurde noch nicht nach Kriterien wie kreative Klasse und Innovationsgrad durchdekliniert. Die Metropolen waren rauer, weniger kommerzialisiert, unberechenbarer. Es existierten mehr Brachen, Leerstände, Frei- und Spielräume. Auch für die (Sub-)Kultur.
Heutzutage ist das städtische Umfeld zunehmend durchgeplant, poliert. Wie sich der Mensch im Allgemeinen und der Künstler im Besonderen in diesem Klima fühlt und verhält, das thematisieren derzeit verstärkt auch Pop-Songs aus Hamburg. Keineswegs überraschend. Denn durch Initiativen wie "Komm in die Gänge" und "Recht auf Stadt", durch den geplanten Abriss der "Esso"-Häuser auf dem Kiez , aber auch durch Prestigeprojekte wie die Elbphilharmonie und durch die Kürzungspläne des Senats im Jahr 2010 wurden Diskussionen entfacht, die nun ihren Widerhall finden in der Musik.
"Bei uns gab es einen Das-Maß-ist-voll-Moment. Und zwar, als sie an den Kulturetat des Schauspielhauses rangegangen sind mit der gleichzeitigen Forderung, das Altonaer Museum zu schließen", erinnert sich Marcus Wiebusch, Sänger und Gitarrist der Hamburger Band Kettcar. Ab diesem Zeitpunkt habe er gewusst, dass er einen Song schreiben möchte, der den Status quo benennt und der erklärt, dass er nicht einverstanden ist. Aus dieser Energie heraus entstand für das neue Kettcar-Album "Zwischen den Runden" die treibende Nummer "Schrilles buntes Hamburg" mit der Zeile "Es muss immer alles komplett verwertet werden,/was komplett verwertet werden kann". Ein zynischer Kommentar, der sich dagegen ausspricht, Kunst unter ökonomischen Gesichtspunkten zu beurteilen.
Die Argumentation ist sehr verwandt mit der des "Not In Our Name"-Manifestes, in dem sich Aktivisten wie der Autor Rocko Schamoni und der Schauspieler Peter Lohmeyer gegen die Vermarktung der Stadt richten. Dennoch wollte Wiebusch kein Lied für eine konkrete Bewegung schreiben. Erst recht keinen Gentrifizierungssong. "Es ist einfach bitter, in Zeiten wie diesen Kunst zu machen. Wie Künstler gebeutelt sind. Die Forderung des Songs wäre am ehesten, dass man einen Zeitgeist schafft, der jenseits von Verwertungslogiken anerkennt, dass Kunst einen unfassbaren Wert an sich hat", erläutert Wiebusch. In Versen wie "Pioniere in Problemgebieten,/wo wir hinkommen, da steigen Mieten" ist der urbane Raum längst keine Projektionsfläche mehr für das gute wilde Leben. Hier wird keine Stadt aus Rock 'n' Roll gebaut wie in dem Starship-Klassiker "We Build This City" von 1985. Hier muss sich ein Künstler fragen, inwiefern er selbst Teil einer Entwicklung ist, die er kritisiert. Das ist komplex. Aber, so sagt Wiebusch: "Es ist uns nicht egal. Und alles, was uns nicht egal ist, ist uns nah. Ich verliere nicht den Glauben, nur weil jetzt an den Leuten vorbei eine Elbphilharmonie gebaut wird. Wir werden diese Stadt auch nicht verlassen, um in Berlin unser Glück zu suchen." Zwar will er Daniel Richter und dessen viel beachteten, wütenden Umzug an die Spree "nicht mit einem Wort erwähnt" haben, doch die Zeile "der Malerfürst verlässt die Stadt" spielt doch eindeutig auf den Starkünstler an.
+++ Für den Erhalt des ursprünglichen Mieters +++
+++ Soziale Erhaltungsverordnung für Eimsbüttel-Süd +++
Mitunter ist der Blick aus der Ferne aber auch erhellend. Felix Müller, Kopf der ansonsten in Hamburg ansässigen Rockband Sport, ist vor mehr als zwei Jahren aus familiären Gründen in die Hauptstadt gegangen. "Ich merke jetzt noch stärker, wie sehr sich die Ecken verändert haben, wo ich sonst immer war", sagt der Musiker. Und er meint Altona, Altona-Altstadt, die Schanze, St. Pauli. Reeperbahn und Schulterblatt schließen sich zur Amüsiermeile. "Da sind ja auch gute Sachen dabei", meint Müller. Aber er beobachtet, "wie die Rote Flora zum Beispiel immer mehr auffällt und zu einem Fremdkörper wird" inmitten glatter Oberflächen.
Wie einem die eigene Stadt teflonartig entgleitet, verhandelt Sport auf ihrer Platte "Aus der Asche aus dem Staub" in dem Song "Wer führt dein Leben". Der Hörer begleitet den Protagonisten auf dem Gang durch die Stadt. Presslufthammerlärm. Nebenan wird entkernt. "Du gehst durch Straßen,/die dir immer fremder werden./Glänzende Fassaden ohne Schimmer ohne Leben/ Du siehst dein Spiegelbild entgeistert darin stehen/und sagst zu dir:/Was haben wir hier noch zu verlieren", singt Müller da zu kratzenden Gitarren. Die Frage drängt sich auf, ob ein richtiges, aufrichtiges Leben in der falschen Umgebung möglich ist.
"Was ist der Motor, in eine Stadt zu gehen und dort zu bleiben?" Gedanken wie diese hat sich die Hamburger Musikerin Catharina Boutari gemeinsam mit Regisseur Roman Schaible für ihr aktuelles Video gemacht. "Großstadtkonkubinen" heißt der Song, in dem sie "die Idee, was Stadt für die Menschen bedeutet", vom Glück bis zum Schatten durchspielt.
In dem Clip zieht sie als Obdachlose durch Hamburg, schläft im Auto, wäscht sich in einer öffentlichen Toilette, sammelt Essen von der Straße. Von Ingrid, einer "feinen alten Dame", die vor der Staatsoper die "Hinz & Kunzt" verkauft, ließ sie sich erzählen, was es mit einem Menschen macht, am Rande zu leben, außen vor zu sein. "Das hat emotional die Basis gelegt", sagt Boutari, die sich als Künstlerin seit Neuestem "Puder" nennt. Und die seit Jahren im Schanzenviertel wohnt. Somit ist sie direkte Zeitzeugin der Stadtentwicklung. In ihrem Lied steckt die Großstadtkonkubine "knietief im Glanz der Neonreklame" und strahlt doch im Lichterreigen auf dem Kiez. Eine unstillbare Sehnsucht kommt da zum Ausdruck, in der Stadt doch noch Zustände zu entdecken, die die Provinz kaum bieten kann. Nischen etwa. Und Freiheit.