Meine erste Begegnung mit Mendelssohn fand am Klavier statt: Als ich zwölf war, fiel mir eine alte Ausgabe seiner “Lieder ohne Worte“ in die Hände,
Meine erste Begegnung mit Mendelssohn fand am Klavier statt: Als ich zwölf war, fiel mir eine alte Ausgabe seiner "Lieder ohne Worte" in die Hände, die ich dann vom Blatt durchgespielt habe. Ich war sehr angetan von der Musik, und fing in der Zeit auch an, ins Konzert zu gehen. So lernte ich einige Orchesterwerke kennen - vor allem berühmte Stücke wie das Violinkonzert oder die "Schottische" Sinfonie.
Mendelssohn war in den 70er-Jahren in Australien richtig in Mode - aber ich glaube, er war auch nie richtig aus der Mode. Weil unsere Rezeption eher nach dem englischen Modell funktioniert. (Ich dachte übrigens früher auch, Mendelssohn sei Engländer!) Die ganze antisemitische Propaganda der deutschen Tradition spielt da gar keine Rolle. Wenn man etwas an ihm kritisiert, ist es seine Eleganz, die mit dem viktorianischen Zeitalter und einer gewissen Biederkeit in Verbindung gebracht wird. Aber ich empfand das immer als völlig falsch. Für mich ist Mendelssohn eine Fortsetzung von Beethoven und eine wichtige Überleitung zur Romantik. Seine Musik kann sehr elegant klingen, aber sie ist auch voller Witz und Tiefe. Man muss sie nur rauslassen. Der zweite Satz aus dem Klaviertrio, das wir jetzt beim Geburtstagskonzert gespielt haben, ist einer der wunderbarsten Momente der gesamten Trio-Literatur!
Man darf nicht den Fehler begehen, aus ihm einen Brahms machen zu wollen. Das ist er eben nicht. Er hat seine ganz eigenen Stärken. Das wird mir immer klarer, seit ich mit den Philharmonikern seine Kammermusik spiele. Es ist mir ein Rätsel, wie man seine Stücke anhören und nicht sofort von ihrer Schönheit überwältigt sein kann. In dieser Kombination einer starken Sinnlichkeit mit sehr kunstvollen Strukturen hat Mendelssohn etwas sehr Zeitloses, von dem viele heutige Komponisten lernen könnten.
Seine Sinfonien habe ich selber noch nicht dirigiert, da geht es mir genau wie bei Schubert: Ich brauche noch etwas mehr Reife, mehr Zeit zum Nachdenken. Aber natürlich haben wir ihn auch bei den Philharmonischen Konzerten im Programm: In ein paar Tagen dirigiert Yutaka Sado die "Italienische", und im Mai kombiniert Peter Maxwell Davies eigene Werke mit der "Schottischen" Sinfonie. Da haben wir dann wieder einen Mendelssohn aus britischer Perspektive.
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