Hamburg. Größter Versorger der Stadt geht mit „dynamischen Tarifen“ in die Offensive. Kann billiger sein, aber Experten warnen vor Risiken.

Den Strom im Haushalt vor allem dann verbrauchen, wenn er gerade günstig ist und damit viel Geld sparen – das klingt aus Verbrauchersicht sehr verlockend. Obwohl technisch längst möglich, stecken solche Angebote noch in den Kinderschuhen. Doch das dürfte sich 2025 ändern, wenn alle Energieversorger solche flexiblen oder „dynamischen“ Stromtarife anbieten müssen. Als einer der ersten großen Anbieter in Hamburg ist Vattenfall damit am Markt.

„ÖkoStrom Dynamik“ heißt der flexible Tarif des schwedischen Energiekonzerns. Der Grundgedanke folgt der Energiewende: Da Strom zunehmend durch wetter- und tageszeitabhängige Windräder und Solaranlagen erzeugt wird, steht er nicht in gleichbleibenden Mengen zur Verfügung. Bei Sonnenschein und Wind gibt es viel Strom, der daher günstig angeboten wird. Nachts oder bei Flaute gibt es dagegen wenig Strom aus erneuerbaren Energien, stattdessen kommt er vorrangig aus Gas- oder Kohlekraftwerken und ist teurer.

Flexibler Strompreis bei Vattenfall: Lohnt sich das in Hamburg?

Mit dynamischen Tarifen sollen die Verbraucher daher motiviert werden, vor allem größere elektrische Geräte oder die Ladestation für das E-Auto dann zu nutzen, wenn der Strom günstig ist. Allerdings ist auch künftig nur ein geringer Teil des Strompreises flexibel.

Bei Vattenfall setzt er sich für Kunden in Hamburg zusammen aus einem Grundpreis von 13 Euro pro Monat, einem „Verbrauchspreis“ (bei anderen Anbietern auch „Arbeitspreis“ oder „Zusatzkosten“ genannt) von 23,30 Cent pro Kilowattstunde und dem variablen Spotmarktpreis. Wie hoch der sein wird, darüber werden die „Dynamik“-Kunden immer einen Tag im Voraus informiert: Anhand der Übersicht über die Börsenpreise des nächsten Tages können sie ihren Stromverbrauch planen. Möglich macht das der „Day-ahead-Markt“, an dem Strom für den Folgetag gehandelt wird. Diese Prognosen seien sehr zuverlässig, so Vattenfall, die tatsächlichen Preise könnten aber mitunter leicht abweichen.

Vattenfall: Flexibler Tarif „belohnt“ Verbraucher

„Unser flexibler Tarif belohnt Verbrauchende, wenn sie dann Strom verbrauchen, wenn ein hohes Angebot vorhanden ist und der Preis niedrig ist“, sagt Carsten Gerasch, leitender Produktmanager bei Vattenfall. „Umgekehrt legt der Tarif nahe, möglichst wenig Strom zu nutzen, wenn das Angebot niedrig und der Preis hoch ist. Unsere Kunden können so Stromkosten sparen und gleichzeitig zur Stabilisierung der Netze beitragen. Dies dient am Ende der Energiewende.“

Voraussetzung ist jedoch ein intelligentes Messsystem namens Smart Meter. Dieses kleine Gerät misst den Stromverbrauch eines Haushalts alle 15 Minuten und übermittelt die Daten einmal täglich an den Versorger. Vorteil für die Kunden: Statt wie bei klassischen Tarifen mit fixen Kosten den Strom im Voraus per Abschlag zu bezahlen, wird bei dynamischen Tarifen am Ende des Monats der tatsächliche Verbrauch rückwirkend abgerechnet.

„Intelligente Stromzähler“ gibt es bei Stromnetz Hamburg

Die Krux daran: Intelligente Messsysteme sind in Deutschland noch kaum verbreitet. Erst von 2025 an sollen sie sukzessive in die Haushalte Einzug halten. In der Hansestadt ist dafür Stromnetz Hamburg zuständig: Das städtische Unternehmen will vom kommenden Jahr an zunächst Kunden mit einem Jahresverbrauch von mehr als 6000 Kilowattstunden und Betreiber von PV-Anlagen mit mehr als 7,0 Kilowatt Leistung umrüsten – das betrifft insgesamt rund 100.000 Zählpunkte im Stadtgebiet.

Wer vorher schon einen Smart Meter installiert haben möchte, kann das dennoch bereits auf der Homepage Stromnetz-Hamburg.de beantragen. Voraussetzung ist nach Unternehmensangaben, dass es vor Ort einen passablen Mobilfunkempfang für die Datenübertragung gibt und dass der Kunde nicht selbst Strom über eine PV-Anlage einspeist.

Risiko: Börsen-Strom kann deutlich teurer sein als ein fixer Tarif

Krux nummer zwei: Wo es Chancen gibt, lauern auch Risiken. Wenn es schlecht läuft, kauft man Strom an der Börse teurer ein als er in einem fixen Stromtarif gewesen wäre. So gibt auch Vattenfall-Manager Gerasch mit Blick auf den dynamischen Tarif zu bedenken: „Eine Garantie, dass dieser am Ende günstiger ist als ein Stromtarif mit festem Verbrauchspreis, gibt es nicht.“ Denn der Marktpreis werde von vielen Faktoren bestimmt, bis hin zu politischen Einflüssen.

„Wer dynamische Tarife nutzt, macht alle Marktphasen mit, auch die sehr teuren“, schreibt auch die Stiftung Warentest, die kürzlich erstmals dynamische Stromtarife einem ausführlichen Test unterzogen hat. Dabei hat sie erstaunliche Preisunterschiede ermittelt: Für einen Berliner Musterhaushalt mit einem Jahrestromverbrauch von 3500 Kilowattstunden lagen zwischen dem günstigsten Anbieter Ostrom (802 Euro im Jahr) und dem teuersten Lechwerke (1259 Euro) immerhin 457 Euro – bezogen auf Grundpreis und „Zusatzkosten“.

Bei Vattenfall lagen diese Kosten im Test bei 860 Euro im Jahr, allerdings nur für Berliner Kunden. In der Hauptstadt sind Grundpreis (11 Euro) und Zusatzpreis (20,80 Cent) etwas günstiger als in Hamburg.

Stiftung Warentest: Flexibler Stromverbrauch ist gar nicht so einfach

Die Spotpreise für den verbrauchten Strom kommen natürlich noch obendrauf, sind aber für alle Anbieter gleich. Sie schwankten an der europäischen Strombörse Epex zum Beispiel am 19. August zwischen 8 Cent am frühen Nachmittag und rund 20 Cent zur „Tagesschau“-Zeit am Abend. Mitunter rutschen sie sogar ins Minus, dann bekommt der Kunde noch Geld zurück, wenn er Strom verbraucht. Klingt super, sei aber nur selten der Fall, so die Stiftung Warentest.

Sie merkt zudem kritisch an, dass es derzeit für Kunden noch schwierig ist, dynamische Tarife optimal für sich zu nutzen. Geräte wie Waschmaschine und Trockner lassen sich zwar gezielt in Zeiten mit günstigem Strom betreiben, doch bei Aktivitäten wie Kochen, Staubsaugen oder Rasenmähen, die eine physische Präsenz erfordern, wird das schon schwieriger.

Vattenfall und Co.: Wann dynamische Stromtarife sinnvoll sind

Laut dem Vergleichsportal Verivox gibt es in Hamburg außer Vattenfall erst eine Handvoll eher unbekannterer Anbieter von dynamischen Stromtarifen wie Enstroga, tibber, GPJoule, Rabot, PBNZE, Entega und stromee. Doch auch die städtischen Hamburger Energiewerke bieten seit Kurzem einen dynamischen Tarif namens „Elbstrand Smart“ an, bei dem der flexible Anteil der Kosten im schwankenden Arbeitspreis abgebildet wird. Allerdings beinhaltet dieser Tarif eine Mindestvertragslaufzeit von zwölf Monaten. Stiftung Warentest rät, sich nicht auf so lange Vertragslaufzeiten einzulassen, um notfalls bei extrem hohen Strompreisen schnell aus dem Vertrag herauszukommen.

Dynamische Strompreise sind auch das Geschäftsmodell des extrem schnell wachsenden Hamburger Start-ups 1komma5Grad, das mit dem „Heartbeat AI“ seinen eigenen Smart Meter anbietet. Allerdings richtet es sich vor allem an Kunden, die mittels PV-Anlage selbst Strom erzeugen und möglichst auch ein E-Auto haben, in dessen Batterie er sich zwischenspeichern lässt.

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Das sei zwar keine Grundvoraussetzung, teilte eine Sprecherin mit. Aber es sei vorteilhafter, wenn mehr flexible Leistung gesteuert werden könne. „Ein dynamischer Tarif ist nur so wirkungsvoll wie die dahinterstehende Verbrauchssteuerung“, sagte 1komma5Grad-Vorstandschef Philipp Schröder dem Abendblatt: „Ohne diese Steuerung bleiben dynamische Tarife ein ‚stumpfes Schwert‘.“