Sechsmal hat er verlängert und Angebote anderer Städte ausgeschlagen. Nur ein Ruf der Pariser Oper hätte ihn in Versuchung führen können.
Hamburg. Klaus Witzeling
Hamburg
Gestern kurz nach neun in der Früh läutete das Telefon bei John Neumeier. Der Erste Bürgermeister war am Apparat. Ole von Beust informierte den Intendanten des Hamburg Balletts persönlich über seine Nominierung zum Ehrenbürger Hamburgs für seine Verdienste "als Botschafter der Hansestadt zwischen Kopenhagen und Tokio". Im Juni wird der Antrag der Bürgerschaft vorgelegt. "Es war wirklich eine große Überraschung", sagte Neumeier Stunden später beim rasch improvisierten Empfang in der Stifter-Lounge der Staatsoper. "Ich bin nach dem Anruf gleich zur Arbeit gefahren." Als ob gar nichts passiert wäre, wandte sich der 65 Jahre alte Chefchoreograf seinen Tagespflichten zu. Er kam dann tatsächlich von einer Bauprobe für sein Hans-Christian-Andersen-Stück "Die kleine Meerjungfrau", das er zur Eröffnung der Ballett-Tage 2007 vorbereitet.
Noch immer wirkt Neumeier leicht unter Schock vor den Kameras und meint mit entschuldigendem Lachen: "Ich bin ein langsamer Mensch, ich muss erst darüber nachdenken, was die Ehrung für mich bedeutet." Staatsopern-Intendantin Simone Young beglückwünschte und umarmte ihren Kollegen als Erste: "Wir freuen uns alle mit dir." Danach findet auch der Ballett-Chef zu seiner gewohnten Beredsamkeit zurück. "Die Ehrenbürgerschaft ist viel mehr als ein Preis, den ich für eines meiner Ballette bekommen habe", sagt er. "Sie ist etwas ganz Besonderes, hat mit viel investierter Zeit zu tun und bedeutet etwas Tieferes, ist nicht mit einem Oscar für eine einmalige Leistung zu vergleichen." Er hatte die Ernennung auch nicht erwartet, wie er betont, hätte dies als anmaßend empfunden, wie ihm auch Gerüchte vor zwei Jahren, die seinen Namen ins Spiel brachten, unangenehm waren.
John Neumeier wird nun der 35. Ehrenbürger, ist der vierte Künstler, der die Würde nach Johannes Brahms (1889), der Kammerspiele-Prinzipalin Ida Ehre (1985) und dem Schriftsteller Siegfried Lenz (2001) erhalten soll. Sechsmal hatte Neumeier die Qual der Wahl, seinen Vertrag mit Hamburg zu verlängern. Oder dem Ruf eines anderen Opernhauses zu folgen. "Ich liebe diese Stadt", versicherte der Amerikaner, den nur noch die Berufung an die Pariser Oper in Versuchung hätte führen können. Fast 35 Jahre amtiert Neumeier als Ballettdirektor, ist seit 1996 Intendant und hat so konsequent wie erfolgreich das Hamburg Ballett zu einem weltweit bekannten Spitzenensemble aufgebaut. Über 125 Choreografien hat er geschaffen, hat als untanzbar geltende Kompositionen wie die Symphonien von Gustav Mahler oder Bachs sakrale Werke "Magnificat" und "Matthäus-Passion" für die Tanzbühne erobert. Mehr noch: Es gelang ihm nach seinem Start 1973, die Stimmung gegen ihn - den damals mit 31 Jahren jüngsten Ballettchef Deutschlands - in Begeisterung umzuwandeln. Er warb mit seinen Choreografien und in den Ballettwerkstätten um das Publikum, bis es dem Charme, der Kreativität und tänzerischen Einfallskraft des Amerikaners erlegen war. Ein Wunder war Neumeier gelungen: Hamburg war zur Tanzstadt geworden.
Er hat aber auch den Tschaikowksy-Klassikern "Dornröschen", "Schwanensee" und "Nussknacker" neues Leben eingehaucht und Werke der Weltliteratur - Homers "Odyssee", Tschechows "Die Möwe", Ibsens "Peer Gynt" , Dumas' "Die Kameliendame" oder Shakespeares Komödien und Tragödien - für die Tanzbühne adaptiert und gewonnen.
Eigentlich wollte der in Milwaukee geborene Kapitänssohn zum Theater. Sein Lieblingslehrer Pater John Walsh an der Jesuiten-High-School wusste in ihm Interesse für Kunst und Wissenschaft, speziell für die Weltliteratur, Religion und das Theater zu wecken. Noch während seiner Ausbildung begann Neumeier zu choreografieren, hat danach als Tänzer in John Crankos Stuttgarter Ballett den Feinschliff erhalten und sich in Frankfurt erstmals als Ballettdirektor erprobt.
Hamburg hat John Neumeier nicht nur das mit über 90-prozentiger Besucherauslastung gesegnete "Ballett-Wunder" an der Staatsoper zu verdanken, sondern auch eines der weltweit besten Ausbildungsinstitute für den Ballettnachwuchs.
Sicherlich ist die Ehrenbürgerschaft als ein Dank für die von ihm unermüdlich kreativ geleistete Überzeugungs- und Aufbauarbeit zu verstehen. Und auch als Würdigung eines imponierend vielseitigen Lebenswerks. Konkrete Erwartungen an die Stadt für sich und seine gegründete Stiftung und den Museumsplan hat Neumeier nicht. Aber: "Für die Zukunft der Stadt wünsche ich mir einen Ort der Wissenschaft und des Nachdenkens über den Tanz. Und dafür bin ich bereit, ihr meine Sammlung zu vermachen."
Kultursenatorin Karin von Welck sagte dem Abendblatt in New York: "Das ist doch eine tolle Sache. John Neumeier ist ein wunderbarer Mensch, und natürlich ist es großartig, dass ein solch bedeutender Kulturträger auf diese Weise ausgezeichnet wird."
Uwe Seeler, HSV-Idol und Ehrenbürger: "Ich freue mich sehr für John Neumeier. Erst er hat Hamburg zur weltweiten Anlaufstation für großartiges Ballett gemacht. Bevor er kam, rangierte Hamburg unter ,ferner liefen'. Und er hat auch große Verdienste um das junge Ballett."
Michael Naumann , SPD-Spitzenkandidat: "John Neumeier ist es über eine ungewöhnlich lange Zeit hinweg gelungen, den Ruf der Ballettstadt Hamburg weit über die Grenzen hinaus stilprägend zu wahren und zu mehren."
Bernd Reinert , CDU-Bürgerschafts-Fraktionsvorsitzender: "John Neumeier erhält aufgrund seines weltweiten Rufs nicht nur die Anerkennung für seine mehr als 30 Jahre andauernde Tätigkeit für das Hamburger Ballett, sondern ist ohne Zweifel zum Kulturbotschafter Hamburgs und darüber hinaus auch der Bundesrepublik Deutschland geworden."
Christa Goetsch , GAL-Bürger-schafts-Fraktionsvorsitzende:
"John Neumeier ist ein Botschafter für Hamburg mit herausragenden künstlerischen Leistungen. Er hat eine große Fangemeinde."
Helge Adolphsen , früherer Hauptpastor St. Michaelis: "Ich bin äußerst beglückt darüber, denn John Neumeier ist einfach Weltspitze und das über einen langen Zeitraum. Er ziert unsere wunderschöne Stadt."
Ulrich Waller Intendant des St.-Pauli-Theaters: "Gut, dass es nicht solchen Ärger gibt wie bei Biermann in Berlin. Dass ein Amerikaner in Hamburg Ehrenbürger wird, finde ich eine gute Entscheidung."
Isabella Vertes-Schütter , Intendantin des Ernst-Deutsch-Theaters: "Ich freue mich unglaublich. John hat so viel für diese Stadt getan, er hat es wirklich verdient."