Hamburg. Benedikt Hensel von Kindermitte warnt, dass bald Hunderte Kita-Plätze wegfallen. Was die Einrichtungen belastet und was sie fordern.
Dass ein Unternehmen Insolvenz anmeldet, kommt in Hamburg jeden Tag Dutzende Male vor. Dass einem Kita-Träger die Zahlungsunfähigkeit droht, ist allerdings die absolute Ausnahme. Entsprechend überrascht waren die Reaktionen, als das Abendblatt Anfang Juli über die wirtschaftliche Schieflage der Apoidea gGmbH mit fünf Kitas und 80 Beschäftigten berichtet hatte. Es geht um die Betreuung von 280 Kindern.
Aber dahinter steckt mehr als ein Einzelfall. „In der aktuellen Situation geraten vor allem kleine Kitas in Not“,“ sagt Benedikt Hensel. Der Geschäftsführer des Kita-Verbands Kindermitte warnt vor dem Wegfall von Hunderten Kita-Plätzen in der Hansestadt. Er selbst wisse von etwa zehn Einrichtungen, die nicht weitermachen können oder wollen. Schon zum Ende des Jahres erwartet er eine Schließungswelle, wenn sich nicht noch etwas ändert.
Kita Hamburg: Hilferuf – mehreren kleinen Standorten droht das Aus
Kindermitte hat sich als Netzwerk von freien, privaten Kita-Trägern vor elf Jahren gegründet. Der Dachverband vertritt 45 Kita-Träger mit 100 Kitas und GBS-Standorten an Grundschulen, in denen 6000 Kinder betreut werden. „Unsere Mitglieder sind im Vergleich zu den großen Anbietern in Hamburg, wie dem städtischen Träger Elbkinder oder den kirchlichen Kita-Trägern, mit ein bis fünf Standorten eher klein“, sagt Hensel, der seit sieben Jahren bei Kindermitte ist und 2023 in die Geschäftsführung aufgerückt ist.
Kleinteilige Strukturen, direkte Kommunikation und besondere pädagogische Konzepte – genau das, was von vielen Eltern bei der Kita-Auswahl geschätzt wird, ist zugleich Teil des Problems. Höhere Personalkosten, steigende Mieten sowie Mehrkosten für Lebensmittel und Energie lassen sich in kleineren Unternehmensstrukturen kaum umverteilen. Dazu kommen Fachkräftemangel, Krankheitsfälle und sinkende Kinderzahlen. Dieser Posten ist für die Kitas besonders wichtig, denn die Stadt zahlt über das Gutscheinsystem pro Kind und Stundenzahl festgelegte Sätze – und zurrt damit praktisch die Einnahmen der Einrichtungen fest.
Kosten für die Kitas sind laut Verband zu hoch
Wenn Umsatz und Kosten zu weit auseinanderklaffen, wird es wie in jedem Unternehmen auch bei Kitas eng. „Bis zur Insolvenz geht das meistens nicht. Die Kitas schließen einfach, weil es nicht mehr auskömmlich ist“, sagt der 34 Jahre alte Diplom-Pädagoge und berichtet von einem aktuellen Fall aus Wilhelmsburg. In der kleinen Kita mit 50 Plätzen habe sich die finanzielle Situation zugespitzt. Die einzige Chance, über die Runden zu kommen, wäre gewesen, die Standards zu senken. „Aber der Träger wollte und konnte im Sinne der Kinder nicht an der Qualität sparen. Ein kleiner Träger kann nicht so einfach Personal abbauen.“
Um einer Privatinsolvenz zu entgehen, machte die Kita dicht. Die Folge: Plätze und Betreuungsstrukturen sind weg. „Für Kinder und Eltern ist das ein riesiges Problem. Es klappt nicht immer, dass sie ihre Kinder in einer anderen Einrichtung unterbringen können.“
Beim Kita-Träger Apoidea hatten mehrere Faktoren zu der wirtschaftlichen Schieflage geführt. „Es ist ein Prozess, den wir gesehen haben, aber nicht steuern konnten“, hatte Geschäftsführerin Stephanie Bauer dem Abendblatt kurz nach der Insolvenzanmeldung gesagt. Sie kämpft um die Rettung ihres Lebenswerks und sucht gemeinsam mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter und Sanierungsexperten Michael Nickel von der Kanzlei Kilger & Fülleborn nach einer Lösung.
Der Betrieb an den Standorten in Winterhude, Barmbek und Bahrenfeld läuft uneingeschränkt weiter. Die Beschäftigten erhalten Insolvenzgeld von der Arbeitsagentur. Die Eltern haben Unterstützungsmaßnahmen angekündigt.
Kita-Träger Apoidea musste Insolvenz anmelden
In den Hamburger Kitas rumort es schon länger. Mitte Juni war eine öffentliche Anhörung zu den Themen Fachkräftebedarf, Leiharbeit und Tarifanwendung im Familien-, Kinder- und Jugendausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft wegen Überfüllung geschlossen worden. Die Stimmung vor der Tür war so brenzlig, dass Polizeibeamte eingriffen.
Drinnen ging es um Klagen über zu geringe Kita-Gutschein-Entgelte, um Fachkräfte zu bezahlen, die Schwierigkeiten, die Betreuungsschlüssel einzuhalten, und zu viele Dokumentationspflichten sowie Bürokratie. Die kleineren Kita-Träger meldeten sich mit besonders großen Problemen bei der Finanzierung zu Wort.
Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) hatte die aufgebrachten Kita-Leitungen, Erzieher und Eltern mit einer Erhöhung des Kita-Etats für frühkindliche Bildung und Betreuung aus dem Haushalt der Sozialbehörde von aktuell 1,2 Milliarden Euro auf 1,3 Milliarden Euro für die Jahre 2025/26 zu beruhigen versucht. Und das, obwohl nach Prognosen des Senats im Jahr 2026 etwa 3800 weniger Kinder zu betreuen seien werden, so die Senatorin.
Die Forderung nach der Refinanzierung der Kostensteigerungen in den Kitas gab sie zurück an die Kita-Verbände. Das liege an den Verhandlungen zum Landesrahmenvertrag mit den Kita-Verbänden, denen die Träger unterstehen. Diese Verhandlungen gestalten sich der Senatorin zufolge oftmals schwierig, da sie nach dem Einstimmigkeitsprinzip erfolgen.
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Benedikt Hensel vom Kita-Verband Kindermitte hält dagegen, dass die Verhandlungen über höhere Entgelte von Behördenseite schon seit Monaten stagnierten. Er vermutet, dass die knappen Haushaltsmittel dabei eine Rolle spielen. „Dabei geht es um dringend erforderliche Veränderungen des Grundmodells und darum, dass die Zuschüsse stärker an die tatsächliche Kostenentwicklung angepasst werden.“ Aktuell liegt der Satz bei einem Achtstundenplatz im Elementarbereich (3 bis 6 Jahre) bei etwa 960 Euro, in der Krippe (0 bis 3 Jahre) etwa 1880 Euro. „Das reicht schon länger nicht mehr“, sagt er.
Der Kita-Experte fordert angesichts der sinkenden Kinderzahlen: „Jetzt ist die Zeit, über Qualität zu sprechen und diese zu fördern.“ Und es gibt noch ein weiteres wichtiges Ziel des Verbands: Die Behörde müsste endlich einen Weg für Trägerwechsel bei bestehenden Kitas möglich machen, die es in der bisherigen Form nicht schaffen. „Sonst ist es in den nächsten Monaten für einige zu spät.“