Hamburg. Baustoffkonzern Holcim rüstet sein Zementwerk nahe Hamburg um. Umweltschützer kritisieren das Hunderte Millionen Euro teure Projekt.
Es ist ein Wort, das Thorsten Hahn nicht so gern hört und nie benutzen würde, aber man kann sagen, dass das Zementwerk in Lägerdorf bei Itzehoe eine der größten CO2-Schleudern in Norddeutschland ist. 1,2 Millionen Tonnen des klimaschädlichen Gases stößt die Industrieanlage pro Jahr aus. In sechs Jahren soll es damit allerdings vorbei sein und der CO2-Ausstoß des Zementwerks, das dem Schweizer Baustoffkonzern Holcim gehört, auf null gesenkt sein.
„Wir werden eine ganz neue Ofenlinie installieren, die spätestens 2029 unter Volllast produzieren soll“, sagt Hahn, der von Hamburg aus die Holcim-Geschäfte in Deutschland lenkt. Dann verlässt das Kohlendioxid das Zementwerk nicht mehr als Gas durch den Schornstein, sondern als Flüssigkeit durch eine Pipeline.
Die Europäische Union fördert das Projekt mit fast 110 Millionen Euro
Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wurde vor Kurzem getan. Hahn nahm einen Förderbescheid der EU für den Werksumbau entgegen. Die Steuerzahler in Europa geben immerhin fast 110 Millionen Euro, damit Lägerdorf künftig klimaneutral produzieren kann. „Die Förderung war nicht die Voraussetzung für das Vorhaben, aber sie macht es natürlich leichter. Und wir sehen darin ein Zeichen, dass die Politik an unsere technische Lösung glaubt“, sagt Hahn. Holcim selbst werde in das Projekt ganz erheblich investieren. „Das Vorhaben wird insgesamt mehrere Hundert Millionen Euro kosten“, sagt der Deutschland-Chef. Das Geld aus Brüssel gleiche im Grunde nur den starken Anstieg der Baukosten in den vergangenen Jahren aus.
Die Zementindustrie gilt als einer der großen Klimasünder hierzulande. Schätzungsweise 20 Millionen Tonnen pro Jahr stoßen die Hersteller aus, das sind etwa zwei Prozent der gesamten Emissionen des Landes. „Alle großen Unternehmen in der Branche arbeiten an Lösungen“, sagt Holcim-Manager Hahn. In den beiden kleineren deutschen Zementwerken des Konzerns würden andere Projekte zu CO2-Reduzierung verfolgt. Und das nicht allein aus Sorge um das Weltklima. Es gibt handfeste wirtschaftliche Gründe für die Unternehmen, Zement möglichst klimaschonend herzustellen.
Zum einen müssen sie für ihren Schadstoffausstoß Verschmutzungszertifikate kaufen, deren Preis zuletzt massiv gestiegen ist. Zum anderen verlangen die Kunden zunehmend nach Beton, der mit Zement hergestellt wird, der das Klima mindestens weniger schädigt. „Einer wachsenden Zahl von Unternehmen ist wichtig, dass sie nicht nur klimafreundlich produzieren, sondern dass Gebäude, die für sie gebaut werden oder die sie nutzen, möglichst umweltverträglich sind“, sagt Hahn. Auch deshalb hat Holcim vor gut drei Jahren einen Beton mit sogenanntem Ecoplanet-Zement auf den Markt gebracht.
Wie soll Lägerdorf binnen weniger Jahre komplett klimaneutral werden?
Pro Kubikmeter Beton werde deutlich weniger CO2 ausgestoßen. Geliefert wurde Beton mit diesem Zement unter anderem auf die Baustelle des Überseequartiers in der HafenCity. Dadurch sei die Kohlendioxidlast des Neubaus um 50.000 Tonnen niedriger ausgefallen, heißt es. Derzeit nehme Holcim an der Ausschreibung für CO2-reduzierten Beton an die Baustellen der klimapolitisch umstrittenen neuen U-Bahn-Linie U 5 in Hamburg teil, sagt Hahn.
Wie aber soll eine CO2-Schleuder wie Lägerdorf, in deren Brennöfen eine Temperatur von 1450 Grad Celsius herrscht, binnen weniger Jahre komplett klimaneutral werden? Allein mit anderen Brennstoffen wäre das nicht zu erreichen. Verfeuert werden im Zementwerk unter anderem Braun- und Steinkohle, Öl und Dachpappe, Kunststoffreste und sogar geschredderte Rotoren von Windkraftanlagen.
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Das wird voraussichtlich auch nach 2029 so sein. Durch die Brennstoffe entsteht jedoch nur ein Drittel der insgesamt 1,2 Millionen Tonnen CO2. Die anderen zwei Drittel wären beim besten Willen und dem Einsatz anderer Brennstoffe nicht wegzukriegen. Sie entstehen zwangsläufig, wenn Kalkstein bei so hohen Temperaturen zum sogenannten Klinker gebrannt wird.
Holcim will das Einfangen und Einlagern von CO in einem Werk in Polen erproben
Die Lösung ist, das CO2 vollständig aus dem Abgas herauszuholen. Das kann derzeit nicht gelingen, weil der Sauerstoff, der für die Verbrennung gebraucht wird, aus der Umgebungsluft stammt, und das Kohlendioxid im Abgas nur gering konzentriert ist. Der neue Ofen dagegen soll von der Umgebungsluft abgekapselt sein, in ihn wird reiner Sauerstoff eingeleitet. Experten nennen es das Oxyfuel-Verfahren. „Der Vorteil ist, dass das CO2 nach der Abscheidung bereits eine Reinheit von rund 90 Prozent aufweist. Es wird weiter konzentriert, gekühlt und unter Druck verflüssigt“, beschreibt Hahn das Vorgehen. Letztlich sollen 1,2 Millionen Tonnen flüssiges CO2 von Lägerdorf durch eine noch zu bauende Pipeline voraussichtlich nach Brunsbüttel fließen.
Und dann? In der Raffinerie in Heide (Kreis Dithmarschen) solle aus Kohlendioxid und Wasserstoff Methanol gewonnen werden, sagt Hahn. Denkbar sei auch, das CO2 als Rohstoff an die chemische Industrie zu verkaufen. Ein anderer derzeit diskutierter Weg ist in Deutschland nicht möglich: Die unterirdische Einlagerung des klimaschädlichen Gases, die in Norwegen bereits praktiziert wird und in Dänemark seit Kurzem zulässig ist.
Holcim will das Einfangen und Einlagern von CO2 in einem Werk in Polen erproben. Die EU gibt für dieses Projekt sogar mehr als 200 Millionen Euro Förderung. Das Kohlendioxid aus Lägerdorf soll hingegen als Wirtschaftsgut genutzt werden. Wird es mit Wasserstoff zu Methanol als Grundlage für neuartige Kraftstoffe weiterverarbeitet, hätte das jedoch einen Nachteil. Das CO2, das mit großem Aufwand im Zementwerk aufgefangen wird, würde bei der Verbrennung des Kraftstoffs letztlich wieder freigesetzt.
Holcim-Manager Hahn kennt diese Einwände. Er setzt darauf, dass sich ein Markt für Kohlendioxid und eine Art Nutzungskreislauf entwickeln. „Die chemische Industrie nutzt bei der Herstellung von Kunststoffen heute noch ganz überwiegend Kohlenstoff aus fossilen Quellen, reines CO kann aber auch eine Kohlenstoffquelle sein.“ Wird daraus zum Beispiel ein Legostein hergestellt, sei in dem das Kohlendioxid zunächst einmal gebunden. Wird der Legostein letztlich zum Brennstoff in einer Anlage wie Lägerdorf, wird der Klimakiller dort eingefangen und erneut zum Wirtschaftsgut. Das ist die Idee.
BUND bezweifelt, dass sich ein Kohlenstoffkreislauf entwickelt
Der Umweltverband BUND sieht all das allerdings mit großer Skepsis. In seiner Stellungnahme zu dem Projekt weist der BUND unter anderem darauf hin, dass sich der Energiebedarf des Zementwerkes mehr als verdreifachen und dass dreizehnmal mehr Kühlwasser benötigt werde. Dass sich ein Kohlenstoffkreislauf entwickeln und CO zum Wirtschaftsgut wird, daran glaubt der Umweltverband nicht.
„Im Moment ist völlig unklar, was mit dem verflüssigten CO2 passiert, wie viel Energie aufgewendet werden muss, um daraus neue Produkte zu fertigen“, sagt Ole Eggers, der Landesgeschäftsführer des Verbandes in Schleswig-Holstein. Er befürchtet, dass das flüssige Kohlendioxid letztlich doch eingelagert werden muss. Eggers: „Es wäre sinnvoller gewesen, die EU-Förderung in die Forschung zu investieren, wie Beton möglichst effektiv recycelt werden kann.“
Thorsten Hahn sagt, dass Holcim auch daran arbeitet. „Derzeit wird geschredderter Beton noch überwiegend als Unterbau etwa im Straßenbau eingesetzt“, sagt er. Ziel sei es, künftig auch einen Beton aus grundlegend aufgearbeitetem Recyclingmaterial anbieten zu können. An Altbeton herrscht kein Mangel, indirekt trägt Holcim dazu derzeit sogar bei. Das Bürohaus an der Willy-Brandt-Straße, in dem die Deutschlandzentrale bis Herbst 2022 Mieter war, wird gerade abgerissen. Die 150 Beschäftigten sitzen jetzt in Büros an der Troplowitzstraße in Eimsbüttel.