Hamburg. In „Höhle der Löwen“ wurde Angelika Poppe aus Neu Wulmstorf zum Star. Heute ist sie auf der Suche nach neuen Kunden für ihr Start-up.
Es war einer der Auftritte in der TV-Investorenshow „Die Höhle der Löwen“, die die Zuschauer des Senders Vox emotional zutiefst berührte: Im Herbst 2021 betritt eine ältere Dame mit dunkel getönter Brille das Fernsehstudio. Es ist Angelika Poppe, damals 68 Jahre alt. Sie ist blind und wird von ihrem Schwiegersohn begleitet. Sie suchen einen Geldgeber und Berater, der den Würzmischungen für Frikadellen der jungen Firma namens Frau Poppes zum Durchbruch verhilft.
„Die Höhle der Löwen“: Blinde Seniorin begeistert Ralf Dümmel
20 Minuten später sind Angelika Poppe und Thomas Leiendecker am Ziel: Deal mit Ralf Dümmel, dem bestens vernetzten Handelsexperten und Wunsch-Investor vieler DHDL-Start-ups. Gleich nach der Show entwickelt sich Frau Poppes Umsatzkurve, wie es üblich ist für Firmen mit einem Dümmel-Deal. Sie geht steil nach oben. Doch Erfolgskurven werden auch mal müde.
Rückblende: Irgendwann Ende der 2010er-Jahre hat Angelika Poppe, die seit einem Autounfall im Alter von 22 Jahren blind ist, ihre Tochter und den Schwiegersohn mal wieder zum Essen zu sich in Neu Wulmstorf eingeladen. Sie bereitet Frikadellen zu. Hack, Weißbrotwürfel und ein selbst erdachtes Gemisch aus Gewürzen und Kräutern. Thomas Leiendecker wird sie später „die besten Frikadellen der Welt“ nennen.
Frau Poppes macht Gewürzmischungen ohne Geschmacksverstärker
Und irgendwann an diesem Tag ist der gelernte Koch, der einst bei Eckart Witzigmann angestellt war, überzeugt, dass die Frikadellen seiner Schwiegermutter mehr Potenzial haben, als allein die Familie satt und zufrieden zu machen. Gemeinsam verfeinern die beiden das Rezept, gründen 2019 die Firma Frau Poppes. Das erste Produkt ist eine Gewürzmischung ohne Geschmacksverstärker mit Brotwürfeln für acht Frikadellen. Hackfleisch, ein Ei und Wasser müssen die Käufer dazugeben.
Die ersten Packungen sollen im April 2020 fertig sein, das ist der Plan. Leiendecker führt Gespräche mit Supermärkten, ob sie die Mischung ins Sortiment nehmen. Doch dann der Dämpfer: Die Corona-Pandemie stellt die Jungunternehmer im Alter jenseits der Lebensmitte vor große Herausforderungen. Dennoch gelingt es, die Firma Gräfenhof Tee in Buxtehude als Produzenten zu gewinnen. Famila in Neu Wulmstorf ist der erste Supermarkt, der Frau Poppes Frikadellen-Mix verkauft.
Der große Durchbruch kommt nach der Teilnahme an der Gründershow, bei der Poppe und ihr geschäftsführender Gesellschafter Leiendecker Mischungen für Frikadellen, italienische Hackbällchen, Cevapcici und eine Veggie-Variante präsentieren. Dümmel macht den Deal – 150.000 Euro für 20 Prozent Firmenanteil. Er bringt Frau Poppes in die Regale zahlreicher Supermärkte, darunter Netto, Rewe und Kaufland. In den Wochen nach der Show machen die neuen Partner 1,5 Millionen Euro Umsatz.
Frau Poppes: Großer Erfolg nach der Show, heute läuft es bescheiden
Und heute, knapp drei Jahre später? Frau Poppes-Produkte werden deutschlandweit in rund 450 Märkten verkauft. Die Firma hat ihren Sitz nach Buxtehude verlegt. Mit dem Gang der Geschäfte ist Leiendecker aber alles andere als glücklich.
„Wir sind nach wie vor zufrieden mit Ralf Dümmel, aber wir hätten viel früher den Onlineshop besser betreiben müssen“, sagt er. Konkurrenten wie Ankerkraut und Little Lunch hätten ihre Marke jedenfalls zunächst online aufgebaut. „Bis April 2022 war alles super, mit dem Ukraine-Krieg haben wir aber deutlich gespürt, dass sich das Kaufverhalten verändert“, sagt der Geschäftsführer.
„Die Höhle der Löwen“: Buxtehuder Start-up sucht neue Kunden
Dennoch erweiterte das Unternehmen im vergangenen Jahr sein Sortiment um 14 Gewürze, hat jetzt 18 unterschiedliche Artikel im Sortiment. Die Mischungen Pütt und Pan (3,14 Euro), Mamma Mia (3,59 Euro) und Küchenwunder (3,14 Euro) sind die persönlichen Favoriten von Angelika Poppe.
Das Unternehmen erschließt sich gerade neue Kundengruppen: Schon jetzt werden die Gewürze auch an Fleischertheken verwendet. „Wir versuchen, in der Gastronomie und in Kantinen Fuß zu fassen“, sagt Leiendecker. Zudem sei er mit Bäckereien über Gewürzmischungen für Brote im Gespräch.
Der Bestseller Frikadellen-Mix habe sich in den vergangenen Jahren jeweils etwa 150.000-mal verkauft. Immer mal wieder tritt Leiendecker in Verkaufsshows beim TV-Sender QVC auf. Mit zeitlich begrenztem Umsatzerfolg. „Das geht einmal nach oben und flacht dann auch wieder ab.“ So wie damals nach der „Höhle der Löwen“.
Frau Poppes engagiert sich sozial – DHDL-Löwe Maschmeyer zieht mit
Die Gewürze füllen die Unternehmer teilweise selbst ab, den Frikadellen-Mix produzieren Menschen mit Behinderung in Werkstätten in Buxtehude. Soziales Engagement spielt eine Rolle bei Frau Poppes: 25.000 Euro gingen an den Blinden- und Sehbehindertenverband, DHDL-Juror Carsten Maschmeyer spendete dieselbe Summe. Und: „Wir sind innovativ und flexibel, mit einer kleinen Truppe von vier Leuten“, so Leiendecker, der Produktentwicklung bei der Hamburger Block-Gruppe gelernt hat.
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Anfangs kostete ein Frikadellen-Mix 2,99 Euro, heute 2,49 bis 2,69 Euro. Der Fix-Mix Frikadellen und Burger von Knorr kostet 1,09 Euro, der Maggi-Fix-Mix Hackbraten 0,44 Euro. Den veganen Frikadellen-Mix von der Rügenwalder Mühle gibt es für 2,99 Euro, Veggie-Bratlinge von Frau Poppes für 2,49 Euro.
Frau Poppes kann Umsatzziel nicht erfüllen – „haben Minus gemacht“
Nachdem die Gründer in der TV-Show waren, hatten sie sich ein hohes Ziel gesetzt: 8,4 Millionen Euro Umsatz in diesem Jahr. Das sei keine Fantasiezahl gewesen, so Leiendecker. Doch von diesem Ziel ist man aktuell weit entfernt. Der Umsatz liege bei knapp 300.000 Euro im Jahr. „Über Gewinn brauchen wir gar nicht reden, wir haben die vergangenen zwei Jahre Minus gemacht.“
2021 schrieb das Unternehmen schwarze Zahlen, bis März 2022 „lief alles wie am Schnürchen“. Mit dem Krieg in der Ukraine sei aber viel „zusammengeklappt“: Termine mit Händlern wurden verschoben oder abgesagt. „Von dieser Krise haben wir uns noch nicht erholt.“ Für dieses Jahr haben die Gründer ein neues Umsatzziel festgelegt: 360.000 Euro.
„Die Höhle der Löwen“: Frau Poppes Imbiss „lief leider nicht mehr“
„Wir brauchen einen langen Atem, Geduld und Kapital“, sagt Leiendecker. Dass sich das Kaufverhalten verändert hat, spürten die Gründer auch im eigenen Imbiss, der bis April 2024 rund eineinhalb Jahre lang in Buxtehude betrieben wurde. Dort im Angebot: außer Frikadellen auch Pommes mit Avocado-Mix und Crêpe mit selbst gemachtem Apfelmus. „Es lief leider nicht mehr“, sagt Leiendecker.
Er fokussiere sich wieder auf die „Kernkompetenz“, zugleich kann er sich aber auch vorstellen, einen Foodtruck zu betreiben. „Wir haben viele Ideen, die wir aber aktuell nicht umsetzen können, weil der finanzielle Background fehlt“, sagt Leiendecker. Drei Jahre nach Ralf Dümmel könnte Frau Poppes ein weiteres Investment gebrauchen.