Paul McCartney mischte sich nach dem Konzert vor seinem Hotel unter die Fans. Die exklusiven Fotos gibt es hier auf abendblatt.de.
Hamburg. Von „A Day In A Life“ bis „Yesterday“: In 35 Songs einmal um die Beatles-Welt, in Sichtweite vorbei an einem weniger hellen Stern der Populärmusikgeschichte wie den Wings, das Ganze in gut zweieinhalb Stunden – so lässt sich, kurz gefasst, die Reiseroute für den Trip in die Vergangenheit beschreiben, den ein Konzert mit Paul McCartney zwangsläufig bedeutet.
In der ausverkauften, bestuhlten Color Line Arena trat der vorletzte noch Lebende der Fab Four am Mittwoch abend in beneidenswert jungenhafter Frische und Spielfreude vor das Publikum jener Stadt, in der vor, O Gott! bald 50 Jahren die Karriere der Beatles begann. Hamburg liebt Paul, Paul liebt Hamburg. In seinen Ansagen kratzte McCartney vergnügt all die Redewendungen zusammen, die ihm von jenen mythischen Wochen in den frühen 60er-Jahren an der Reeperbahn um Top Ten, Kaiserkeller und Indra noch in Erinnerung geblieben sind. Selbst „Hummel Hummel, Mors Mors“ durfte nicht fehlen – „whatever that means“.
Nach ein paar stimmlichen Presswehen am Anfang fand McCartney bald zu beachtlicher Form. Begleitet von vier Musikern an Gitarren, Bass, Keyboards und Schlagzeug, spielte er selbst seinen guten, alten, kleinen Höfner-Beatles-Bass, Klavier, Mandoline und Gitarren. In der Ikonografie des Pop spielt McCartney als der erste linkshändig agierende Musiker mit dem scheinbar verkehrtrum weisenden Bass- oder Gitarrenhals neben den Rechtshändern John Lennon und George Harrison eine so unverwechselbare Rolle, dass man sich schon zwicken musste, um nicht unwillkürlich den Rest der Beatles da vorn auf der Bühne zu imaginieren.
Das fiel um so schwerer, als die Musiker bei der Wiedergabe der alten Lieder eine Werktreue an den Tag legten, die, aufs Theater übertragen, den sofortigen Tod des Regietheaters herbeiführen würde. Jede Nuance des Gitarrensolos von „Something“ klang wie George Harrison. Das bollernde Schlagzeug in „Back In The USSR“: saß da nicht Ringo? Die Chorsätze bei „Let It Be“: klangen sie nicht original bis in die Fermate? Und warum sollte McCartney in der Solodarbietung seines vollendeten Lieds „Blackbird“ auch nur eine einzige Note verändern?
Und doch: es dauerte, bis die Hamburger sich ihrem Idol richtig ergaben. Vor allem in den ersten 70 Minuten mussten sie sich durch allerlei süßen Wings-Brei fressen, den McCartney einst mit seiner früh verstorbenen Frau Linda angerichtet hatte. Dafür gewannen die zweiten 70 Minuten mehr und mehr an Fahrt, an Drive, an Lärm. Plötzlich wandelte sich McCartney, der Lenor-Rocker mit dem seifig-treuherzigen Lied „Here Today“ für „meinen Freund Johnny“ (Lennon), in Paul aus der Krachmacherstraße.
Spätestens ab „I’ve Got A Feeling“ drehte das Konzert in die herrlich abschüssige Bahn des Rhythm’n Blues, wie ihn die Briten in den 60er Jahren kennen- und liebenlernten, und in den Rock’n’Roll. Nun ließ McCartney sich hüfthoch auf die Wasser des Mersey ein, als hätten dessen Ufer einst die Baumwollfelder des amerikanischen Südens gesäumt. „Helter Skelter“ – vorletztes Zugabenstück – klang krachend und wild wie die Who in ihren besseren Tagen und ließ McCartney plötzlich als Grunge-Altvater erscheinen. So hatten wir ihn bis jetzt noch nie gesehen.
Keine Frage, dass mit „Yesterday“, „Hey Jude“ und „Let It Be“ auch die großen Feuerzeuglieder dabei waren. Selbst wenn das Konzert im Ganzen nicht an die singuläre Klasse des Auftritts vor sechs Jahren nebenan im Fußballstadion heranreichte: ein denkwürdiger, erinnerungswürdiger Abend war es allemal. Nur Paul McCartneys Behauptung, dass die lustige Partynummer „Ob La Di, Ob La Da“ tatsächlich eine Live-Premiere gewesen sei, die werden die Beatles-Experten dieser Welt in den nächsten Tagen womöglich widerlegen.
Nach dem Konzert warteten noch etliche Fans auf den Weltstar vor dessen Hotel um einen Blick auf McCartney zu erhaschen. Und der war offenbar trotz der späten Uhrzeit noch gut drauf - kurzerhand mischte er sich vor dem Atlantic unter die Fans und schrieb Autogramme.