Hamburg. Mehr Bewerber, weniger Angebot: Dennoch sind im aktuellen Ausbildungsjahr viele Lehrstellen noch unbesetzt. Ein Ranking nach Branchen.

Michael Lübke hat Glück gehabt. Der Geschäftsführer der Evos Hamburg GmbH hat mit Niklas Dreier und Tabea Pienkoß zwei Auszubildende gefunden und eingestellt, die den hohen Fachkräftebedarf des Energie-Tanklager-Unternehmens im Hamburger Hafen auch künftig sichern sollen. Dabei haben sich die beiden 22-Jährigen trotz Abiturs (Tabea) und Fachabiturs (Niklas) bewusst gegen das Studium und für etwas Handfestes entschieden.

„Ich wollte lieber mit meinen Händen arbeiten“, erzählte Niklas Dreier am Montag anlässlich der Hamburger Ausbildungsbilanz. Die eher praxisfremde Hochschullandschaft sei nicht so seine Welt. Tabea Pienkoß geht es ähnlich. Sie hat nach dem Abitur zunächst einige Semester in Halle an der Saale studiert, bevor sie nach Hamburg zurückkehrte und sich für die Ausbildung zur Fachkraft für Hafenlogistik entschied. Von Evos hatten beide über Mund-zu-Mund-Propaganda gehört. Bewerbung, Probearbeiten, Zusage – das sei alles sehr schnell gegangen.

Ausbildung in Hamburg: In welchen Berufen Auszubildende die besten Chancen haben

Niklas Dreier hat zudem beeindruckt, dass der „Chef“ Michael Lübke ihn zum Kennenlernen persönlich durch den weitläufigen Betrieb mit seinen 150 riesigen Tanks geführt hat. Auch Tabea Pienkoß lobte das gute Arbeitsklima unter den 150 Beschäftigten in Hamburg: „Wir sind wie eine große Familie.“ Eine Einstiegsvergütung für Azubis von rund 1000 Euro brutto, 14 Monatsgehälter und kostenloses Mittagessen sind natürlich auch Argumente.

Aus Sicht von Michael Lübke ist das gut investiertes Geld. „Gold wert“ seien gute Nachwuchskräfte, sagte der Evos-Geschäftsführer. Das internationale Unternehmen mit Sitz in Amsterdam tätige vor dem Hintergrund von Klimawandel und Energiewende riesige Investitionen in seine Tanklager und plane lang im Voraus. „Aufgrund unseres Zehnjahresplans wissen wir, dass das Risiko des Fachkräftemangels sehr groß ist“, sagte Lübke. Daher setze man auf Ausbildung und fördere junge Talente gezielt. Ein früherer Azubi sei heute stellvertretender Betriebsleiter.

Jobs in Hamburg: 1240 Ausbildungsplätze sind in der Hasestadt noch unbesetzt

Dass sich alles so perfekt fügt, ist allerdings leider nicht die Regel. Denn obwohl nach den Daten der Agentur für Arbeit Hamburg die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber um einen Ausbildungsplatz in Hamburg mit 7038 um 12,7 Prozent über dem Vorjahr liegt und die der gemeldeten Stellen mit 10.589 minimal zurückging (um 0,4 Prozent oder 42 Stellen), waren Ende September noch 1240 Stellen unbesetzt – 228 oder 22,5 Prozent mehr als im Vorjahr.

Die Zahl der „unversorgten“ Bewerber ohne Ausbildungsplatz lag mit 1024 sogar um 35 Prozent über dem Vorjahr (758). Rechnet man auch die vollschulischen Ausbildungen, etwa im Pflege- und Gesundheitsbereich, hinzu, haben gut 17.200 junge Menschen in diesem Jahr eine Ausbildung in Hamburg begonnen.

Hamburgs Bildungssenatorin Ksenija Bekeris wirbt für Berufsausbildung

„Wir erleben derzeit eine spannende, aber auch herausfordernde Situation am Arbeitsmarkt“, sagte Sönke Fock, Geschäftsführer der Arbeitsagentur Hamburg. Positiv sei, dass das Angebot an Stellen stabil sei und es mehr Bewerbende dafür gebe. „Nicht zufrieden“ sei er dagegen mit der wachsenden Zahl junger Leute ohne Ausbildungsplatz. „Das muss uns anspornen.“

Auch Bildungssenatorin Ksenija Bekeris (SPD) zog ein gemischtes Fazit. Dass mehr als 17.000 junge Menschen eine Ausbildung begonnen haben, sei einerseits eine gute Botschaft. Dass mehr Stellen unbesetzt bleiben, dagegen nicht. „Wir brauchen jede und jeden“, sagte sie mit Blick auf den Fachkräftemangel und rief die Jugendlichen auf: „Trauen Sie sich!“ Eine Berufsausbildung sichere langfristig Job und Einkommen.

DGB-Kritik: Nur jeder sechste Betrieb in Hamburg bildet aus

„Wir müssen dringend noch mehr Menschen von den Chancen einer Karriere mit Lehre über die duale Ausbildung überzeugen“, sagte auch Sascha Schneider, Vizepräses der Handelskammer. Ein Problem: „Es gibt mehr als 300 Ausbildungsberufe, das macht es nicht leichter“, so Philipp Murmann, Präsident des Unternehmensverbands Nord. Handwerkskammer-Vize Thomas Rath rief die jungen Menschen dazu auf, über Praktika – auch außerhalb der Schulzeit – in Unternehmen hineinzuschnuppern. DGB-Chefin Tanja Chawla nahm die Wirtschaft in die Pflicht: „In Hamburg bildet nur noch jedes sechste Unternehmen aus – das ist es, was uns Sorgen macht.“

Die meisten unbesetzten Stellen gibt es noch für Kauffrauen oder -männer im Einzelhandel: Von 1045 ursprünglich angebotenen Ausbildungsplätzen sind 189 noch frei. Auch Handelsfachwirte (108 von 294 Stellen sind noch unbesetzt) und Verkäufer und Verkäuferinnen (105 von 650) werden noch in dreistelliger Anzahl gesucht.

Wo Auszubildende in Hamburg die besten Chancen haben

Zweistellig ist die Zahl der offenen Ausbildungsplätze in folgenden Branchen: Kaufleute für Büromanagement (53 von 547), Fachkraft für Lagerlogistik (42 von 327), Notarfachangestellte (40 von 81), Straßenbauer (28 von 79), Kaufleute für Spedition/Logistikdienstleistungen (28 von 354), Rohrleitungsbauer (27 von 80), Groß-/Außenhandelsmanagement-Kaufleute (27 von 187), Augenoptiker (23 von 72), Elektroniker Energie-/Gebäudetechnik (22 von 207), Beton- und Stahlbetonbauer (22 von 95), Fachverkäufer Lebensmittelhandwerk/Bäckerei (22 von 67), Maurer (19 von 66), Fachwirtvertrieb Einzelhandel (19 von 69), Industriekaufleute (18 von 174), Kaufleute für Versicherungen/Finanzanlagen (18 von 173), Drogist (16 von 75) und Fachlagerist (15 von 144).

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Als „positiv“ vermerkte die Arbeitsagentur: Für das Folgejahr seien bereits rund 4800 Ausbildungsplätze gemeldet, davon etwa 2800 schon zum 1. Februar 2025: Jugendliche, die zum aktuellen Zeitpunkt noch nichts gefunden haben, hätten daher „weiterhin gute Chancen, dass ihre Wunsch-Ausbildung noch dabei sein wird“, hieß es. Niklas Dreier und Tabea Pienkoß können ihre Generation nur zu diesem Schritt ermuntern: „Uns macht die Ausbildung Spaß“, sagten die beiden Evos-Azubis. „Hoffentlich können wir durch unser Beispiel andere Jugendliche dafür begeistern, diese oder eine andere Ausbildung zu beginnen.“