Hamburg. Angelika Poppe aus Neu Wulmstorf verlor bei einem Autounfall ihr Augenlicht. In der Vox-Show punktete sie bei Ralf Dümmel.
Frau Poppe gibt es wirklich. Sie trägt eine großen Sonnenbrille. Und sie mag gerne Frikadellen. „Kochen war schon immer meine Leidenschaft“, sagt die 69-Jährige. Sie brät nach Gehör und würzt mit Fingerspitzengefühl. Angelika Poppe ist blind. Vor mehr als 40 Jahren war ein betrunkener Autofahrer in den Wagen gerast, in dem die Neu Wulmstorferin mit ihrem Mann saß. Sie überlebte, aber verlor ihr Augenlicht.
Trotzdem ließ sich die junge Mutter und gelernte Hauswirtschafterin nicht unterkriegen, erkämpfte sich nach und nach ihre Selbstständigkeit zurück – auch in der Küche. „Da ich nicht mehr nach Rezepten kochen konnte, habe ich vieles ausprobiert. Dabei sind Klassiker wie meine Frikadellen herausgekommen, die ich immer wieder machen musste.“
Frau Poppes: Koch überredete blinde Unternehmerin zur Gründung
Dass ihr Name eine Marke werden könnte und ihr Konterfei in Tausenden Supermärkten in ganz Deutschland stehen würde, hätte sie sich allerdings nie erwartet. Das hat mit Thomas Leiendecker und einem Mittagessen vor zwei Jahren zu tun. Der gelernte Koch war mit seiner heutigen Frau zu Besuch bei seiner Schwiegermutter in spe. Ziemlich skeptisch, wie er im Nachhinein zugibt. Gute Frikadellen zu machen, hatte er in der Ausbildung bei Promi-Koch Eckart Witzigmann gelernt.
„Aber die, die Angelika uns aufgetischt hat, waren noch besser. So richtig schön fluffig in der Konsistenz und perfekt abgestimmt“, sagt er. Ein paar Tage später stand der 58-Jährige, der lange in der Produktentwicklung unter anderem bei der Block-Gruppe gearbeitet hat, wieder vor der Tür. Dieses Mal mit der Idee, eine Firma zu gründen. „Mir war klar, das kann nicht nur eine Rezeptur für ihre Küche sein, davon muss die ganze Welt erfahren.“ Nachdem sie zuerst skeptisch gewesen sei, willigte Angelika Poppe in das Projekt ein. „Ich bin gegründet worden“, wird sie es später beschreiben.
„Blindes Vertrauen in guten Geschmack“
Gemeinsam tüftelten sie aus, wie sich das Geheimnis des Geschmacks ihrer Frikadellen in eine Würzmischung übersetzen lässt. Motto: „Blindes Vertrauen in guten Geschmack“. Mit Weißbrotwürfeln statt trockenen Brötchen, was für die Konsistenz entscheidend ist, und vielen getrockneten Kräutern, Salz und Pfeffer – Gramm für Gramm.
„Eine Würzbasis, mit der jeder die perfekte Frikadelle à la Angelika zubereiten kann, und das mit viel weniger Aufwand“, sagt Thomas Leiendecker, der bei der Entwicklung auf seine Erfahrungen bei Block, beim Unternehmen Zum Dorfkrug (Sylter Frische) und einer eigenen Marmeladen-Manufaktur zurückgreifen konnte.
Seit Montagabend wissen Millionen Fernsehzuschauer, was es mit Frau Poppes auf sich hat. In der Investorenshow „Die Höhle der Löwen“ präsentierte das Gründerduo seine Frikadellen-Würzmischungen – und Angelika Poppe und ihr besonderer Lebensweg sorgten für echte Gänsehautmomente.
Frau Poppes überzeugte die fünf Löwen
Einige Tage vor der Ausstrahlung der Sendung sitzen die Start-up-Unternehmer in den Räumen von Frau Poppes in Neu Wulmstorf. Aufgezeichnet worden war der Pitch bereits im Januar. „Wir haben uns dreimal beworben, bis es geklappt hat“, sagt Thomas Leiendecker. Und dann drohte der Auftritt, kurz bevor sie ins Studio sollten, noch zu scheitern. „Ich wollte die Frikadellen mit unseren Gewürzmischungen im Sender frisch zubereiten, aber es gab keinen Herd“, sagt er.
Geschlafen hatten beide in der Nacht zuvor kaum. Aber dann half ein Vox-Mitarbeiter beim Frikadellen-Braten, und auch sonst lief es rund für die „Kuchenmischung für Frikadellen“, wie Investor Carsten Maschmeyer es nannte. Das ungewöhnliche Gründerduo überzeugte die fünf Löwen aber nicht nur geschmacklich, sondern auch menschlich.
Gründerduo entschied sich für Ralf Dümmel
„Frau Poppe, Sie haben mich nachhaltig beeindruckt. Sie sind ein Vorbild“, sagte Dagmar Wöhrl, die ohne Diskussion den geforderten Deal in Höhe von 150.000 Euro für 20 Prozent ihrer Firmenanteile anbot. Das Rennen machte kurz darauf allerdings Ralf Dümmel. „Ich liebe Frikadellen. Ich finde auch, dass Sie etwas Unglaubliches haben. Und ich glaube, dass was ganz Großes daraus zu machen ist“, hatte er gesagt, bevor Frau Poppe und ihr Schwiegersohn sich für ihn entschieden.
„Er ist ein Nordlicht. Wir sprechen die gleiche Sprache“, erklärte Angelika Poppe hinterher die Investoren-Wahl. Natürlich geht es auch ums Geschäft: Ralf Dümmel mit dem Unternehmen DS Produkte in Stapelfeld ist bekannt für starke Markteintritte.
Für Frau Poppes den Job gekündigt
Seitdem ist viel passiert. Schon mitten in der Corona-Krise, im Juni 2020, hatte Leiendecker die ersten Produkte in Supermärkten in der Region unterbringen können. Vorher hatte er seinen Job gekündigt, um sich mit voller Kraft um das Start-up zu kümmern. Er hat zu der klassischen Variante nach Frau Poppes Originalrezept drei weitere Geschmacksrichtungen (italienisch, Cevapcici und Veggie) entwickelt – ausschließlich mit natürlichen Zutaten und ohne Geschmacksverstärker und Konservierungsstoffe.
Ende vergangenen Jahres waren 7301 Beutel von Frau Poppes verkauft. Der Preis liegt bei 2,99 Euro. Für dieses Jahr hatte der Lebensmittelexperte, der 80.000 Euro in das Unternehmen investiert hat, die Zielmarke von 75.000 verkauften Packungen ausgegeben.
Fünf Cent pro Beutel an Blindenverband
Jetzt wurden allein für die Sendung knapp 500.000 Gewürzmischungen mit leicht verändertem Verpackungsdesign produziert, die ab heute in mehr als 5000 Märkten bundesweit stehen und über den komplett erneuerten Onlineshop bestellbar sind. Pro verkauftem Beutel gehen fünf Cent an den Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband, der damit die Entwicklung von Tastbüchern für Kinder fördert.
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Jetzt stehen alle Zeichen auf Wachstum. 2024 will Leiendecker mit den Würzmischungen 8,5 Millionen Euro Umsatz machen. Als nächsten Schritt soll es auch die passenden Saucen zu den unterschiedlichen Hackbällchen-Varianten geben. Weitere Frau-Poppe-Produkte nicht ausgeschlossen.
Höhle der Löwen: „Das war Anerkennung pur“
Inzwischen, sagt Angelika Poppe, habe sie sich schon fast daran gewöhnt, dass ihr Name und ihr Gesicht jetzt eine Marke sind. „Eigentlich bin ich ja nicht so dafür, so in der Mittelpunkt zu stehen“, sagt sie. Nach dem Einstieg von Investor Dümmel haben sich auch die Anteilsverhältnisse verändert. Die Namensgeberin ist jetzt mit 20 Prozent Mitbesitzerin. Nicht nur deshalb ist es für sie ein Gewinn, so spät im Leben noch unter die Gründerinnen gegangen zu sein.
Schon nach der Sendung hatte sie gesagt: „Ich habe mein ganzes Leben um Anerkennung kämpfen müssen. Und das war Anerkennung pur.“ Dass ihr dabei die Tränen kamen, machte es nur noch authentischer. Jetzt sagt sie: „Als Blinde brauche ich Anreize von außen. Durch die Firma habe ich mehr Menschen um mich, mehr Gedankenanstöße. Das ein Geschenk.“
Das sind die Start-ups aus Hamburg und Umgebung, die in der Löwenhöhle punkten konnten:
- „Kleine Prints“ – Deal mit Investorin Lencke Steiner: 40.000 Euro für 30 Prozent der Firmenanteile;
- „CoffeeBags“ – Deal mit Vural Öger: 150.000 Euro für 33 Prozent;
- „Heimatgut“ – Deal mit Jochen Schweizer: 125.000 Euro für 15 Prozent;
- „Sugar Shape“ – Deal mit Judith Williams und Frank Thelen: 500.000 Euro für 20 Prozent;
- „Towell“ – Deal mit Ralf Dümmel und Jochen Schweizer: 100.000 Euro für 20 Prozent;
- „Ankerkraut“ – Deal mit Frank Thelen: 300.000 Euro für 20 Prozent;
- „Limberry“ – Deal mit Judith Williams und Carsten Maschmeyer: 250.000 Euro für 20 Prozent;
- „Chef.One“ – Deal mit Frank Thelen und Judith Williams: 150.000 Euro für 25 Prozent;
- „Tastillery“ – Deal mit Dagmar Wöhrl: 100.000 Euro für 20 Prozent;
- „Foodguide“ – Carsten Maschmeyer: 450.000 Euro für 31,6 Prozent;
- „Veluvia“ – Carsten Maschmeyer und Ralf Dümmel: 300.000 Euro für 25,1 Prozent;
- „Kajnok“ – Deal mit Georg Kofler: 400.000 Euro für 26 Prozent;
- „Luicella’s Eismix“ – Frank Thelen: 120.000 Euro für 20 Prozent;
- „Caps Air“ – Ralf Dümmel: 200.000 für 30 Prozent;
- „Trockenfix“ – Ralf Dümmel: 200.000 Euro / 49 Prozent;
- „sleeperoo“ – Dagmar Wöhrl: 250.000 Euro für 25,1 Prozent;
- „WeeDo“ – Georg Kofler: 100.000 Euro / 30 Prozent;
- „Easy Pan“ – Deal mit Ralf Dümmel: 25.000 Euro für 20 Prozent;
- „Soummé“ – Ralf Dümmel: 150.000 Euro für 20 Prozent;
- „Jagua for Xou“ – Judith Williams und Nils Glagau: 150.000 Euro für 30 Prozent;
- „drinkbetter“ – Ralf Dümmel und Carsten Maschmeyer: 300.000 für 30 Prozent;
- „YAB Fitness“ – Georg Kofler: 200.000 für 25 Prozent;
- „flexylot“ – Deal mit Ralf Dümmel: 125.000 Euro für 30 Prozent.