Ist das Rückrundenspiel im Volksparkstadion Stadtduell Nummer 109, 139 oder sogar 142? Warum sich Experten darüber uneinig sind.
Keine Frage: Die Zahlen müssen stimmen! Erst recht, wenn es um Fußball geht! Noch dazu ums Derby! Insofern löste eine E-Mail, die die Abendblatt-Sportredaktion Mitte vergangener Woche erreichte, durchaus Verunsicherung aus. Eingebettet in freundliche Grüße und motivierende Wünsche für „eine gute, erfolgreiche und reizvolle Berichterstattung“ erhoben die Absender von der WählerInnenvereinigung St. Pauli eine dringlich-mahnend formulierte und in Fettdruck und roter Schrift hervorgehobene Forderung: „Bitte berücksichtigen Sie redaktionell (…), dass es sich bei dem Stadtderby am kommenden Freitag um das insgesamt 139. Spiel der Vereine handelt.“
HSV gegen St. Pauli: Wie oft gab es das Derby?
139? Anlässlich des ersten Zweitliga-Stadtderbys im September 2018 hatte das Abendblatt eine gründliche Inventur der Zahlen vorgenommen und seither den so ermittelten Stand stets wachsam aktualisiert. Demnach stünde nun Derby Nr. 142 an. Oder doch nicht? Verflixt!
Machen wir es uns einfach: Erst mal den Fehler bei den anderen suchen. Ein Check ergibt: Nicht aufgeführt sind das erste Pokalduell aus dem Jahr 1925 sowie alle fünf nach 1985 ausgetragenen Test- und Freundschaftsspiele – darunter das statistisch, topografisch (in Landshut!) und auch trophäentechnisch äußerst brisante und erst im Elfmeterschießen zugunsten des HSV entschiedene Finale um den „Möbel-Biller-Cup“ 1995.
Benefizspiel im Jahr 1949 zählt nicht
Dafür tauchen jedoch einige „Phantom-Derbys“ auf, zum Beispiel ein 3:2 des HSV aus dem Jahr 1949. Nach längerer Suche werden wir fündig. Es hat da am 30. August etwas gegeben, das zu diesem Resultat passt. Eine Benefizveranstaltung unter dem Motto „Der Sport hilft der Kunst“ vor 12.000 Besuchern am Rothenbaum mit einem Fußball-Blitzturnier der Hamburger Oberliga-Vereine. Im Finale: HSV gegen St. Pauli 3:2. Allerdings: Es handelte sich um ein sogenanntes Sechser-Spiel, also mit jeweils nur sechs Spielern. Nein, dieser Kick darf ganz sicher nicht in unsere Derby-Statistik einfließen!
Was wissen wir also sicher? Die Pflichtspiele, also jene Derbys, die im Rahmen von Meisterschaften oder Pokal-Wettbewerben ausgetragen wurden, sind inzwischen recht gut dokumentiert. Auch die rivalisierenden Vereine sind sich diesbezüglich ausnahmsweise einmal einig. Die Recherche-Ergebnisse, die die Redaktion des Vereinsmagazins „HSVlive“ anlässlich des ersten Zweitliga-Derbys im September 2018 vorlegte, wurden zum Rückspiel im Millerntor-Heft „Viva St. Pauli“ von FCSP-Chronist Ronny Galczynski in seiner „ultimativen Derby-Statistik“ bestätigt.
Beide Auflistungen beinhalten jene sieben Punktspiele zwischen 1919 und 1923, in denen die Fußballer vom Millerntor noch unter dem Dach ihres Vorläufers „St. Pauli Turnverein“ sportelten. Eine Lesart, die mittlerweile auch von der Schwarm-Intelligenz in der Internet-Enzyklopädie Wikipedia unter dem Stichwort „Hamburger Stadtderby“ geteilt wird.
Ein Derby wegen Fliegeralarms abgebrochen
Als fehlerbehaftet entpuppt sich für unsere Frage eher der komplexe Komplex der als „Test- und Freundschafts-“ beziehungsweise früher als „Privat- und Gesellschaftsspiele“ bezeichneten Begegnungen. Mit exaktem Spieldatum und durch Berichte und Meldungen aus Tageszeitungen und der Sportfachpresse belegt sind in diesem „Heuhaufen“ derzeit 33 „Nadeln“: 32 dieser Spiele wurden zu Ende gespielt, eines jedoch beim Stand von 1:0 für St. Pauli kurz vor der Halbzeitpause vorzeitig abgebrochen.
Den Hinweis auf dieses „versteckte“ (und in den meisten Statistiken deshalb fehlende) Derby entdeckte der Sportwissenschaftler Ralf Klee 2017 bei Recherchen im HSV-Archiv. Dort ist auf vergilbtem Papier die mit Bleistift notierte HSV-Aufstellung des Privatspiels vom 22. April 1945 gegen den FC St. Pauli abgeheftet. Eines der letzten Fußballspiele im untergehenden Deutschen Reich. Der Grund für den Spielabbruch am Rothenbaum ist indes dokumentiert: Fliegeralarm!
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Unterm Strich bleiben wir deshalb dabei: Wir stehen demnach aktuell vor der 142. Begegnung beider Vereine (das 28. im Volkspark). Es ist das 109. Pflichtspiel und zugleich der 100. Vergleich im Rahmen einer Meisterschaft. Wer daran zweifelt, andere Spiele und Tore kennt oder um weitere authentische Bleistiftnotizen weiß, möge schleunigst vortreten. Oder für immer schweigen.