Papenburg. Niedersachsen und der Bund helfen mit Milliarden Euro. Trotzdem droht neue Kurzarbeit. Was läuft bei Meyer an der Ems falsch?
Monatelang wurde verhandelt. Jetzt sichern Bundesregierung und das Land Niedersachsen der finanziell angeschlagenen Meyer Werft Milliardenbeträge als Staatshilfen zu. Doch ist das Traditionsunternehmen aus Papenburg damit gerettet? Mitnichten, sagen Experten.
Schon am Montag könnte das Unternehmen auf einer Betriebsversammlung weitere Kurzarbeit ankündigen. Zumindest hat man sich mit der Gewerkschaft auf weitere Maßnahmen verständigt. Zudem steht auch noch die Streichung von 340 Stellen an. Ein erster Schritt, um vorläufig betriebsbedingte Kündigungen auszuschließen. Für 2025 und 2026 drohen dem Unternehmen aber eine Unterauslastung und Verluste.
Es fehlen etwa zwei Aufträge, die in der Corona-Zeit storniert oder gar nicht erst erteilt worden waren. „Der Turnaround muss in Papenburg erst noch geschafft werden“, sagt Heiko Messerschmidt, Bezirkssekretär und Schiffbauexperte der IG Metall Küste.
Meyer Werft in Papenburg noch nicht gerettet: Das sind die Gründe
Die Meyer Werft ist die größte Werft für Kreuzfahrtschiffe in Europa. Sehr viele Urlaubsträume auf See beginnen mit einem Stahlschnitt in Papenburg. Seit Mitte der 2000er-Jahre wuchs die Nachfrage nach Kreuzfahrtenn jährlich. Die Reedereien benötigten immer neuer und größere Schiffe, und die Meyer Werft verstand es, den Hunger zu stillen, indem sie die Sektionsbauweise einführte und Schiffe wie am Fließband produzieren konnte.
Die Familie Meyer baute das Werftgelände aus, errichtete ein Technologie- und ein eigenes Logistikzentrum. Zur Vervollständigung des Portfolios wurde die Neptun Werft in Rostock zum Bau kleinerer Schiffe wie Flusskreuzfahrtschiffe erworben. Und weil es so gut lief, kaufte Meyer 2015 eine Werft im finnischen Turku, um zusätzliche Kapazitäten zu schaffen.
Werftengruppe benötigt noch in diesem Monat frisches Geld
Heute beschäftigt das Unternehmen allein in Papenburg 3300 Mitarbeiter. Hinzu kommen rund 17.000 Arbeitsplätze in der Region, die von dem Unternehmen abhängig sind. Im Auftragsbuch stehen Bestellungen für fünf Kreuzfahrtschiffe, ein Forschungsschiff und der Stahlbau für vier Konverterplattformen für Windkraftanlagen auf dem Meer. Doch schon Mitte September benötigt die Werftengruppe dringend neue Kredite zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs.
Wie konnte es so weit kommen, dass der einst stolze traditionsreiche Betrieb derart in Schieflage geriet? Was musste passieren, dass der Bund und das Land Niedersachsen für 400 Millionen Euro zusammen 80 Prozent der Anteile an der derzeit defizitären Werft übernehmen und zudem für jeweils rund eine Milliarde Euro Bürgschaften geben mussten, um der Werft erst einmal das Überleben zu sichern?
Meyer Werft: Ohne Staatshilfe hätte die Pleite gedroht
Es ist nicht die erste Krise in der fast 230-jährigen Geschichte der Meyer Werft, die seit ihrer Gründung durch Willm Rolf Meyer in siebter Generation in Familienhand geführt wird. Aber es ist die schwerste. Denn wäre der Staat nicht eingesprungen, hätte die Pleite gedroht.
Hat sich die Familie Meyer übernommen? Schiffsfinanzierung ist seit jeher kniffelig und auf Kante genäht. Zwar zahlen Reedereien ihre bestellten Schiffe an. Aber fast 80 Prozent des Preises werden erst überwiesen, wenn das Schiff fertig ist. Üblicherweise springen Banken ein, die die Zwischenfinanzierung zum Bau mit Krediten sicherstellen. Bei standardisierten Schiffen, wie etwa Handelsfrachtern, verläuft das nach einem eingespielten System.
Hat sich die Werft übernommen?
In der Vergangenheit gelang dies auch der Meyer Werft, obgleich sie es deutlich schwerer hatte. Kreuzfahrtschiffe werden nämlich nicht für die Stange produziert. Jedes Schiff muss neu konzipiert werden und ist ein genau auf den Kunden zugeschnittenes Unikat. Rutscht der Käufer in die Insolvenz, verliert das Schiff gewaltig an Wert. Als der asiatische Konzern Genting pleite ging, verlor die bei den MV Werften in Wismar fast fertig gebaute und auf 1,8 Milliarden Euro taxierte „Global Dream“ drastisch an Wert. Schließlich erwarb sie der Konkurrent Disney Cruises für 40 Millionen Euro.
Zudem sind die Banken als Zwischenfinanzierer der Papenburger Werft seit der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg vorsichtig geworden. Sie verlangen jetzt Bürgschaften für ihre Kredite. Denn plötzlich waren die einst solventen Kunden der Werft, die Kreuzfahrtreedereien, hoch verschuldet.
Preise wurden zu knapp kalkuliert
Hinzu kommen Fehler der Werft, Festpreise für die bestellten Schiffe zu vereinbaren, ohne Preisanpassungsklauseln einzufügen. Da aber die Kosten für Material, Löhne und Energie massiv gestiegen sind, wurden die Schiffe teurer. Kurz gesagt: Meyer hat zu knapp kalkuliert.
Jetzt müssen der Bund und das Land Niedersachsen gemeinsam das Unternehmen aus der finanziellen Schieflage holen. Gerade am Mittwoch, als sich die Haushaltsausschüsse der beiden Parlamente mit den Krediten befassten, wurde im Vereinsheim von Blau Weiß Papenburg besonders gezittert. Hier saß der Vorstand des Seniorenvereins der Meyer Werft beisammen. Der noch von Firmenpatriarch Bernard Meyer gegründete Verein zählt derzeit mehr als 322 Mitglieder – alles altgediente, ehemalige Werftmitarbeiter.
Ex-Werft-Mitarbeiter glauben weiter an die Familie Meyer
Der erste Vorsitzende, Theodor Hanneken, hat 50 Jahre auf der Werft gearbeitet. „Es wäre nicht auszudenken, was im Falle einer Pleite hier passiert“, sagt er. „Dann gehen in Papenburg die Lichter aus.“ Nun sei man über die vorläufige Rettung froh. „Auch wenn ich mir nicht habe ausmalen können, dass die Werft einmal ein Staatsbetrieb wird.“
Wie seine Vorstandskollegen hofft Hanneken, dass die Familie Meyer, zu der er weiter großes Vertrauen hat, den Betrieb eines Tages wieder selber übernimmt. Ausgeschlossen ist das nicht: Spätestens 2028 will der Bund, wenn die Werft wieder stabilisiert ist, seine Anteile verkaufen. Und Meyer hat ein Vorkaufsrecht.
Werft-Anteile bald wieder profitabel
Denkbar wäre aber auch, dass ein dritter Investor einspringt. Denn die Kreuzfahrtindustrie kehrt aktuell zu alten Wachstumsraten zurück. Und die Reedereien, die sich in der Corona-Krise schwer verschuldet hatten, können ihre Verbindlichkeiten viel schneller tilgen als ursprünglich gedacht. Das könnte der Meyer Werft, die von allen Schiffbauern das größte Know-how im Kreuzfahrtschiffbau hat, zu alter Geltung verhelfen.
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„Beim Verkauf seiner Anteile könnte die Stadt dann ein Schnäppchen machen“, sagt Reinhard Lüken Hauptgeschäftsführer des Verbands Schiffbau und Meerestechnik (VSM) in Hamburg. Lüken hält die Werft für deutlich unterbewertet. „Ich bin überzeugt, dass der Bund und Niedersachsen ihre Anteile profitabel verkaufen können.“
Davor steht aber der steinige Weg der Sanierung. „Jetzt geht die Rettungsarbeit erst richtig los“, sagt Christian Budde. Sprecher des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums. „Wir wollen nicht ewig Anteilseigner der Werft sein.“