Hamburg. Nach der Verlängerung des Lockdowns debattierte das Abendblatt kontrovers – auf dieser Seite geht die Diskussion weiter.
Das Coronavirus ist schuld
Es ist gerade ein großes Horn, in das sehr viele tuten – und jetzt auch Sie noch. Wie kann man von der Regierung „eine Perspektive“ sprich, ein exaktes Ausstiegsdatum, erwarten (auf das man dann die Regierenden festnageln will, egal, wie hoch die Infektionszahlen dann noch wären), wenn wirklich niemand diesen Zeitpunkt kennen kann? Hat man denn im Kanzleramt eine Kristallkugel? Und dann diese Inzidenzzahlen, die jetzt, wie unfair, wie empörend, einfach auf 35 gesenkt wurden! 50 war schon eine Zumutung und jetzt, wo wir fast da sind ... pfui! Da ist es bereits, dieses Festnagelnwollen.
Dabei ist bereits vor Wochen darauf hingewiesen worden, dass aus Sicht der Fachleute über Lockerungen erst nachgedacht werden sollte, wenn die Zahlen unter 25 sinken würden. Hat wieder niemand zugehört – wollte wohl eh keiner hören. Alle wollen wieder shoppen, feiern, essen gehen, verständlich, Nase voll. Aber Sie tragen dazu bei, dass es die böse Regierung ist, die „schuld“ ist am Freiheits- beziehungsweise Umsatzverlust. War da nicht so was wie ein mutierendes Virus? Nö, nicht so wirklich, woanders gehen die Zahlen ja auch schon runter! Hätte nicht gedacht, dass ich diese Regierung, diese Kanzlerin, noch mal verteidigen würde. Wolfgang Ahrens
Können wir nur Lockdown?
Ich bin voll und ganz der Meinung von Herrn Iken! Man kann nicht einfach den Inzidenzwert immer weiter nach unten schrauben. Anscheinend befürchtet man nun, dass der ursprünglich angestrebte Wert von 50 zu schnell erreicht wird und hat diesen nun (vorerst?) auf 35 gesenkt. So entsteht tatsächlich der Eindruck, dass Deutschland und unsere Politiker nur Lockdown kann/können, ohne Rücksicht darauf, dass immer weiter unsere Grundrechte verletzt werden und vor allem immer mehr Betriebe kaputtgehen. Heidemarie Mangelsen
Wie im Kindergarten
Danke für Ihr Kontra zur Verlängerung des Lockdowns in Hamburg und der Bundesrepublik. Ich komme mir vor wie im Kindergarten: Erst heißt es, Inzidenz bei 50, dann ist der Wert fast erreicht und wird reduziert … Das ist lächerlich, für mich ist das ein Umgehen mit der Angst. Mir ist auch nicht klar, warum ein Friseur öffnen darf, ein Buchladen jedoch nicht. Außerdem geht es ja wohl darum, ein Leben MIT dem Virus zu finden statt eines gegen das Virus. Danke für Ihre Zeilen. Sie sind aufbauend. Penny Kallmorgen
Mit den Kräften am Ende
Andere Bundesländer öffnen die Schulen, Hamburg nicht, und Herr Tschentscher appelliert, wir sollen in den Ferien zu Hause bleiben. Ja gern, aber ohne fehlendes Freizeitangebot werden diese Ferien zum Albtraum! Die Nerven liegen bei meinem Kind (zehn Jahre) und mir schon seit Wochen blank. Keine Geschwister oder andere Personen zur Ablenkung, kaum Bewegung, zu viele Süßigkeiten und Medienkonsum und „nebenbei“ noch Homeoffice.
Wir sind am Ende mit unseren Kräften, und nun kommen auch noch die Ferien. Das Kind hat dann noch nicht mal Schulsachen zu erledigen und hängt den ganzen Tag rum, während ich versuche zu arbeiten. Die gebuchten Sportkurse für die Ferien fallen aus. Und nun? Noch mehr Süßigkeiten und Medienkonsum? Lasst die Kinder nicht noch weiter verkümmern und öffnet das Freizeitangebot! Was nützt mir ein neuer Haarschnitt, wenn mein Kind lethargisch, unmotiviert und vielleicht depressiv wird? Tanja Lindenau
Gleicher Maßstab für alle
Natürlich sind Lockerungen zwingend geboten, um die Akzeptanz der Beschränkungen zu erhalten. Mag widersprüchlich klingen – ist es aber nicht. Im Supermarkt darf ich mit den bekannten und sinnvollen Auflagen einkaufen. Aber warum ist die Infektionsgefahr größer, wenn in den Regalen Schrauben (Baumarkt) und keine Lebensmittel liegen, obwohl die Hygienemaßnahmen gefordert und eingehalten werden?
Warum darf ich mit einer Kundenkarte einkaufen, aber ohne eine solche nicht? Warum darf ich Blumen im Supermarkt kaufen, aber nicht unter freiem Himmel im Gartencenter oder Blumenladen? Ergo: Lockerungen ja, indem in allen Branchen derselbe, gern auch strenge, Maßstab angelegt wird. Mathias Pregartbauer
Zu kurz gedacht
Ich vermisse in dem Handeln der Verantwortlichen die zusätzliche Fokussierung auf Digitalisierung (z. B. Tracking), Technik (z. B. mobile Luftreiniger) und intelligente Abwehrprozesse (z. B. testen, testen, testen). Den Kampf nur mit Schließungen und Verboten statt mit Fördern von Vernunft, Vertrauen und konsequenter Ahndung von Regelbrechern zu führen, ist zu kurz gedacht. Offensichtlich wird uns Corona noch lange begleiten. Die erhoffte Herdenimmunität rückt in die Ferne. Die Ausrottung der Pocken hat auch sehr lange gedauert. Allein deswegen muss es nachhaltige Strategien geben. Zsolt Engli
Auf Freiheit verzichten
Die Pro-Haltung von Frau Gall ist hervorragend argumentiert. Leider gab es in der Vergangenheit immer auch wieder Redakteure, die über 50.000 Menschenleben ignorieren wollten und die Mahner Tschentscher, Söder, die Bundeskanzlerin oder Lauterbach diskreditierten. Ich verzichte auf Datenschutz oder Eingriffe in die Freiheit und andere Dinge, wenn ich Menschenleben erhalten kann.
Die Kontra-Haltung findet sich seit Monaten in allen Beiträgen von Herrn Iken. Dem Bundeskanzleramt oder Herrn Tschentscher eine Einmauerung zu unterstellen, ist sachlich nicht richtig und zeugt von einseitiger Betrachtungsweise. Manfred Simmank
Hamburg, geh du voran!
Die Frage ist doch, ob die Diskussionen über die Inzidenzen überhaupt sinnvoll sind. Was ist denn, wenn dieser Wert wieder steigt? Sollen dann alle Geschäfte und Schulen immer wieder schließen? Wenn wir nicht öffnen, aber andere Bundesländer, dann wird ein Gartencenter- oder Baumarkt-Tourismus entstehen. Das kann doch nicht der Weg sein. Es war erklärtes Ziel, dass wir unsere alten und vorerkrankten Bürger vor dem Virus schützen müssen. Das hätte man durch rechtzeitiges und konsequentes Testen erreichen können.
Dazu hätten wir nur früh genug unkomplizierte Schnelltests benötigt, auch für den privaten Bedarf. Aber so weit sind wir leider auch heute noch nicht. Wir haben es nicht geschafft, unsere Alten zu schützen, haben aber gleichzeitig einen Großteil der Wirtschaft in den Ruin getrieben. Anstelle des medialen Tunnelblicks auf Corona ist eine Großaufnahme der Kollateralschäden mehr als überfällig. Wo bleibt der Blick auf Krankheiten und Tod durch aufgeschobene Operationen, Vorsorgeuntersuchungen und hinausgezögerte Arztbesuche? Auf Gewalt in der Familie, psychische und physische Schäden bei Kindern und Jugendlichen durch Homeschooling, Kontakt- und Sportverbot? Auf Unternehmensinsolvenzen, Privatinsolvenzen, Arbeitslosigkeit, finanzielle Nöte und Zukunftsängste?
Auf die emotionale Verarmung und auf schwerst geschädigte Branchen wie Kunst und Kultur, Veranstaltung, Messebau, Touristik, Hotellerie, Sport, Gesundheit und Wellness? Und darauf, wie sich die Einzelhandels- und Gastronomie-Landschaft nach monatelangem Berufsverbot, trotz überzeugender Hygienekonzepte, darstellt – und das auch mit Auswirkung auf das Stadtbild durch verringerte Vielfalt und Leerstand? So unendlich viele Themen und so gut wie keine mediale Beachtung. Wenn das – hoffentlich – einmal aufgearbeitet wird, zeigt es sich, ob die Maßnahmen nicht viel schlimmer waren als das Virus! Und jetzt wird es allerhöchste Zeit, durch Umdenken weiteren Schaden zu verhindern. Hamburg, geh du voran! Beate Heinemann
Geschäfte schrittweise öffnen
Ich denke, unser Bürgermeister tut das Richtige. Es wäre meiner Meinung nach zu früh, jetzt zu lockern. Das Timing mit den Ferien ist unglücklich, gibt den Schulen aber noch etwas Zeit, die Hygienevorschriften umzusetzen. Mir wäre lieber, wenn der Einzelhandel ab März schrittweise öffnen dürfte. Die kleinen Läden zuerst, danach langsam die großen Flächen – wie nach dem ersten Lockdown.
Häuser wie Karstadt und Alsterhaus haben nach dem ersten Lockdown kaum Kontrollen gehabt. Die Häuser waren voll. Panikkäufe waren offensichtlich, aber auch sehr willkommen. Wenn die Regeln eingehalten werden, spricht wenig gegen Lockerungen, auch bei der Gastronomie. Ein schrittweises Vorgehen sollte umgesetzt werden und keine Branche ausgenommen sein. Voranmeldungen sind doch so gut wie überall umsetzbar. Ein Blick nach Asien zeigt, dass es funktioniert. Wer sich nicht daran hält, muss wieder schließen. Am Ende liegt es an jedem selbst. Christian Schierloh
Es geht um Grundrechte
Die Öffnung der Friseursalons ab 7. März, wenn es denn dazu kommt, als erste Maßnahme einer Öffnung verrät, wie die Mittwochentscheider über den großen Michel denken: Diesem sind der Undercut, die Fasson, die Föhnwelle, das krude Äußere wichtiger als Bildung, Kultur, Gastronomie und Einzelhandel.
Die Bevölkerung wird mit einem Miniventil abgespeist, um wenigstens etwas Dampf aus dem Kessel zu nehmen. Eine solche Maßnahme empfinde ich als baren Hohn und verstärke mit Herrn Iken und P. Westendorf: Es geht uns nicht um unser Aussehen, es geht uns um unsere „Grundrechte“, die „abseits ... parlamentarischer Kontrolle“ außer Kraft gesetzt sind. Norbert Richter
Vorsicht statt Leichtsinn
Das Virus kümmert sich nicht um unsere Grundrechte. Und auch nicht um unsere Befindlichkeit. Uns nützen keine Jo-Jo-Grundrechte, sondern verantwortliche Politik für Gesundheits- und Lebensschutz, damit wir alle Grundrechte wieder gesund dauerhaft und umfassend wahrnehmen können. Natürlich kann die Politik die Regeln ändern, wenn die Gefährdung der Menschen wächst – sie muss es sogar.
Bevor wir mit dem Virus leben und es trotzdem kleinhalten können, müssen wir es unter Kontrolle kriegen. Testen, Schützen und Impfen sind dafür keine Alternative, sondern notwendige Ergänzung. Vom Sommer und November 2020 lernen heißt: Vorsicht, Besonnenheit und Verantwortung statt Leichtsinn, Aufgeregtheit und Unachtsamkeit. Wir können den Wettlauf zwischen Impfen und Mutationen gewinnen, wenn wir jetzt vernünftig, diszipliniert und solidarisch sind. Wolfgang Rose
Stolz auf den Senat
Warum haben die Ministerpräsidenten unserer Bundesländer nicht die Fähigkeit, die psychologische Wirkung ihrer abweichenden Meinungen bei der Bevölkerung richtig einzuschätzen? Nach jeder Konferenz mit dem Bundeskanzleramt sind immer einige dabei, die glauben, mit kleinkarierten Argumenten die mühevoll gemeinsam gefundenen Lösungen zu unterlaufen.
Nach einem Jahr Pandemie sollten die Köpfe, die unsere Republik führen, doch begriffen haben, dass in dieser Misere das bei den meisten allenthalben vorhandene widersprüchliche Verhalten – „eigentlich halte ich mich an die gebotenen Regeln, aber im Alltagsverhalten muss doch die eine oder andere Ausnahme möglich sein“ – noch befeuert wird. Als Hamburger bin ich stolz auf unseren Senat, der die Profilierungsspielchen nicht mitmacht. Folkert Bildhauer
Lieber Lockdown verlängern
Schade. Ich wohne mit meiner Familie vor den Toren Hamburgs in Schleswig-Holstein und hätte mir gewünscht, dass auch Ministerpräsident Günther, ähnlich wie Bürgermeister Tschentscher, sich mit Öffnungen zurückhält. Bei allem Verständnis für die Lage des Einzelhandels, aber mir persönlich wäre ein längerer Lockdown lieber gewesen, als jetzt Blumenläden, Nagelstudios, Indoorsport und Zoos zu öffnen. Nicht umsonst warnen zahlreiche Epidemiologen, gerade im Hinblick auf die Virusmutationen, vor einer vorschnellen Öffnung. Karen Stolte
Lasche Quarantäne
Zum Kommentar von Frau Gall wäre noch zu erwidern: In Tausenden Jahren Menschheitsgeschichte war es eine meist bewährte Praxis, bei Bedrohungen von außen die Stadttore zu schließen und die Bevölkerung wehrhaft zu machen. So wurden die Eindringlinge erst mal draußen gehalten. Frau Merkels schlaue Strategie ist es dagegen, die Tore offen auf zu lassen, die Eindringlinge (Mutanten) erst mal reinzulassen und zuzuschauen, wie sie sich vermehren, und die Bevölkerung proaktiv wegzusperren.
Seit November 2020 sind Tests bei Einreise und nach fünf Tagen Quarantäne für 10 Tage aus Risikogebieten obligatorisch, doch niemand hält sich wirklich dran, und die Regierung will solche Regelungen offensichtlich gar nicht durchsetzen. Wenn man sich nicht wehrt, muss man sich halt verstecken. Andreas Kruse
Hohe Kollateralschäden
Ich stimme der Position von Herrn Iken zu! Hinzufügen will ich jedoch ein Argument, welches in der Diskussion immer wieder vernachlässigt wird: Es wird nicht ausreichend berücksichtigt, wie hoch die Kollateralschäden sind. Über die neue Studie des UKE über die psychischen Folgewirkungen von Kindern und Jugendlichen wurde bereits berichtet. Ja, das Virus und der Schutz der Risikogruppen muss ernst genommen werden, aber wie ist es mit der Verhältnismäßigkeit?
Bisher haben 99,6 Prozent der Hamburger Bevölkerung das Virus überlebt! Es wird aber in den meisten Medien nur über Tote und über die Angst vor einer Überlastung des Gesundheitssystems berichtet. Das „Angstvirus“ ist vorherrschend, und niemand berichtet, wie man sich präventiv gegen das Virus schützen kann. Wie können wir mehr Selbstverantwortung übernehmen und lernen, mit dem Virus zu leben anstatt nur gegen das Virus zu „kämpfen“? Die Suizidrate hat sich in Hamburg im Jahr 2020 erhöht.
Existenzängste von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen und Depressionen nehmen exponentiell schneller zu als das Virus. Und unser Bürgermeister Tschentscher hat sich eingereiht in das Team Merkel und die Herren Söder, Lauterbach, Drosten und Wieler. Diese Politiker und Wissenschaftler werden sich vor den Bürger/-innen verantworten müssen für die unverhältnismäßigen Maßnahmen und Kollateralschäden! Es gibt ausreichend auch andere renommierte Wissenschaftlicher als die etablierten Berater der Bundesregierung, die bedauerlicherweise oft nur in den sozialen Medien zu Wort kommen. Werner Fürstenberg
Kommt bald die Inzidenz 20?
Der Auffassung von Herrn Iken kann man ohne Einschränkung zustimmen. Es ist ja doch nicht so, dass mit dem Inkrafttreten des Lockdowns im Dezember – Aus für Gastronomie, Kultur und Friseure – die Infektionszahlen schlagartig nach unten gegangen wären, wie es hätte sein müssen, wenn hier die behaupteten Hauptinfektionsquellen gelegen hätten.
Haben sie offenbar nicht, denn diese Einrichtungen hatten gute Hygienemaßnahmen vorgesehen, und so könnte hier unmittelbar wieder gelockert werden. Doch damit das nicht geschieht, wurde flugs der Referenzwert von 50 auf 35 gesenkt, und die 20 stehen auch schon im Raum. Wirklich, Lockerungen sind überfällig – mit Hygienemaßnahmen, Maske und Abstand, versteht sich. Dr. Gunter Alfke
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Zermürbender Fernunterricht
Als Vater von zwei schulpflichtigen Kindern frage ich mich, wann der Senat endlich einen Stufenplan hinsichtlich der Schulöffnungen erstellen wird? Wie schon im ersten Lockdown werden die Bedürfnisse der Kinder weit zurückgestellt (der Profisport scheint einen deutlich höheren Stellenwert einzunehmen).
Angesichts der erfreulicherweise sinkenden Corona-Fallzahlen ist es unverantwortlich, dass der Hamburger Senat zumindest nicht endlich ein Wechselmodell (Hybridunterricht) einführt und den für Kinder und Eltern gleichermaßen zermürbenden ausschließlichen Fernunterricht beendet. Ein Wechselmodell wäre mit einer konsequenten Hygienestrategie und einer bevorzugten Impfung von Lehrern und Erziehern zu bewerkstelligen. Dr. Carsten Engler