Im November 1963 analysierte das Hamburger Abendblatt erstmals den Beginn der weltweiten Beatlemania. Eine Rückschau.

Drei Jahre lang scheinen die Beatles in Hamburg ein Insider-Tipp gewesen zu sein. Aber nach den ersten Hits "Love Me Do" (5. Oktober 1962), "Please Please Me" (11. Januar 1963), "From Me To You" (11. April 1963) und "She Loves You" (23. August 1963) wurde auch außerhalb der Szene um Kaiserkeller und Top Ten deutlich, dass da etwas unglaubliches beginnt. Am 11. November 1963, kurz vor der Veröffentlichung des zweiten Beatles-Albums "With The Beatles" (22. November) stellte das Hamburger Abendblatt seinen Lesern die Beatles als "schräge Musik Made in Hamburg" vor. Hier der Wortlaut aus der Frühzeit der Popmusik:

In Liverpool lagen ihnen die Teenager zu Füßen; in Londons "Royal Variety Show" schlugen Mitglieder der Königsfamilie und Spitzen der Gesellschaft zu ihren Songs den Takt. Sie nennen sich "The Beatles", und ihre Musik rockt und rollt und skiffelt britisch, aber sie ist "Made in Hamburg"; denn in der Hansestadt legten sie den Grund für Ruhm und klingende Münze.

Die Beatles sind eine Gruppe von vier jungen, hübschen, netten Liverpoolern zwischen 20 und 23. Sie singen zu drei Gitarren und einem Satz von Trommeln, die elektronisch derart verstärkt worden sind, daß man entweder stocktaub, uralt, völlig verwittert oder tot sein müßte, wenn man sie nicht hören könnte. Die Beatles, das sind die vier Buben mit dem Ponyhaarschnitt, deren Fans tage- und nächtelang im Regen Schlange stehen, um Eintrittskarten für ihre Show zu kaufen. Die Haare der Beatles sehen aus wie ausgefranste Champignons, deren Ende ihnen wie ein Fell über Ohren und Kragen hängen. Aber die Mädchen fliegen auf ihre Frisur. Die vier Jungen singen und spielen auf der Wellenlänge der Teenager, und diese Teenager liegen ihnen zu Füßen, schreien, stöhnen, fallen in Ohnmacht und wieder heraus, reagieren sich in den lärmenden Songs dieser vier Musketiere stampfend ihre Pubertätsgefühle ab oder auf. 2 500 000 Beatles-Platten werden täglich von Millionen von Teenagern gespielt. Die Beatles verdienen pro Woche heute 22 000 Mark. Es hat hier so etwas noch niemals gegeben. Liverpool ist stolz auf seine Beatles, und jetzt hat die Nation sie in ihr Herz geschlossen. Ein starkes Polizeiaufgebot schützt sie bei jedem ihrer Auftritte vor schreienden, hysterischen Mädchen und Kindern, die zu Tausenden stundenlang warten, sich drängen, sich in die Haare geraten, um siee wenigstens ankommen und abfahren zu sehen oder Autogramme zu bekommen.

Die Beatles John (23), Paul (21), George (20), die drei Gitarrespieler, und Ringo (23), der Trommler, waren eine völlig unbekannte Skifflegruppe, als sie durch Zufall ein Engagement nach Hamburg bekamen. Sie fuhren als Stellvertreter für eine englische Gruppe, die den Trip nicht machen konnte. Die Beatles blieben vier Monate lang in Hamburg, spielten in verschiedenen Bars und Jazz-Kellern, hatten täglich acht Stunden lang zu arbeiten und stellten fest, daß ihr Repertoire zu klein war. Und so fingen sie an zu improvisieren, suchten nach alten Schlagern und machten irrsinnigen Radau, um den Mangel ihres Repertoires zu übertönen. Aber sie fanden, daß dem deutschen Publikum der Lärm und der Ulk, den sie verzapften, am besten gefiel. Hier in Hamburg begannen sie, sich ihre eigenen Songs zu schreiben. "Hier", sagt John, "begannen wir unsere Art von Musik zu machen." Jene Musik, die sie berühmt machte und ihnen ein Vermögen einbrachte.

Sie brachten noch etwas anderes aus Hamburg mit: die Lederjacken, in denen sie auftreten. Sie legen Wert auf ihre Anzüge, tragen alle gleiche Hemden, Hosen, den gleichen Haarschnitt und die gleichen Schlipse. Sie traten nach ihrer Rückkehr aus Hamburg in einem halbdunklen Kellerlokal in Liverpool auf und spielten dort weiter verrückt. Mit Lachen und spontanen Gags, mit Tempo und enormem Getöse eroberten sie das Königreich. Sie waren diese Woche die Sensation der Londoner Royal Variety Show, sangen und tanzten vor einem Publikum mit Nerz und Juwelen, spielten vor der Königinmutter Elizabeth, vor Prinzessin Margaret und ihrem Mann Lord Snowdon in der Hofloge. Und hier zeigte sich, daß die Beatles nicht nur das Ohr der Teenager finden: Die Intelligenzia, die Erwachsenen, die mittelalterlichen Ehemänner und Snobs brachten Ihnen Ovationen und schlugen zu ihren Songs mit den Füßen den Takt.