Hamburg. Entlastungspaket des Bundes hilft nur Produktionsunternehmen. Hamburger Kfz-Betrieb rechnet vor, welche Nachteile er konkret hat.
Monatelang hatte sich die Ampel-Koalition in Berlin in der Frage verhakt, wie die deutsche Industrie von den im internationalen Vergleich sehr hohen Stromkosten entlastet werden kann. Wirtschaftsminister RobertHabeck (Grüne) warb für einen vergünstigten „Industriestrompreis“, den Finanzminister Christian Lindner (FDP) ablehnte, während Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sich beide Türen offenhielt.
Vergangene Woche stieg nun endlich weißer Rauch über dem Regierungsviertel auf: Die Ampel-Spitzen einigten sich auf ein „Strompreispaket“, das im Kern eine massive Senkung der Stromsteuer für alle Unternehmen des produzierenden Gewerbes von gut 1,5 auf 0,05 Cent pro Kilowattstunde vorsieht. Sie gilt mindestens für 2024 und 2025 und danach weiter bis 2028 – aber nur, sofern genug Geld dafür da ist, was nach dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Haushaltspolitik fraglich ist.
Strompreise: IVH-Chef Boxberger hofft auf „Rettungsring für unsere Industrie“
Zudem sollen „die rund 350 Unternehmen, die am stärksten im internationalen Wettbewerb stehen“, von den Kosten des CO2-Emissionshandels befreit werden, so die Bundesregierung, die ferner Entlastungen für die „rund 90 besonders stromintensiven Unternehmen“ für fünf Jahre fortführen will. In Hamburg, dem größten zusammenhängenden Industriegebiet Deutschlands, war das Aufatmen groß. Auf einen „Rettungsring für unsere Industrie bei den aktuellen preislichen Wettbewerbsnachteilen“ hoffte der Vorsitzende des Industrieverbandes Hamburg, Matthias Boxberger.
Aus den Kammern gab es dagegen außer Lob auch Kritik: „Es ist ein guter und überfälliger Schritt, die Stromsteuer für das produzierende Gewerbe zu senken“, meinte Malte Heyne, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer, schränkte aber ein: „Besser wäre es, dies für alle Wirtschaftszweige zu tun.“
Handwerk Hamburg: Kfz-Betriebe verbrauchen viel Strom, aber keine Entlastung
Hjalmar Stemmann, Präsident der Handwerkskammer Hamburg, wurde noch konkreter: Auch wenn das Strompreispaket „erst mal eine gute Nachricht“ sei, sei doch „enttäuschend, dass etwa die sehr energieintensiv arbeitenden Textilreinigungen oder Betriebe des Kfz-Handwerks nichts davon haben.“ Denn diese Firmen zählen, anders als etwa Bäcker oder Fleischer, nicht zum produzierenden Gewerbe. Stemmann: „Für viele von ihnen ist die Stromkostenbelastung dennoch existenzgefährdend.“
Eine dieser Firmen ist die Herbert Dähn GmbH. In der Autolackiererei samt Karosseriefachbetrieb unweit des Flughafens brummt es an diesem Vormittag. In den Hallen stehen die Fahrzeuge Schlange, an denen Blech- oder Lackschäden zu reparieren sind. Zwischen Hebebühnen, Schlagschraubern, Druckluftgeräten und dem „Trockenofen“, in dem die frisch lackierten Fahrzeuge bei 30 Grad trocknen, wird schnell klar: Hier sind nicht nur 40 Mitarbeiter fleißig – hier wird auch jede Menge Strom verbraucht.
40-mal mehr Stromsteuer: „Wir fühlen uns ungerecht behandelt“
Mehr als 140.000 Kilowattstunden waren es zuletzt pro Jahr. Auf eine Entlastung aus dem Strompreispaket darf das Familienunternehmen, das Kay und Birgit Dähn in zweiter Generation führen und in dem auch ihre Kinder tätig sind, aber nicht hoffen. „Wir fühlen uns ungerecht behandelt“, sagt Birgit Dähn. „Wir zahlen mehr als 2200 Euro Stromsteuer im Jahr. Würden wir zum produzierenden Gewerbe gehören, wären es nur 54 Euro.“
Ihr Mann ergänzt: „Das ist keine Summe, die uns in den Ruin treibt, aber es ist nicht in Ordnung, dass wir mehr als 40-mal so viel Stromsteuer zahlen wie produzierende Betriebe.“ Ihn ärgere, dass große Industrieunternehmen trotz hoher Millionengewinne vom Staat unterstützt werden, damit sie nicht ins Ausland abwandern. „Aber inhabergeführte Handwerksbetriebe wie wir, die mit ihren Kunden an einen Standort gebunden sind, gucken in die Röhre“, so Kay Dähn.
Unter Strom: Firma Dähn verbraucht 24 Prozent weniger, dennoch steigen Kosten
Dabei stehen Handwerksbetriebe auch im Wettbewerb mit dem produzierenden Gewerbe, nämlich im Wettbewerb um Fachkräfte, so Dähn. Und die würden „in diesen subventionierten Betrieben mehr verdienen als wir ihnen je werden zahlen können“.
Dass die 1969 gegründete Firma von den extrem gestiegenen Energiekosten nicht erdrückt wird, liegt auch daran, dass sie einerseits keine Finanzierungskosten mehr für Grundstück und Hallen zu tragen hat und andererseits ihren Stromverbrauch vorausschauend gesenkt hat. So habe man die Hallen auf LED-Beleuchtung umgestellt, die Leuchtwerbung am Gebäude abgeschaltet, die Außenbeleuchtung an Bewegungsmelder gekoppelt und alle druckluftabhängigen Anlagen und Geräte auf stromfressende Undichtigkeiten überprüft, erzählt Birgit Dähn. „Das sind alles Kleinigkeiten, aber wir haben unseren Stromverbrauch um 24 Prozent gesenkt, von 143.000 auf 110.000 Kilowattstunden im Jahr – und das bei steigendem Umsatz.“
13.000 Euro für Strom im Monat: „Das kann existenzgefährdend sein“
Bei aktuell 42 Cent pro Kilowattstunde Strom steigen die Kosten für Elektrizität dennoch von gut 27.000 auf rund 45.000 Euro im Jahr, wovon über die Strompreisbremse rund 16.000 Euro zurückfließen – diese läuft im April 2024 aber aus. Bleibt es dabei, wird das die Firma zwar nicht umhauen. Aber andere Betriebe könne es härter treffen, weiß Kay Dähn, der auch Bezirks-Handwerksmeister ist. „Ich habe von einem Kollegen mit vergleichbar großer Werkstatt und ähnlichem Stromverbrauch gehört, dass er Ende letzten Jahres 13.000 Euro Abschlag zahlen sollte – im Monat. Das kann bei einem Handwerksbetrieb existenzgefährdend sein.“
Solche Geschichten sind es, die dem Handwerkspräsidenten Sorgen bereiten. „Unsere Kammer fordert, dass alle energieintensiven Betriebe gleichmäßig entlastet werden“, sagt Hjalmar Stemmann, „die Bundesregierung muss sich das in dieser Form wettbewerbsverzerrend wirkende Maßnahmenpaket noch einmal vornehmen.“ Möglich wäre das, denn die Zustimmung des Bundestags steht noch aus.
Handelskammer-Geschäftsführer Malte Heyne denkt bereits einen Schritt weiter: „All diese Maßnahmen lösen das Problem aber nicht auf Dauer. Das Energieangebot, insbesondere die Kapazitäten erneuerbarer Energien, muss konsequent ausgeweitet werden, damit wettbewerbsfähige Strompreise über den Markt entstehen.“
Aurubis: Strompreispaket verringert unsere Kosten nur geringfügig
Bei den großen Hamburger Industriebetrieben ist der Jubel daher auch nur verhalten, denn von der reduzierten Stromsteuer konnten sie auch bislang profitieren, nur auf etwas anderem Weg. „Das Strompreispaket ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, allerdings verringert es unsere tatsächlichen Kosten nur geringfügig, führt aber zu erhöhter Planungssicherheit“, heißt es beim Kupferproduzenten Aurubis, der an der Elbe rund 2700 Mitarbeiter beschäftigt.
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Das Hamburger Werk habe einen Strombedarf von 650 bis 700 Gigawatt pro Jahr, also bis zu 700 Millionen Kilowattstunden (Kwh). Während der Kfz-Betrieb Dähn seinen Strom für 42 Cent einkauft, bezieht Aurubis diesen nach eigener Mitteilung an den Energiebörsen derzeit für umgerechnet 12 Cent je Kilowattstunde. In den USA koste der Industriestrom hingegen nur 3,5 bis 4,0 Cent, so ein Sprecher. Die Differenz werde zu einem gewissen Teil durch die Kompensation der CO2-Kosten im Strompreis ausgeglichen.
Stromverbrauch: Stahlwerk Arcelor Mittal verbraucht so viel wie 32.000 Haushalte
Im Aurubis-Konzern haben die Energiekosten einen Anteil von rund 13 Prozent an den Gesamtkosten, wovon rund zwei Drittel auf Strom entfallen. Preise für Kupfer werden an den internationalen Börsen gebildet, ebenso die der global zu beziehenden Rohstoffe. „Daher sind international wettbewerbsfähige Strompreise sehr wichtig für uns.“
Ähnlich klingt es beim Stahlkonzern Arcelor Mittal: „Mit dem angekündigten Strompreispaket der Bundesregierung gibt es keine deutliche Entlastung bei den Stromkosten, da im Großen und Ganzen nur der existierende Status quo der Entlastungen bleibt – und das auch noch unter Vorbehalt zukünftiger Haushalte“, teilte ein Sprecher mit.
Strompreise zu hoch: Industrie sieht Wettbewerbsfähigkeit gefährdet
Das Hamburger Werk mit seinen 520 Mitarbeitern verbrauche bei voller Auslastung rund 800 Gigawattstunden Strom im Jahr – das entspreche etwa 32.000 Zwei-Personen-Haushalten. Der Anteil der Strom- an den Gesamtkosten liege im Hamburger Werk bei bis zu 30 Prozent und sei ein bedeutender Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit, so der Sprecher. Zu den aktuellen Energiepreisen könne „in Deutschland nur schwer dauerhaft wettbewerbsfähig produziert werden.“