Barsbüttel. Rainer Jürgens schlichtet in Barsbüttel Streit unter Nachbarn. Der Ehrenamtler muss sich vermehrt mit Körperverletzungen befassen.

Das Fraktionszimmer im Erdgeschoss des Barsbütteler Rathauses ist sein Revier. Und irgendwie passt das Engagement von Rainer Jürgens zur Bezeichnung des Raumes. Denn auch in Parteien gibt es unterschiedliche Meinungen, müssen Kompromisse erzielt werden, um in der Außendarstellung ein gutes Bild abzugeben. Der 58-Jährige ist Schiedsmann in der Stormarner Gemeinde, vermittelt bei Nachbarschaftsstreitigkeiten.

Der Schiedsmann hat eine Erfolgsquote von 70 Prozent

Das Ehrenamt verlangt viel Fingerspitzengefühl. Im vergangenen Jahr hat der gelernte Bankkaufmann sieben Fälle behandelt, bei sechs kam es zu einer Einigung. „Und einmal hat der Sturm das Problem beseitigt“, sagt Jürgens. Es ging um einen Baum, der vor dem Schlichtungstermin umgeweht wurde.

Solche Fehden sind der Klassiker. Wildwuchs-Hecken, über die Grundstücksgrenze ragende Äste und dadurch vermehrtes Laub auf dem eigenen Areal – manch einen Bürger bringt das so richtig auf die Palme. Nebenan in seinem Büro, das sich Jürgens mit Bürgervorsteher Peter Eckwerth teilt, sind in einem Schrank Ordner aufbewahrt mit Schlichtungsverfahren aus der Vergangenheit. Im Schnitt sind es in Barsbüttel zehn per anno. Seine Erfolgsquote liegt bei 70 Prozent.

Der kurioseste Fall drehte sich um einen Elektropieper für Wühlmäuse

Der kurioseste Zank war für ihn der um einen Elektropieper für Wühlmäuse – wegen Lärmbelästigung. Jürgens erreichte einen Vergleich. „Seit Corona habe ich vermehrt mit Körperverletzung, Sachbeschädigung und Beleidigung zu tun“, sagt er. „Vor Kurzem hatte ich einen Fall, wo der eine den anderen in den Bauch geboxt haben soll mit anschließender ärztlicher Behandlung.“ Menschen seien im Homeoffice länger als sonst zu Hause, da störe vieles mehr in der Nachbarschaft.

Er berichtet, dass die Polizei genervten Bürgern empfohlen hat, mit ihren Anliegen an den Schiedsmann heranzutreten, weil die Ordnungshüter wichtigere Dinge zu tun hätten. Jüngst echauffierte sich zum Beispiel ein Mann, weil ein Nachbar seine Schuhe von der Fußmatte im Hausflur getreten hatte. „Ich komme mir manchmal wie im Kindergarten vor“, sagt Jürgens.

Bei seinem Arbeitgeber hilft Jürgens Kollegen mit Alkoholproblemen

In der Regel muss er zwischen älteren Menschen vermitteln, formuliert es so: „Junge Leute sitzen hier wenig als Antragsteller.“ So war es auch bei Reibereien um eine Sichtschutzwand zwischen zwei Grundstücken. „Die wurde von einem Herrn gezogen, weil der Nachbar seiner Frau angeblich immer beim Sonnen im Garten zuschaut.“

Anderen zu helfen, das liegt ihm am Herzen. Der Barsbütteler arbeitet bei einem Kreditdienstleister für Landesbanken und Bausparkassen, ist im Unternehmen stellvertretender Betriebsratsvorsitzender und Suchtberater, wofür er eine Ausbildung gemacht hat. Dazu gehörte auch die Hospitation in einer Klinik für Menschen mit Alkohol- und Drogenproblemen. Er unterstützt im Betrieb Kollegen, die Depressionen haben und suizidgefährdet sind.

Amtsgericht Reinbek kontrolliert das Protokollbuch

Beim Schiedsamt ist Jürgens seit 2005, fungierte erst als Stellvertreter und steht seit 2019 an vorderster Stelle. Er wurde von den Ortspolitikern bis 2024 ins Amt gewählt und möchte auch danach weitermachen. „Es bringt mir Spaß, weil ich gern mit Menschen zu tun habe.“ Bei seinen Schlichtungen sei er noch nie zwischen die Fronten geraten, Gewalt sei ihm nicht angedroht worden. Er habe allerdings Personen einfangen müssen, die geschrien hätten vor Wut. „Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Grund von Streitereien oft Jahre zurückliegt und die Sache, über die man mit mir spricht, nur das i-Tüpfelchen ist.“

Um die Chancen auf einen Vergleich zu erhöhen, setzt Jürgens auf eine spezielle Taktik bei der Gesprächsführung. Vor der Verhandlung schlägt er dem Angeprangerten ein separates Treffen vor, möchte beide Versionen hören. Wenn es dann zur Sache geht, muss er schnell und flexibel auf Situationen reagieren, dabei stets Ruhe bewahren. „Ich baue immer auf die soziale Kompetenz beider Parteien“, sagt der Schiedsmann.

Der Schiedsmann unterliegt einer Qualitätskontrolle

Die Verhandlungen sind nicht öffentlich. Meistens trifft er sich mit den Streithähnen mittwochnachmittags, weil das Rathaus dann geschlossen ist. „Bei Körperverletzungen weiche ich auf Dienstag oder Donnerstag aus, da ist im Gebäude bis 18.30 Uhr Betrieb.“ Es wäre also schnell Hilfe da im Falle einer Eskalation. Für das Amt wurde der Barsbütteler geschult, hat unter anderem Seminare in Straf- und Zivilrecht besucht. Dozenten sind in der Regel Richter. Für einen Vergleich erhält er 20 Euro Aufwandsentschädigung. Vorgesetzter ist der Amtsgerichtsdirektor in Reinbek, der ihn auch vereidigt hat. Barsbüttel muss lediglich Räume zur Verfügung stellen.

Jürgens unterliegt einer ständigen Qualitätskontrolle, führt ein Protokollbuch, das vom Amtsgericht begutachtet wird. Bestimmt er einen Termin und eine Partei fehlt unentschuldigt, kann der Schiedsmann ein Ordnungsgeld verhängen. Das hat der Mann, der sich in seiner Freizeit mit Jogging fit hält, noch nicht getan. Einige Barsbütteler wissen offenbar nicht um den Umfang seiner Tätigkeit. Jürgens erzählt von Anrufen, wo Probleme geschildert werden, die außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs liegen. „Ich bin keine Rechtsauskunft“, sagt er über Telefonate, die schnell wieder beendet sind.