Hamburg. Seit fast 100 Jahren liefert das Unternehmen Milch, Butter & Co. in Hamburg. Manches ist wie früher, nun setzt der Juniorchef auf Digitalisierung.

Als Ernst August Kähler vor fast 100 Jahren sein Milchgeschäft in der Hamburger Neustadt eröffnete, gab es Begriffe wie Rund-um-die Uhr-Service oder 24/7-Erreichbarkeit noch nicht. Das Sortiment war auf Basisprodukte wie Milch, Sahne und Butter begrenzt.

Aber schon als der Gründer wenige Jahre später die ersten Milchwagen zu seinen Kunden schickte, legte er viel Wert auf Kundenwünsche. „Damals hat die Firma sogar geschlagene Sahne an Restaurants und Cafés geliefert“, sagt sein Urenkel Sebastian Kähler (33), der das Unternehmen heute mit seinem Vater Andreas Kähler (60) führt.

Sahne Kähler – Hamburger Traditionsfirma wird gerade supermodern

Auch wenn das Hamburger Familienunternehmen diesen speziellen Service nicht mehr anbietet, den Namen Sahne Kähler kennen wohl die meisten Hamburger und Hamburgerinnen. Die Kühltransporter mit dem markanten Namenszug sind sechs Tage die Woche in der ganzen Stadt unterwegs und bringen heute mehr als 2500 verschiedene Molkereiprodukte zu Hotels, Restaurants, Eisdielen, in Seniorenheime, Kitas, Kliniken und Kantinen.

Das Geschäft läuft. Die Großverbraucher können bis 23 Uhr abends ihre Waren bestellen, am nächsten Tag ab 2 Uhr rollen die ersten Kühlwagen vom Betriebshof an der Gustav-Kunst-Straße. Es gibt sogar noch Kunden, die frische Milch von der Molkerei Lamstedt westlich von Stade wie vor 100 Jahren lose in 20-Liter-Milchkannen beziehen. „Wir sind die Letzten, die das anbieten“, sagt Sebastian Kähler. Aber auch wenn es anders klingt, in dem Traditionsbetrieb ist die Zeit alles andere als stehen geblieben. Inzwischen steuert bei Kähler künstliche Intelligenz die Bestellprozesse.

KI in der konservativen Lebensmittelbranche? Kähler ist Vorreiter

Der Einsatz von KI in der eher konservativen Lebensmittelbranche ist noch der Ausnahmefall. „Für uns ist das eine Investition in die Zukunft“, sagt Kähler junior. Das Familienunternehmen ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen, während viele kleine Mitbewerber aufgegeben haben. Große Unternehmen wie TransGourment oder Chefs Culinar bestimmen den Lebensmittelgroßhandel. „Was uns auszeichnet, ist die Flexibilität“, sagt Kähler junior selbstbewusst.

Um zu verstehen, was er meint, hilft ein Blick ins Kühlhaus der Ernst Kähler GmbH. 2009 war der Familienbetrieb nach vielen Jahren in Barmbek in das Gewerbegebiet in Billbrook gezogen. Vor dem Gebäudekomplex stehen die 21 Transporter, drinnen lagern auf 4000 Quadratmetern Molkereiprodukte auf hohen Regalen. Von 10 Uhr vormittags bis spät in die Nacht sind Männer und Frauen in dicken Jacken und mit Handschuhen damit beschäftigt, die Bestellungen für die einzelnen Kunden zu kommissionieren.

Sebastian Kähler steht im Kühlhaus des Familienunternehmens in Billbrook. Auf der Palette steht die Heidesahne der Molkerei Lamstedt aus dem Landkreis Cuxhaven, die Ernst Kähler im Fünf-Kilogramm-Pack vertreibt.
Sebastian Kähler steht im Kühlhaus des Familienunternehmens in Billbrook. Auf der Palette steht die Heidesahne der Molkerei Lamstedt aus dem Landkreis Cuxhaven, die Ernst Kähler im Fünf-Kilogramm-Pack vertreibt. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Milch und Käse, Remoulade und Senf, aber auch französischer Tortenbrie und veganer Mozzarella: Mal bestellen die Kunden nur wenige Teile, manchmal mehrere Wagen voll. „Weil alle Waren bei uns ein kurzes Mindesthaltbarkeitsdatum haben, müssen wir den gesamten Warenbestand innerhalb von sieben Tagen einmal verkaufen“, sagt Sebastian Kähler. 1000 Produkte sind permanent auf Lager, weitere 1500 bis 2000 können kurzfristig beschafft werden.

Bestellungen per Mail, Telefon, WhatsApp, Fax: Das ist kompliziert

Es gibt Erfahrungswerte, aber genau weiß man nie, wer was gerade braucht. Dazu kommt: Die mehr als 1000 Kunden können nicht nur rund um die Uhr, sondern auch auf ganz unterschiedliche Weise ordern: per E-Mail und Telefon, aber auch per Fax und WhatsApp sowie über den Anrufbeantworter. Service eben.

Sahne Kähler
Ein Foto aus längst vergangenen Zeiten. Ein Transporter von Sahne Kähler liefert in der Hamburger Innenstadt aus. © Ernst Kähler | Ernst Kähler

„Das ist sehr personalintensiv, weil alle Bestellungen von den Beschäftigten in unser Warenwirtschaftssystem eingetippt werden müssen“, sagt Sebastian Kähler, ein studierter Betriebswirt mit Auslandserfahrung in einem britischen Lebensmittelkonzern. Der wachsende Fachkräftemangel sei aber inzwischen so dramatisch, dass er nach neuen Wegen suchen musste.

Künstliche Intelligenz entlastet die Fachkräfte im Betrieb

Seit einigen Monaten ist in dem Familienbetrieb eine KI-Lösung des Berliner Start-ups Choco im Einsatz, das unter anderem Green Grocer, Nordmann Getränke, Fohsack Getränke aus dem Hamburger Raum oder Flensburger Fleischkontor als Kunden gewonnen hat.

„Es ist für uns jetzt egal, wann, auf welchem Weg oder in welcher Sprache die Order reinkommt. Mithilfe von künstlicher Intelligenz wird jeder Posten direkt in unser System übertragen.“ Im Moment überprüfen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen die einzelnen Vorgänge noch. In Zukunft reicht ein Mausklick, um die Bestellungen zu akzeptieren. Alles andere läuft automatisch im Hintergrund.

Für die Kunden gibt es keine Veränderung. Bislang hat die neue Software alle Bestellungen richtig erkannt. „Falsche Produkte haben wir nicht ausgeliefert“, sagt der Juniorchef. Bei Choco heißt es dazu: „ Heutzutage macht die KI diese Art von Fehlern nicht mehr, da sie lernt und sich ständig verbessert.“ Nur einmal sei ein falscher Kunde beliefert worden, weil die Kundennummer nicht richtig angegeben worden war. Da hat der Mensch versagt, nicht die Maschine. Personalabbau durch KI soll es nicht geben, macht Kähler deutlich. „So hat unser Büroteam mehr Zeit für Beratung.“

Traditionsfirma Sahne Kähler: Die Grenzen der künstlichen Intelligenz

Für Vater und Sohn Kähler ein wichtiger Aspekt, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein. Das Familienunternehmen im Übergang in die vierte Generation, in dem auch die Ehefrauen Martina und Réka mitarbeiten, erwirtschaftet einen Jahresumsatz von 20 Millionen Euro und beschäftigt 50 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Das nächste Zukunftsprojekt ist die Einführung von neuen Scanner in der Kommissionierung. „Damit können wir noch mal schneller werden und viel Papier sparen.“

Mehr Wirtschaftsthemen

Ein anderes Problem lässt sich mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz allerdings nicht lösen: die Schwierigkeiten, Fahrer zu finden. „Die Auflagen für Berufskraftfahrer sind in den vergangenen Jahren massiv gestiegen“, sagt Sebastian Kähler. „Vielleicht liefern wir dann bald mit Drohnen.“ Er lacht dabei, aber wer weiß.