Hamburg. Finn Warncke vom Architektenverband BDA Hamburg mahnt schnellere Genehmigungen an, mehr kreative Freiheit – und weniger Auflagen.

Der Hamburg Architekturpreis des Bunds deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) ist ein feines Stimmungsbarometer für die Lage der Branche, aber auch für ihre großen Trends. In wenigen Tagen werden die 2024er-Auszeichnungen vergeben. Finn Warncke, seit 2021 BDA-Vorsitzende, verrät schon jetzt ein paar Entwicklungen. „Die Zahl der Einreichungen war in diesem Jahr etwas niedriger als in den Vorjahren – das kann, muss aber nichts mit der Baukrise zu tun haben. Zwei andere Trends sind deutlich: Es geht verstärkt um das Bauen im Bestand und ge­mein­wohl­ori­en­tierte Projekte”, sagt der Partner des renommierten Büros KPW Papay Warncke Vagt Architekten. „Die Hochglanz-Architektur hingegen befindet sich ein wenig auf dem Rückzug.“ 

Traditionell wird mit den Lesern des Abendblatts der Publikumspreis vergeben, der auf große Resonanz stößt. Warncke wundert das nicht. „Architektur berührt uns im Alltag: Das Wohnungsthema ist in aller Munde, die Stadt verändert sich rasant, überall sind Baustellen.“ In den letzten Jahren sei sehr viel gebaut und die Stadt verdichtet worden. „Da wird die Qualität zum entscheidenden Kriterium.“ 

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„Qualität passt in keine Excel-Tabelle“

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Diese Qualität aber droht in einer Zeit, in der Baupreise und Zinsen zugleich explodiert sind, unter die Räder zu kommen. „Die Baubranche spricht derzeit viel über das serielle Bauen als Allheilmittel, also immer gleiche Typen, die überall entstehen können. So lassen sich Kosten senken, aber die Identität eines Ortes droht dabei verloren zu gehen”, warnt Warncke. Wenn man allein auf Effizienz setze, gehe Qualität verloren. „Da werden schon Staffelgeschosse und Rücksprünge zum Problem, genau wie attraktive Erdgeschosszonen. Die aber sind wichtig, um Orte zu beleben.“ 

Noch ein Thema treibt Warncke um: Seit einigen Jahren spricht die Branche viel über Nachhaltigkeit und graue Energie, die in Bestandsgebäuden gebunden ist. „Wirklich nachhaltig aber sind nur qualitätsvolle Gebäude, die auch in 50 oder 100 Jahren noch funktionieren und geliebt werden.“ Der 56-Jährige warnt davor, bei der Gestaltung zu sparen. „Qualität passt in keine Excel-Tabelle. Wenn am Ende nicht genug Geld für das Gesicht des Hauses übrig bleibt, geraten Langlebigkeit und Nachhaltigkeit in Gefahr.” 

Mit wenig Mehrkosten werden die Häuser ungleich schöner

Mehrkosten beispielsweise von fünf Prozent bei der Fassade machten viel aus, etwa durch die Verwendung eines guten Backsteins oder spannender Gestaltungsideen. „Sie lenken den zweiten Blick auf ein Gebäude.” Es sei ein Warnzeichen, wenn in der öffentlichen Wahrnehmung von „seelenlosen Kisten“ gesprochen werde. „Selbst in der HafenCity, wo gute Qualität umgesetzt wurde, gibt es diese Kritik.“ Weitere Vereinfachungen hält Warncke daher für einen Fehler. „Deshalb kämpfen wir im BDA für gute Qualität.“ 

Eine Lösung soll nun der Gebäudetyp E bringen – das E steht dabei nicht nur für einfach und experimentell, sondern auch für entbürokratisiert. Architekten, Planer, Bauträger und Bauherren können von technischen Normen und Regeln abweichen, um schneller und günstiger zu bauen. „Ob ich 47 Steckdosen in meiner Dreizimmerwohnung brauche oder nur 30, kann ich in direkter Abstimmung und Abwägung mit meinem Planer entscheiden“, beschrieb Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) das Konzept. 

Ein immer besserer Schallschutz führt zu immer neuen Problemen

„Diese Idee war auch ein Hilfeschrei. Wir haben in der Vergangenheit an jeder Stelle weiter optimiert und Gebäude immer stärker technisch aufgerüstet. Auch dadurch sind die Preise extrem nach oben geschossen“, sagt Warncke. Er verweist auf die beliebten Gründerzeitbauten, die eine Fülle von Defiziten haben und trotzdem lebenswert sind. „Wir sollten den Schallschutz nicht über alles setzen, er hat sogar eine soziale Komponente: Es ist doch gut, wenn jemand um Hilfe ruft oder man ein wenig vom Nachbarn mitbekommt.” Er warnt: „Der heutige Schallschutz hat längst einen großen Anteil an der Ressourcenverschwendung, weil die Bauteile so massiv und schwer geworden sind.“ 

Zudem stellen sich da rasch weitere Probleme ein: „Wir haben den Schallschutz immer weiter erhöht, dass die Wohnungen so leise werden, dass Mieter plötzlich die Wasserleitung hören. Daraufhin mussten die Schächte besser gedämmt werden und wurden damit zu warm. Als Konsequenz mussten wir also Kalt- und Warmwasser voneinander trennen und zwei Schächte bauen.“ 

Wie Hamburg die Baukosten nun um ein Drittel senken will

Ein Beispiel, dass zeigt, dass gut plus gut nicht immer besser ergibt. Doch der Gebäudetyp E steht nun vor einer ungewissen Zukunft. Der frische Kabinettsbeschluss könnte im Bundestag scheitern, weil die Ampel auseinandergefallen ist. 

Erfolg versprechender ist für Warncke ohnehin der geplante „Hamburg Standard“. In einem Workshop der Behörde für Stadtentwicklung wird daran gearbeitet, das Bauen rechtssicher zu vereinfachen. „Es gibt eine ganze Reihe von kleineren Stellschrauben, die in der Summe eine Menge ausmachen.“ Die Beteiligten erhoffen sich, dass der „Hamburg Standard“ Anforderungen senkt und Genehmigungsverfahren beschleunigt. Ziel ist es, die Baukosten von 4500 auf 3000 Euro pro Quadratmeter zu senken. Hamburg soll wieder einmal Vorreiter werden. 

Zuletzt baute sein Büro das Johann Kontor

In den vergangenen Jahren hat Warnckes Büro KPW mehrere Großprojekte in der Hansestadt verwirklicht – besonders prominent wie umstritten ist das Johann Kontor am Hauptbahnhof, für das der City-Hof fallen musste. „Das Gebäude steht gut da, ich bekomme viel positive Resonanz.” Der Neubau, in dem Hotel, Büros, Ladenflächen und Wohnungen Platz finden, interpretiert die Idee des Kontorhauses neu und gibt dem Weltkulturerbe eine Fassung. „Wir schließen den neuen Peter-Schulz-Platz direkt gegenüber vom Chilehaus, das schafft einen städtebaulichen Mehrwert. Nun müssen noch die Autos verschwinden, dann bekommen wir einen lebendigen Platz mit Gastronomie.“ 

Johann-Kontor in der City
Das Johann Kontor am Klosterwall schließt das Kontorhausviertel nun angemessen ab. Dort gibt es sogar Sozialwohnungen. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Die Kritik an der „Backsteinwurst“ kann er nicht ernst nehmen und verweist auf das Ensemble des Johann Kontors mit drei Häusern, die eine leichte Stufung besitzen. „Das ist eine schöne, eine imposante Fassade geworden, besonders auch im Detail.“ Die Herausforderung sei gewesen, Ideen des Kontorhausviertels aufzugreifen, ohne zu kopieren oder sich aufzudrängen. 

Warncke zog nach seinem Studium aus Überzeugung nach Hamburg

Die ursprüngliche Bebauung des City Hofs mit seinen vier Hochhausscheiben sieht er differenziert. „Das Gebäude ist extrem vernachlässigt worden. Heute würde man sicherlich noch mehr über den Erhalt diskutieren. Aber die Probleme des Hauses darf man nicht übersehen: Die Passage hat nie richtig funktioniert, die Erdgeschosszone auch nicht“, sagt der Wahlhamburger. 

Dass es den gebürtigen Berliner in die Hansestadt verschlug, ist kein Zufall: Nach seinem Studium in Braunschweig und Zürich machte er bei Meinhard von Gerkan 1996 sein Diplom. „Mein Freundeskreis hatte viel mit der Stadt zu tun. Da war für mich schnell klar, dass ich nach Hamburg kommen möchte.” 

In den vergangenen Jahren hat das Büro gleich mehrere Bauten im Herzen der City entworfen, beispielsweise das Büro- und Geschäftsgebäude Neuer Wall 57, und die Fassade und Aufstockung am Großen Burstah 45 revitalisiert. „Wir durften auch am Ballindamm ein Büro- und Geschäftsgebäude bauen. Es ist ein großes Glück, im Kontext der Binnenalster ein Gebäude aus unserer Zeit zu bauen.” Zufrieden schaut der Architekt auch auf das Katharinenquartier des Büros zurück, mit dem zum ersten Mal seit Langem Wohnungsbau in der Innenstadt verwirklicht wurde. „Das ist ein Projekt, auf das wir sehr stolz sind.” 

Die HafenCity sieht der BDA-Vorsitzende sehr positiv

Am Baakenhafen kam zuletzt das Quartier der Generationen hinzu, das verschiedene Wohnformen integriert. Dort gibt es geförderten Wohnungsbau, Eigentumswohnungen, aber auch Wohnungen für Senioren mit Betreuungsbedarf sowie ein Studentenwohnheim, alles verbunden an einem Platz mit Einzelhandel und Gastronomie. „Das ist guter Städtebau, und wir haben uns bemüht, gute Architektur zu machen.“  

Warncke bricht eine Lanze für die HafenCity: „Wer von außen draufschaut, bescheinigt der Architektur eine hohe Qualität. Wir in Hamburg sind da manchmal vielleicht ein bisschen arg kritisch.” 

Immobilien Hamburg: Ein Problem bleiben die langwierigen Baugenehmigungen

Nun bringt das Büro in Bramfeld ein weiteres Wohnungsbauquartier auf den Weg, das sich um einen Park gruppiert. „Wir warten täglich auf die Baugenehmigung, die schon seit bald zwei Jahren geprüft wird.“ Leider seien solche Wartezeiten inzwischen der Normalfall, was angesichts der Krise am Bau und des Wohnungsmangels ärgerlich sei. „Wir sind nun in Hamburg dabei, die Verfahren zu beschleunigen. Das ist ein gemeinsamer Anspruch von Bauschaffenden und Verwaltung.“ 

Eine gewisse Entbürokratisierung könne helfen, die Krise schneller zu überwinden. „Wir müssen die Fähigkeit zurückerlangen, Dinge auch einmal zu entscheiden und mutiger im Abwägen zu werden, so wie wir es früher waren. Wir sollten nicht mehr monatelang diskutieren, ob Fluchtwege in der Tiefgarage 30 oder 31 Meter sein dürfen.” 

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Fünf Fragen an Finn Warncke

Meine Lieblingsstadt ist Hamburg. Ich lebe seit 28 Jahren hier, und die Stadt fasziniert mich bis heute – sowohl das mondäne weiße Hamburg rund um die Alster als auch das rote Backstein-Hamburg der Speicherstadt und des Kontorhausviertels. 

Mein Lieblingsstadtteil ist Winterhude. Die Lage zwischen Alster und Stadtpark überzeugt, es gibt viele nette kleine Einkaufsstraßen, und es geht unaufgeregt zu. Winterhude ist mit der roten Jarrestadt und den weißen Gründerzeitquartieren ein Abbild Hamburgs im Kleinen.

Mein Lieblingsort? Da gibt es sogar zwei: Ein magischer Ort ist die Lombardsbrücke, wenn man aus dem Zug auf die gute Stube von Hamburg, auf Binnen- und Außenalster schaut. Der zweite magische Ort ist die Strandperle mit dem lieblichen Övelgönne im Rücken und auf der anderen Seite die Rauheit des Hafens. Diese Kontraste machen Hamburg aus. 

Mein Lieblingsgebäude ist das Brahmskontor gegenüber der Laeiszhalle, eines der vier größten Kontorhäuser der Stadt. Wir durften es vor einigen Jahren sanieren und modernisieren. Es war einmal das höchste Profangebäude Hamburgs, ein faszinierender Stahlbau mit einer davor gehängten Backsteinfassade. 

Einmal mit der Abrissbirne bin ich – nicht zuletzt als Erster Vorsitzender des BDA – vorsichtig. Aber die Schaartorbrücke, unter der die Alster in die Elbe fließt, ist völlig überdimensioniert. Sie wurde einst als Autobahnzubringer zur Michelwiese, wo ein weiterer Elbtunnel entstehen sollte, geplant. Dieser magische Ort, wo die Alster in die Elbe fließt, wird heute vom Verkehr dominiert. Daraus ließe sich mehr machen.