Hamburg. Firma Otto Dörner schafft in Hittfeld eine bundesweit einmalige Recyclinganlage, die die Metropolregion mit Baumaterial versorgen soll.
Die riesige Kiesgrube an der A1 bei Hittfeld sieht auf den ersten Blick nach traditionellem, handfestem Gewerbe aus. Muldenkipper, Radlader, Pick-ups – kreuz und quer wuseln schwere Baufahrzeuge über das 80 Hektar große Gelände der Firma Otto Dörner. Doch auf einem Teil davon entsteht gerade etwas, das im Vergleich zu Kies- und Sandabbau geradezu Science-Fiction ist: Die Recyclinganlage „Orca“ soll nichts weniger als den Baustoff der Zukunft herstellen.
So stellt sich das jedenfalls die Otto Dörner Kies und Deponien GmbH & Co. KG vor, die hier rund 22 Millionen Euro investiert. Weitere 2,7 Millionen Euro gibt der Bund aus seinem „Umweltinnovationsprogramm“ hinzu, weil die Anlage als bundesweit einmaliges Vorzeigeprojekt gilt. „Das ist die größte Einzelinvestition in der Geschichte von Otto Dörner“, sagt Oliver Dörner, Geschäftsführer des Hamburger Unternehmens, im Gespräch mit dem Abendblatt. „Aber wir glauben fest daran, dass dies die richtige Entscheidung ist.“ Am Dienstag wird Richtfest gefeiert.
Orca soll den Baustoff der Zukunft für Hamburg produzieren
Orca steht für „Otto Dörner Recyclinganlage“, ein Name, der die Komplexität des Projekts nicht einmal andeutet. Denn die Wiederaufbereitung von Bauschutt und Bodenaushub ist in der Branche nichts Neues. Allerdings wird er bislang in der Regel trocken zerkleinert, sodass das Endprodukt immer noch so grob ist, dass es größtenteils nur im Straßenbau eingesetzt werden kann. Nur ein geringer Teil fließt in Form von Recyclingbeton in den Hochbau zurück.
Mit Orca soll sich das Verhältnis umkehren: Die Anlage kann auch noch die winzigsten Anhaftungen von den Kieseln und Sandkörnern lösen, sodass am Ende auch feinste Sande mit Körnungen von null bis zwei Millimeter gewonnen werden, die den strengen Normen der Betonherstellung entsprechen. Daneben werden auch größere Körnungen mit bis zu 32 Millimeter Durchmesser produziert.
Otto Dörner: Recyclinganlage ist so groß wie vier Fußballfelder
„Wir bekommen sehr unterschiedliches Material angeliefert und müssen daraus qualitativ einheitliche Sande und Splitte gewinnen“, beschreibt Projektleiter Peter Adler die Herausforderung, die kurz gesagt lautet: „Aus heterogen homogen machen.“ Gelöst werden soll sie, ganz schlicht gesagt, mit Wasser. In großen Becken wird Oberflächenwasser aufgefangen, mit dessen Hilfe das Material mehrfach gewaschen wird – daher handelt es sich um eine „Nassklassierungsanlage“.
In der Realität stellt sich die Sache jedoch etwas komplexer dar: Auf insgesamt 3,5 Hektar – das entspricht in etwa der Fläche von vier Fußballfeldern – entsteht eine Mammutanlage, die das aus Hamburg und Umgebung angefahrene Material sortiert, mehrfach zerkleinert, durch Siebe mit dem Ausmaß großer Flugzeugturbinen rüttelt und immer wieder wäscht – wobei unzählige Förderbänder, Rohrsysteme und Pumpen zum Einsatz kommen.
Für neue Sand- und Kiesgruben ist rund um Hamburg kaum Platz
Jahrelang haben Peter Adler, Dörner-Geschäftsführer Michael von Malottky und ihre Teams an dem Projekt herumgetüftelt, im Mai 2025 soll es nun in Betrieb gehen. „Wir versuchen, möglichst CO2-neutrale Produkte für die Bauwirtschaft zur Verfügung zu stellen und schonen damit auch unsere Ressourcen, indem wir weniger Sand und Kies benötigen“, sagt von Malottky. „Das ist schon deswegen geboten, weil es durch die zunehmende Konkurrenz von Windanlagen, Solarparks und dem Ausbau vieler Leitungsnetze immer schwieriger wird, neue Sand- und Kiesgruben genehmigt zu bekommen.“
Tatsächlich sind in der Geestlandschaft südlich von Hamburg etliche Ortschaften von Kies- und Sandgruben geradezu umzingelt – dort ist kaum noch Platz für den Abbau. Weiter weg zu gehen, wäre jedoch nicht wirtschaftlich, da die Hansestadt mit ihren unzähligen Baustellen nun mal der Hauptabnehmer des Materials ist und es zu teuer wäre, dies mit Kippern aus mehr als 30 bis 40 Kilometer Entfernung heranzuschaffen. Die Baustoffe durch Recycling selbst herzustellen, ist also auch eine Investition in die Zukunft von Otto Dörner.
Otto Dörner bewegt rund 3,5 Millionen Tonnen Material im Jahr
„Es geht auch um Versorgungssicherheit“, betont Oliver Dörner einen weiteren Aspekt. „Die Kies- und Sandgruben rund um Hamburg werden irgendwann erschöpft sein, die Deponien voll. Wo soll das Baumaterial dann herkommen? Wo soll Altmaterial noch deponiert werden?“, fragt er und betont: „Wir sind daher davon überzeugt, dass Sekundärbaustoffe, wie wir sie mit Orca gewinnen, die Baustoffe der Zukunft sein werden.“
Helfen könnten dabei die Preise: Bei Otto Dörner geht man davon aus, dass die Recyclingbaustoffe sogar günstiger sein werden als die herkömmlichen. Das Familienunternehmen gehört mit seinen mehr als 1200 Mitarbeitern zu den größten im Bereich Ver- und Entsorgung in Norddeutschland. Es bewegt mit seinen aktuell 92 eigenen Lastwagen und 35 Subunternehmern allein im Großraum Hamburg rund 3,5 Millionen Tonnen Material im Jahr.
Hamburg braucht noch viele Orcas, um seinen Bedarf zu decken
Orca kann bis zu 150.000 Tonnen im Jahr aufbereiten. Lediglich drei Prozent davon – etwa Glas, Plastik und Holz – wird man entsorgen müssen, 97 Prozent können dagegen recycelt werden. Rund vier Fünftel davon entfallen auf Sande und Kies, der restliche Schlamm geht durch eine einfamilienhausgroße „Filterkammerpresse“ und endet als ein tonähnliches Produkt. Eventuell könne man daraus Ziegel brennen, aber auch die Zementindustrie habe schon Interesse angemeldet, sagt von Malottky.
Zum Vergleich: In Hamburg werden nach Einschätzung der Dörner-Chefs in normalen Jahren (also ohne Krise am Bau wie derzeit) rund 1,2 Millionen Kubikmeter Beton verbaut, was rund 2,4 Millionen Tonnen Sand und Kies entspreche. Um den Bedarf über Sekundärbaustoffe zu decken, müssten also noch viele Orcas gebaut werden.
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Aus Sicht von Oliver Dörner hat die Baubranche noch enormes Potenzial, um einerseits neue Geschäftsfelder zu erschließen und gleichzeitig etwas für den Klimaschutz zu tun: „In Deutschland fallen pro Jahr 270 Millionen Tonnen mineralischer Abfall an, der mit Abstand größte Posten an Abfall“, rechnet der Enkel von Otto Dörner vor. „Wir machen uns schon viele Gedanken über Altpapier und Altglas, aber wir sollten auch diesen riesigen Abfallberg in den Blick nehmen und möglichst viel davon recyceln und wiederverwenden.“