Das Stück “Leben und Erben“ im Schauspielhaus handelt von Hausbesitzer-Vätern und revoltierenden Töchtern.
Hamburg. Oliver Kluck hat einmal gesagt, wenn er nicht schreiben könnte, würde er vielleicht zum Terroristen werden. Der wütende Dreißiger schreibt vehement an gegen das System und die herrschenden Verhältnisse. Er behauptet schreibend seine Position gegen die Alten und misstraut zutiefst den sich (seiner Meinung nach) in Scheinrevolten erfolgsorientiert anpassenden Jungen. Damit meint er auch die Künstler und Kollegen. Ätzte Thomas Bernhard, der alte österreichische Querulant, gegen das "glückliche Austria", so könnte Kluck (noch nicht ganz in bernhardscher Hochform) als dessen ostdeutscher Sohn gelten. Auch in der Hassliebe zur Theaterkunst ähneln sich die beiden.
Im Auftrag des Schauspielhauses schrieb Kluck jetzt das Stück "Leben und Erben". Die Uraufführung von Dominique Schnizer im Malersaal verlief - bis auf einen brabbelnden Zuschauer - glatt und reibungslos. Der Störer passte sogar ganz gut zur Aufführung, er ergänzte die Karikaturen der herrschenden Alten, ihrer geistesabwesenden Selbstgerechtigkeit.
"Leben und Erben" ist für Kluck kein Stück. Vielmehr sind es Textstücke zur Gentrifizierungsdebatte im Kontext von Hausbesitzer-Vätern und revoltierenden Töchtern, von Hausbesetzung und Räumung. Weiter sagt er, dass die Rede nicht von Hamburg sei, geschweige denn vom Gängeviertel.
Aber natürlich handeln die Szenen auch davon. Denn Mieter und Vermieter, Hausbesitzer und Hausbesetzer tragen in Hamburg genau wie in Berlin - Klucks Wohnort - Konflikte aus.
Im Text werden auch Klucks Vorbilder deutlich. Der Monolog des Yuppies (ein schlaksiger Loser-Typ in braunem Kordsamt und Turnlatschen: Johannes Flachmeyer) erinnert an die Suada von Lucky in Samuel Becketts "Warten auf Godot". Außerdem teilt Kluck die Wortspielerei und Theaterspiel-Verweigerung mit René Pollesch oder Elfriede Jelinek, von der einige Kalauer stammen könnten. Die beiden schreiben ebenfalls keine "Figurenrollen", wollen, wie Kluck es ausdrückt, den Zuschauern ebenso wenig "die eigene Lebenswirklichkeit in den sogenannten Inszenierungen" nahebringen.
Aber exakt "eine sogenannte Inszenierung" liefert Schnizer gekonnt mit dem glänzenden Schauspielerquintett. Damit nimmt er Oliver Klucks sicherlich nicht besten, doch von einer Angst und Verzweiflung getriebenen Text etwas von seiner Aggression und Irritation, verharmlost ihn in gewisser Weise durch eine wild entschlossene Komödiantik. Allerdings kommen so Publikum und Schauspieler auf ihre Kosten und ihren Spaß.
Schnizer verweigert sich der Abstraktion, verortet zu Beginn mit dem filmischen Streifzug durch die Betonklötze der HafenCity Klucks Textblöcke und verleiht ihnen dann Schwungkraft durch eine sich drehende Spiegelwand (Raum und Kostüme: Christin Teunert). Sie trennt und vereinigt die Akteure, macht sie zu Gegnern oder Verbündeten im Kampf um die Häuser und das "Recht auf Stadt". Tim Grobes Hausmakler Maschmeyer (ein Schelm, wer Böses dabei denkt!) und die Besetzer liefern sich pointierte Duelle, ebenso der Vater und Hausbesitzer (Michael Prelle) und die schnippische Mittelstandstochter (Betty Freudenberg). Marion Breckwoldt karikiert die Altfaschistin nebenbei mit einer leichten Handbewegung in Augenhöhe und der Frage "Es regnet?"
Sie alle schlagen komödiantischen Mehrwert aus Klucks schmalem Textkapital und steigern es mit den Stilmitteln des Theaters - von Comedy bis Königsdrama. Sie spiegeln die sprunghafte Unfertigkeit der Vorlage im Spielgestus einer Probe. Sie bedienen sich mit Kostümen aus der Requisitenkiste, reißen Figurenskizzen an, brechen die Situation nach dem von Kluck ausgegebenen Motto: "Man weiß ja vorher immer nicht genau, was einem der Abend so bringt, ob er überhaupt etwas bringt, ob man es selber bringt." Die Schauspieler bringen es. Sie halten Hamburg den Spiegel vor: Gewinnbringend kaufen oder nicht kaufen, das ist hier die Frage.
"Leben und Erben" 10., 15.1. sowie 4. und 10.2., jeweils 20 Uhr, Karten unter T. 24 87 13