Hamburg. Mehr Abschlag als Miete: Waren Preisklauseln von Getec und anderen Versorgern rechtswidrig? Was Senat, Saga und Mieterverein sagen.
Ihr Fall sorgte Anfang des Jahres für Aufsehen in Hamburg: Fast 3000 Euro sollte Christine Müller an ihren Fernwärmeversorger, die Firma Getec Wärme & Effizienz GmbH Nord, für das Jahr 2022 nachzahlen, dazu künftig einen monatlichen Abschlag von 450 Euro – mehr als die 420 Euro Miete für ihre 68-Quadratmeter-Wohnung in Mümmelmannsberg. „Ich werde zum Sozialfall“, klagte die ehemalige Altenpflegerin im Gespräch mit dem Abendblatt.
Ihr Mut, sich mit dem Energieversorger anzulegen und an die Öffentlichkeit zu gehen, brachte eine ganze Lawine ins Rollen: Etliche ihrer Nachbarn waren mit ähnlich horrenden Forderungen konfrontiert, die Verbraucherzentale und der Mieterverein zu Hamburg wussten von Ärger in ganz Mümmelmannsberg, wo die Getec das örtliche Fernwärmenetz betreibt, zu berichten. Doch auch in anderen Stadtteilen mit anderen Versorgern wurde Ärger publik, etwa in Groß Borstel: Dort verklagte die Baugenossenschaft freier Gewerkschafter den Versorger Vattenfall Energy Solutions wegen der Abrechnungen im Quartier Tarpenbeker Ufer.
Fernwärme in Hamburg: Gerichte überprüfen Abrechnungen
Und wie nun aus den Antworten des Senats auf eine schriftliche Kleine Anfrage der SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Baris Önes und Annkathrin Kammeyer hervorgeht, ist zumindest der Ärger in Mümmelmannsberg noch lange nicht ausgestanden. Demnach hatte der städtische Wohnungskonzern Saga vorsorglich im Interesse seiner rund 4700 Mieterinnen und Mieter in Mümmelmannsberg Widerspruch gegen die Abrechnungen eingelegt. Eine Wirkung hätte das aber nur, wenn ein Gericht die Unwirksamkeit der von der Getec verwendeten Preisanpassungsklauseln feststellen würde – das ist aber noch nicht geschehen.
Zweitens habe die Saga auch ihrerseits eine juristische Prüfung der Preisanpassungsklauseln der Getec veranlasst, so der Senat. Doch auch diese Prüfung sei noch nicht beendet, und das Ergebnis wäre für Getec zudem „rechtlich nicht bindend“. Das Unternehmen habe aber „generell Gesprächsbereitschaft signalisiert“.
Baris Önes: Getec hat Versprechen nicht gehalten
Baris Önes lobt den Einsatz der Saga für ihre Mieter und kritisiert, dass es der Getec an „Kooperationsbereitschaft“ fehle: „Als Monopolist in diesem Gebiet trägt Getec eine besondere Verantwortung. Die Wirksamkeit der Preisanpassungen ist nach wie vor höchst umstritten.“ Was ihn störe: „Obwohl Getec versprochen hat, auf die Menschen zuzugehen und offene Fragen zu klären, ist bisher nichts geschehen.“ Zu diesem Vorwurf von Önes äußerte sich das Unternehmen auf Anfrage des Abendblatts gar nicht.
Seinen zweiten Vorwurf, einen Austausch mit der Saga habe es „bis heute nicht“ gegeben, weist Getec jedoch zurück: „Wir pflegen seit vielen Jahren eine vertrauensvolle Partnerschaft mit der Saga und stehen kontinuierlich in engem Austausch.“ Allerdings sei die Prüfung der Preisgleitklausel „derzeit noch nicht abgeschlossen“.
Mieterverein spricht von „rechtswidrigen Energierechnungen“
Unterdessen meldete sich der Mieterverein zu Hamburg erneut in dem Fall zu Wort und wirft Getec ebenfalls vor, „keine Bereitschaft“ zu einer Einigung mit der Saga zu zeigen. „Den Mieterhaushalten ist ein erheblicher Schaden wegen der rechtswidrig zu hohen Energierechnungen entstanden“, sagte der Vereinsvorsitzende Rolf Bosse – wobei er auf Basis früherer Gerichtsentscheidungen zum Thema Preisgleitklauseln bereits davon ausgeht, dass auch die Getec-Abrechnungen als „rechtswidrig“ eingestuft werden.
Sein Kollege Paul-Hendrik Mann wies darauf hin, dass Mieter normalerweise nicht direkt vom Wärmeunternehmen Schadenersatz verlangen können: „Das muss die Vermieterseite machen. Das nennt man dann Drittschadensliquidation.“ Laut Bosse gibt es in Hamburg etwa 40 verschiedene Fernwärmenetze, die Zehntausende Haushalte versorgen: „Wir gehen davon aus, dass bei zwei Dritteln dieser Netze Wärme zu überhöhten Preisen geliefert wird.“
Fernwärme: Absurd hohe Abschlagszahlung wurde etwas reduziert
Klarheit bringe nur eine Prüfung der Preisklauseln. Er forderte daher alle Vermieter in Hamburg auf, im Interesse ihrer Mieter und Mieterinnen vorsorglich Widerspruch einzulegen.
Der Fall von Christine Müller und ihren Nachbarn liegt allerdings anders. Sie haben direkt Verträge mit dem Fernwärmeversorger Getec, weswegen sich ihre Vermieterin, die Genossenschaft BDS, aus dem Fall herausgehalten hat. Doch auch diesen Betroffenen rät der Mieterverein, Widerspruch gegen die Heizkostenabrechnung einzulegen.
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Dass sich das lohnen kann, hat Christine Müller teilweise bewiesen: Bei ihr hat die Getec die Nachzahlung umgehend um knapp 1000 Euro reduziert – dieser Teil der Forderung war nämlich längst beglichen. Und der monatliche Abschlag wurde im Frühjahr um 40 Prozent gekürzt. Immerhin. Mit mehr als 250 Euro ist er für eine kleine Mietwohnung aber immer noch absurd hoch.