Hamburg. Wegen des Ausbaus von Wind- und Solarparks ist der Strompreis immer stärker vom Wetter abhängig. Es geht um bares Geld für Kunden.
Es gibt für Hamburgerinnen und Hamburger viele mögliche Gründe, warum man die Wettervorhersagen zeitweise mit besonderem Interesse verfolgt – etwa wenn eine Grillparty oder eine Fahrradtour geplant ist oder wenn es um die Frage geht, ob man wegen eines Kurzurlaubs Bekannte bitten muss, zwischendurch den Garten zu bewässern.
Mit einer Solaranlage auf dem Dach bekommt der Wetterbericht sogar eine wirtschaftliche Bedeutung. Der Hamburger Malte Rieck besitzt zwar eine solche Anlage, aber darüber hinaus ist es sein Beruf, sich jeden Tag sehr intensiv mit der Wahrscheinlichkeit von Gewittern, mit Windstärken und dem voraussichtlichen Bewölkungsgrad zu beschäftigen. Denn Rieck arbeitet als Meteorologe für den Energiekonzern Vattenfall in Hamburg.
„Ich bin im Jahr 2015 zu Vattenfall gekommen, weil mich das Zusammenspiel von Meteorologie und erneuerbaren Energien gereizt hat“, sagt Rieck, der zuvor an der Universität Hamburg über den Einfluss unterschiedlicher Landoberflächen auf die Wolkenbildung promoviert hat.
Wetter: Warum Meteorologen für Vattenfall in Hamburg wichtig sind
Riecks Arbeit kommt zwar in erster Linie dem aus insgesamt 500 Personen bestehenden Stromhandelsteam von Vattenfall zugute. Doch indirekt nützt sie auch allen privaten Verbrauchern, wie der Experte erklärt: „Wenn man die Ausbeute aus Wind- und Solarparks möglichst genau prognostizieren kann, führt das zu weniger Ausgleichsenergiekosten im Stromnetz“ – und damit zu niedrigeren Netzentgelten, die jeder Stromkunde zahlen muss.
Denn natürlich ist es teuer, wenn ungeplant zum Beispiel gasbetriebene Reservekraftwerke hochgefahren werden müssen, weil Windturbinen in einem bestimmten Gebiet weniger Energie liefern als erwartet. „Ziel ist es, besser zu prognostizieren als der Rest des Marktes, und die Fehlerquote so gering wie möglich zu halten“, so Rieck.
Zwölf Personen arbeiten in seinem Team, sechs von ihnen erstellen Prognosen. Es geht dabei um die voraussichtliche Produktion von Windenergie- und Photovoltaikanlagen in Deutschland, in den Niederlanden und in Großbritannien. „Nicht jeder Energieversorger hat ein so großes Prognose-Team mit ausgebildeten Meteorologen wie Vattenfall“, sagt Rieck. „Das kann einer der Gründe sein, warum wir auch Wind- und Solarparks für andere Unternehmen managen.“
Gewitter können für einen massiven Anstieg der Windstromerzeugung sorgen
Dabei erstellen Riecks Kolleginnen und Kollegen nicht etwa selbst eine eigene, umfassende Wettervorhersage. Diese sind heute das Resultat von Rechenmodellen, für die man Supercomputer benötigt, die so teuer sind, dass sich selbst nationale Wetterdienste in der Regel keinen eigenen leisten können und daher auf länderübergreifende Kooperationen setzen. Daher greifen auch andere Energieversorger auf das sehr überschaubare Angebot solcher Vorhersagemodelle – es sind nicht mehr als zehn – zurück.
„Alle Marktteilnehmer arbeiten mit den gängigen Wettermodellen“, erklärt Rieck. „Die Kunst liegt darin, zu erkennen, wo sie falsch liegen könnten und welche Wetterphänomene sie womöglich nicht prognostizieren können.“ So sei zum Beispiel die Position und Intensität von Gewittern sehr schwer vorhersagbar. „Mit einem Gewitter ist aber eine Böenfront verbunden, die für einen massiven Anstieg der Windstromerzeugung in dem entsprechenden Gebiet sorgen kann“, so Rieck.
Für die Vattenfall-Meteorologen geht es darum, die Standard-Vorhersagen entsprechend den besonderen Anforderungen des Stromhandels zu ergänzen und anzupassen. „Jeden Morgen gibt es so etwas wie eine kleine ‚Wettershow‘ für das Handelsteam“, sagt Rieck. „Wir stützen uns dabei auf eine Mischung aus Statistik, etwa wenn das Wettermodell in den vergangenen Wochen immer in einer bestimmten Richtung falsch lag, und Erfahrung – man könnte es vielleicht auch Bauchgefühl nennen.“
Warum der Strompreis auch weit ins Minus gehen kann
Auf dieser Basis geben die Hamburger Vattenfall-Meteorologen den Händlern ein Lagebild für die nächsten 48 Stunden. Dieser Zeitraum ist besonders relevant, weil alle Energieversorger täglich um 12 Uhr mittags die Strommengen am Markt anbieten, die sie zu einem bestimmten Zeitpunkt am nächsten Tag liefern wollen. Diese Gebote werden dann mit der erwarteten Nachfrage abgeglichen, Preise bilden sich.
An den Strombörsen bewegen sich die so ermittelten Preise nicht etwa in einem engen Band. Sie schwanken extrem – im Tagesverlauf zwischen kurzzeitig mehr als 2300 Euro je Megawattstunde (was 2,30 Euro je Kilowattstunde entspricht) und minus 500 Euro je Megawattstunde. Tatsächlich ist es gar nicht so selten, dass die Versorger sogar dafür zahlen müssen, wenn sie Strom ins Netz einspeisen: „An sonnigen Tagen am Wochenende kommen regelmäßig negative Strompreise vor“, sagt Rieck. Denn dann trifft ein großes Angebot an Solarstrom auf eine schwache Nachfrage.
Künftig wird der Strompreis noch stärker vom Wetter abhängig sein als heute schon
Während im Sommer die Herausforderung nicht zuletzt darin liegt, Gewitter richtig zu prognostizieren, geht es im Herbst häufiger um Nebelphasen. Denn bei Nebel ist nicht nur die Photovoltaik-Ausbeute sehr gering. In den meisten Fällen hat man dann auch kaum Wind. Von Oktober bis Februar müssen zudem Sturmereignisse und Windfronten möglichst treffsicher prognostiziert werden.
Während der Wintermonate kann es außerdem bei einer bestimmten Konstellation von Luftfeuchtigkeit und Temperatur zu Eisansatz an den Rotorblättern von Windturbinen kommen. Die drehen sich dann langsamer und nicht mehr so „rund“, die Leistung nimmt ab oder die Anlagen schalten sich ganz ab. „Wenn es aber draußen glatt ist, halten sich Menschen tendenziell eher drinnen auf, was gleichzeitig den Stromverbrauch hochtreibt“, erklärt Rieck. „An solchen Tagen schwankt der Strommarkt häufig stark.“
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Er geht davon aus, dass die Expertise seines Teams in den nächsten Jahren eher noch gefragter sein wird als bislang: „Weil immer mehr Wind- und Solarparks ans Netz gehen, werden die Strompreise künftig noch stärker wetterabhängig sein als heute schon.“ Für Privathaushalte gewinnt das schon deshalb an Bedeutung, weil Energieversorger ab 2025 verpflichtet sind, auch flexible Stromtarife mit stündlicher oder viertelstündlicher Abrechnung anzubieten.