Mit einem Theaterstück will der Star 2009 auf Tour gehen. Und auch nach Hamburg kommen.

Santa Monica. Anja liegt tot auf dem fahlgelben Boden des neonbeleuchteten Mehrzweckraums in der First United Methodist Church of Santa Monica, 1008, 11th Avenue, heute schon zum dritten Mal. Gleich darauf lauscht sie ihrem Mörder, der höflich erklärt: "Also: Ich schlepp dich erst auf den Stuhl, dann kommt Text, dann zerr ich dich hier herüber - du hast immer die volle Kontrolle. Und dann stranguliere ich dich. Es muss richtig gewalttätig aussehen. Okay?" Anja nickt, das größte Problem haben sie ja schon gestern geklärt: Bitte Vorsicht mit den Halswirbeln - "C5/C6". Das musste gar nicht diskutiert werden: "Hab ich auch - genau C5/C6", sagt der verständnisvolle Würger, der sich in den Probenpausen flugs in den äußerst liebenswürdigen John Malkovich zurückverwandelt.

Der perfekt getürkte Mord soll in drei Tagen seine Uraufführung erleben. In Barnum Hall, dem Art-deco-Theatersaal von "Samohi", der Santa Monica Highschool. Weltstar Malkovich, bekannt aus über 60 Filmen (u. a. "Gefährliche Liebschaften", "Ripley's Game", "Der Unhold", "Being John Malkovich") auf einer Highschool-Bühne?

Die Erklärung ist einfach: Das neue Theater von Santa Monica ist nicht rechtzeitig fertig geworden. Und Malkovich steht auch unter widrigen Umständen zu einem Projekt, wie es nur irgendwo auf einer Party rund um Hollywood anfangen konnte. Es begann mit einem politischen Streit zwischen Malkovich und dem Wiener Dirigenten Martin Haselböck; eine gemeinsame Bekannte, die Kostümbildnerin Birgit Hutter, schlichtete. Und Haselböck, der nach einer Sternstunde für sein amerikanisches Alte-Musik-Ensemble "Musica Angelica" suchte, plante bald mit Malkovich los.

"Unmögliche Dinge einfach anzufangen, um zu sehen, was daraus wird - das ist der höchste Grad an Freiheit", sagt Malkovich jetzt, zwei Jahre später, am Rand der Proben dem Hamburger Abendblatt. Die Suche nach einem Stoff führte auf vielen Umwegen zur Geschichte des österreichischen Serienkillers Jack Unterweger. "Ich möchte mal einen richtig widerlichen Kerl spielen", hatte Malkovich gesagt. Als würde er in seinen Film nur die Netten spielen...

Nun ist es so weit: "Seduction and Despair" (Verführung und Verzweiflung) heißt das Stück von Michael Sturminger. Es verbindet gesprochenen Text, melancholisch-rastlose Videos und barocke bis frühklassische Sopran-Arien zu einer Multimedia-Performance. Auf der Bühne: Orchester und Dirigent, die Sopranistinnen Robin Johannsen (Berlin) und Celine Ricci (San Francisco). Dazu Hauptdarsteller Malkovich, der auch Regie führt, und Anja Krietsch, im Hauptberuf Spielleiterin an der Staatsoper in Hamburg, die Malkovich für fünf Tage assistiert. Haselböck hatte sie in Hamburg bei Händels "Radamisto" schätzen gelernt. "Es soll ein Testlauf werden, eine Art Workshop: Trägt die Idee? Taugt das Stück für eine Tournee-Produktion?", fragt er vor dem Probenstart.

Besonders die Damen in der Produktions-Crew sind Malkovich-Fans und richtig nervös vor der ersten Begegnung: Wird er wirklich kommen? Vorgestern hat er im Pariser Folies Bergères Wiens Festwochen-Intendanten Luc Bondy den "Molière" - den französischen Theaterpreis - weggeschnappt für seine Inszenierung von "Good Canary" von Zach Helm. Natürlich kommt er. Pünktlich um zehn, lässig in T-Shirt, Turnschuhen, Jeans und zartgrauem Jackett, das Skript in einer Jute-Tüte, schlendert er herein. "Hi everybody."

"Jeder Raum, den John Malkovich betritt, ist augenblicklich voll", registriert auch Martin Haselböck. Schwer zu sagen, ob es seine physische Präsenz ist oder die Verstärkerwirkung, ihn aus vielen Filmen zu kennen. Oder der irritierende Silberblick? Die fast hypnotische Stimme? Malkovich spricht außerhalb seiner Rollen relativ hoch und langsam. Sehr langsam, mit langen, suggestiven Pausen, die klarmachen: Hier sucht einer nach der ultimativen Idee, besteht auf dem präzis passenden Wort. Er schaut seinen Gesprächspartnern konzentriert in die Augen, als sei er in diesem Moment alleine für sie da.

Der interkontinentale Flugstress, ablesbar an den Ringen unter seinen Augen, ist vergessen, wenn Malkovich in seine Rolle geschlüpft ist. Und Jack Unterweger ist definitiv seine Rolle.

Jack Unterweger. Der Mann, der 1974 in Wien wegen des Mordes an einer Frau lebenslänglich bekam und im Gefängnis zum Schriftsteller mutierte. Der Hunderte Intellektueller für sich einnahm - unter ihnen Ernest Bornemann, Erika Pluhar, sogar die heutigen Nobelpreisträger Elfriede Jelinek und Günter Grass. Die Bewegung erreicht seine Begnadigung nach fünfzehn Jahren durch Bundespräsident Kurt Waldheim. Der angeblich Geläuterte arbeitet als Autor und Journalist und begeht fast ein Dutzend weiterer Morde an Prostituierten - drei davon, als er für eine Reportage in Los Angeles recherchiert. Er befragt Polizisten während ihrer Fahndung nach dem Mörder, wird endlich erneut gefasst und erhängt sich 1994 in der Nacht nach dem zweiten "Lebenslänglich".

Jetzt spielt Malkovich den Psychopathen, der - surreal genug - nach seinem Tod die ganze Wahrheit in "The Infernal Comedy" verkünden will - ein fiktives Buch, zu dessen Verkaufsstart sein Verlag eine skurrile Lesung mit Musik veranstaltet. Michael Sturminger (der zum Mozart-Jahr 2006 das Stück "I Hate Mozart" verfasste und gefragter Opernregisseur ist) erzählt im Stück von der Versuchung, Minderwertigkeitsgefühle durch Macht über andere zu kompensieren - bis hin zur Auslöschung ihres Lebens. Malkovich dröselt mit tieferer und fester Stimme und einem angelernten österreichischen Akzent die gestörte Persönlichkeit des Serienkillers auf.

Und sagt gleichzeitig: "Für ihn empfinde ich nicht wirkliche Gefühle, mehr für seine Opfer. Es ist doch seltsam, dass die Geschichte des Mörders die Menschen mehr bewegt als die seiner Opfer." Aber eines interessiert ihn: "Man sucht in seinen Figuren immer dasselbe: Wie sehen sie die Welt?" Bei Unterweger kommt dazu "die irre Abwesenheit jeden Mitgefühls. Und die Frage: Wie ist die entstanden?"

Die Frage nach der Wahrheit bestimmt durchgängig das Geschehen. Michael Sturminger erklärt Unterwegers Taten als Ausraster einer geschädigten Seele - und als Taten eines Mannes, der den Wunsch der Gesellschaft nach Resozialisierung des Bösen kaltblütig als Chance sieht, freizukommen und weiterzumorden. Die Wahrheit bleibt im Dunkeln seiner Psyche verborgen. Selbst das Internet, das der auferstandene Unterweger zur Klärung zitiert, gibt nur seine eigenen Legenden wieder.

Da wird eine ernste, eine brutale Story erzählt, und doch sammelt Malkovich immer wieder Lacher - das Publikum braucht etliche Ventile, um den Überdruck dieser mörderischen Geschichte abzulassen. Malkovich unterbricht fahrig Dirigent und Orchester - "diese Musik macht mich einfach nervös" -, und die beiden großartigen Sängerinnen unterbrechen den Text mit italienisch gesungenen Arien von Händel, Boccherini, Haydn, Weber und Mozart. Weniger bekannte Stücke voll großer Gefühle hat Haselböck zusammengetragen: Verlassensein, Verzweiflung, Wut, Trauer. Sie ergänzen perfekt die Emotionen im gesprochenen Text. Malkovich ist davon berührt, auch wenn er gesteht: "Ich bin nicht sehr versiert in klassischer Musik."

Am dritten Probentag versammelt man sich auf der echten Bühne der Barnum Hall; die coole Techniker-Crew - Kerry (Direktion), David (Bühne) und John (Licht) - gibt sich vor dem Start alle Mühe, den kleinen Schuss Malkovich-Alarm herunterzuspielen, der auch sie jetzt packt. Wenig später stellen sie beruhigt fest: Hier arbeitet ein Theaterprofi mit allem Respekt für Leute, die einen guten Job machen. Schließlich war er viele Jahre mit seiner eigenen preisgekrönten Bühnengruppe "Steppenwolf Theatre Company" erfolgreich, bevor ihn 1984 Hollywood entdeckte - für die Rolle des zynischen Fotoreporters in "Killing Fields". "Theater - das ist für mich Leben, das ist Spaß, das ist meine Heimat. Theaterspielen erinnert mich immer wieder an das Leben und dass ich eigentlich mitten im Leben stecken sollte." Er spielt nicht nur, er schreibt auch mal den Text um, wenn etwas klarer werden soll - "Kann mir bitte jemand eine frische Kopie des Stücks besorgen, eine Schere und Leim?", fragt er noch am Abend vor der Generalprobe.

Malkovich auf der Bühne ist ein Meister erschreckender verbaler Ausbrüche, aber auch großer kleiner Gesten. Wie verkörpert man glaubwürdig einen zwiegespaltenen Charakter wie Unterweger? Vor allem, wenn man die meiste Zeit für eine Buchvorstellung an einem Tisch sitzen muss? Ihm reichen zwei Szenen, um klarzumachen, dass hier ein gnadenloser Killer unterwegs ist, der sich seinen Opfern als Frauenversteher nähert. Robin Johannsen, die Unterweger in einer Arie an seine Mutter erinnert, nimmt er zärtlich in den Arm, streicht ihr übers Haar, öffnet eine Haarspange und wirft sie achtlos zur Seite. Dann ein harscher Griff zum Hals - doch sein Opfer kann diesmal gerade noch entkommen. Ein andermal setzt er unterm Tisch mit dem fast unbewussten Zerpflücken einer Blume einen aggressiven Kontrapunkt zur glatten Erzählung von Unterwegers Erfolgsgeschichte.

Erst später im Stück trifft es Anja Krietsch, die sonst von der Seitenbühne auf Regieanweisungen achtet, die Requisiten hütet und dem Nicht-Musiker Malkovich die richtigen Momente für den Fortgang der Handlung anzeigt. Mit den Sängerinnen steht sie jetzt als Statistin auf der Bühne; Malkovich/Unterweger umkreist seine Opfer wie ein Raubtier seine Beute. "Können Sie sich vorstellen, wie das ist: Das Gefühl der Allmacht, das Gefühl, sich auf der Straße jede Frau herausgreifen zu können?", hat er eben gesagt. Jetzt streicht er um die Frauen herum, starrt ihnen in die Augen, als suche er den Grund ihrer Seele, streift ihnen schrille BHs über die Kostüme, taxiert sie mit einem so melancholischen wie gefühllosen Blick.

Etliches hat er spontan ausprobiert, um diese Szene noch stärker zu machen. Fotografieren mit der Kamera im Handy als optischer Übergriff? Oder doch ein prüfender Griff in ihre Haare? Am Ende verlässt er sich doch ganz auf den Malkovich-Faktor, auf die lauernde Körperhaltung, den irritierenden Blick, der mühsam gezügelte Zurückhaltung signalisiert. Fünf Minuten später hat er Anja erneut stranguliert. Und geht, ganz Regieprofi, mit ihr nochmals alle Details durch. Es sieht inzwischen so täuschend echt aus, dass ein amerikanisches Ehepaar bei der Premiere den Saal verlässt und ernstlich protestiert: Man habe Musik erwartet und sei nicht bereit, einen verrückten Frauenmörder zu ertragen.

Zwei Vorstellungen gehen in Barnum Hall über die Bühne; der Saal, der 1200 Zuhörer fasst, ist bei beiden nicht ganz voll - in Los Angeles fährt niemand länger als eine halbe Stunde, um sich unterhalten zu lassen, nicht mal von John Malkovich. Auch der Applaus ist amerikanisch: effektiv, aber ökonomisch. Dafür sind sich am Ende alle Beteiligten einig: Die Generalprobe ist geglückt, das Spektakel wird weitergehen; Gespräche über Aufführungen im Lincoln Center in New York, in Mailand und bei den Salzburger Festspielen gibt es schon, sagt Haselböck. Für andere Termine in Europa sucht Malkovich Lücken in seinem Terminkalender. Auch in Hamburg gibt es Interessenten für die Produktion. Falls der Staatsopern-Spielplan das zulässt, will auch Anja Krietsch wieder dabei sein. Bis es so weit ist, freut sie sich über das Kompliment, das ihr Mörder John Malkovich liebevoll auf einer Mappe mit seinen Regie-Notizen notiert hat: "Thank you for everything. It was lovely working with you."