Hamburg. Es war der 3. Februar 1809, der Festtag des Heiligen Ansgar, als Felix Mendelssohn-Bartholdy in der großen Michaelisstraße 14 in Hamburg geboren wurde. Aber an den ersten Bischof von Hamburg werden seine jüdischen Eltern nicht gedacht haben. Felix wird, wie auch seine drei Geschwister, in der evangelischen Kirche getauft. Der Zugang zur Bibel, den er als Heranwachsender findet, wird für sein späteres musikalisches Wirken von erheblicher Bedeutung sein.
Felix Mendelssohn-Bartholdy ist Hamburger wie Angela Merkel. Das heißt: Hier zwar geboren, aber dann schon bald weggezogen. Mit sieben Jahren erhält er in Berlin Klavierunterricht, verfasst als Elfjähriger erste Kompositionen und ergreift als Kind wohlhabender Eltern alle Möglichkeiten, sich mit Kunst, Musik und Literatur vertraut zu machen.
Weihnachten 1823 schenkt ihm seine Großmutter eine Abschrift von Bachs Matthäuspassion. Diese war in Auszügen sowie mit Veränderungen und Ergänzungen zwar gelegentlich aufgeführt worden. So etwa von Carl Phillip Emmanuel Bach in Hamburg. Aber das Gesamtwerk galt als nicht spielbar. Mendelssohn, der neben Kompositionen Bachs und Händels auch Werke Palestrinas und Orlando di Lassos kennen- und schätzen gelernt hatte, plant das scheinbar Unmögliche.
Am 11. März 1829 ist es soweit. Die Matthäuspassion Johann Sebastian Bachs wird in der Berliner Singakademie aufgeführt und gehört seitdem zum festen Bestandteil der Musik im Kirchenjahr. Eine weitere musikhistorische Großtat gelingt Mendelssohn zehn Jahre später mit der Uraufführung der großen C-Dur Symphonie von Franz Schubert, die vorher ebenfalls als nicht spielbar galt. Heute ist sie ein Glanzstück jedes angesehenen Orchesters.
Als Pianist, Dirigent und immer stärker auch Komponist macht sich Mendelssohn einen Namen. Im März 1833 wird in London seine italienische Symphonie uraufgeführt. Beim Rheinischen Musikfest in Düsseldorf dirigiert er Händels Oratorium "Israel in Ägypten", ein gewichtiger Beitrag zur Händel-Renaissance des 19. Jahrhunderts. In Düsseldorf beginnt er auch mit der Komposition seines Paulusoratoriums. Er vollendet es als Kapellmeister des Gewandhauses in Leipzig. Am 22. Mai 1836 wird es in Düsseldorf uraufgeführt. Unter "lebhaftester Zustimmung", wie Robert Schumann vermerkt.
Das Jahr 2009 mit dem 2000. Geburtstag des Apostel Paulus und dem 200. Geburtstag Mendelssohns ruft besonders nach der Aufführung dieses Oratoriums. Am 25. Juni steht es im Hamburger Mariendom auf dem Programm. Im Wechsel von Chören, Rezitativen und Arien, deren Texte bis auf wenige Ausnahmen der Bibel entnommen sind, lassen sich unschwer Bach und Händel als Vorbilder erkennen. Aber die Formenstrenge der Barockmeister ist hier in die Gefühlswärme der Romantik verwandelt, die einen unmittelbaren Zugang ermöglicht.
Die biblischen Texte mit der Steinigung des Stephanus, der Bekehrung des Paulus und seiner Missionstätigkeit finden in Mendelssohns Vertonung leicht offene Ohren und Herzen. Was ich als Prediger oft umständlich mit Worten erklären muss, ereignet sich in der Musik Mendelssohns auf direkte Weise. So wenn der wie vom Blitz getroffene Paulus mit Psalm 51 Gott um Vergebung bittet. Oder wenn der Chor mit Worten des Römerbriefs die Boten des Evangeliums besingt. In Passagen wie diesen legt Mendelssohns Komposition überzeugend die Bibel aus.
Das gilt in besonderem Maße auch für das fast zehn Jahre später entstandene Oratorium "Elias". Beide Oratorien sollten nach Mendelssohns Plänen mit einem Christus-Oratorium zu einer Trilogie werden, die Altes und Neues Testament, Judentum und Christentum verbindet. Aber dazu kommt es nicht mehr. Felix Mendelssohn-Bartholdy stirbt am 4. November 1845 an einem Gehirnschlag. Das Christus-Oratorium bleibt Fragment, mit den unvollendeten Teilen "Geburt Christi" und "Leiden Christi".
Die Bezeichnung Mendelssohns als "musikalisches Wunder" stammt von Heinrich Heine. Aber trotz gelegentlicher Begegnungen und obwohl Mendelssohn Gedichte Heines vertonte, sind sie in ihrem Denken und Empfinden einander fremd geblieben.
Der Autor, Erzbischof Werner Thissen, leitet seit 2003 das Erzbistum Hamburg.