Hamburg. Strafzinsen zwingen Sparer, ihr Geld anders unterzubringen. Wo Experten an der Börse noch Potenzial sehen – die Tipps zum Einstieg.
Nur wenige Analysten haben im Dezember 2020 eine Prognose für den Deutschen Aktienindex (DAX) zum Jahresende 2021 genannt, die nicht jetzt – noch vor der Jahresmitte – schon übertroffen worden wäre. Seit Anfang Januar hat das Börsenbarometer um 14 Prozent zugelegt, erst vor wenigen Handelstagen kletterte es abermals auf ein neues Allzeithoch.
Nicht zuletzt wegen der aktuellen Geschäftspolitik der Banken, schon bei immer niedrigeren Beträgen auf Tagesgeldkonten einen Strafzins zu fordern, wächst der Druck auf die Sparer, ihr Geld auf andere Weise unterzubringen. Aber ist es für Aktienkäufe nicht schon zu spät? Und wenn man sich doch dafür entscheidet, wie vermeidet man unnötige Kosten? Das Abendblatt sprach darüber mit Hamburger Wertpapierexperten.
Aktien kaufen – lohnt sich ein Einstieg noch?
„Bei einem mindestens mittelfristigen Anlagehorizont ist der Einstiegszeitpunkt nicht entscheidend“, sagt Bernd Schimmer, Chef-Investment-Stratege der Haspa. Dann könne man mit einer Rendite von im Mittel sechs bis acht Prozent pro Jahr rechnen. Trotz der Rekordstände sei der Aktienmarkt aktuell „nicht überteuert“, die Kurse würden getragen von einer „guten Entwicklung der Unternehmensgewinne“.
Ähnlich sieht das Carsten Mumm, Chefvolkswirt des Bankhauses Donner & Reuschel: „Es ist nicht zu spät, in den Aktienmarkt einzusteigen.“ Zumindest für die nächsten zwei Jahre rechnet Mumm mit einem weiter positiven Umfeld: „Wir haben es mit einem breiten, globalen Wirtschaftsaufschwung zu tun. In diesem Jahr dürfte das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland um etwa 3,5 Prozent wachsen, in den USA um rund sieben Prozent und in China um etwa acht Prozent.“
Welche Branchen sind bei Aktien aussichtsreich?
Vom kräftigen Wirtschaftsaufschwung profitierten vor allem die konjunkturabhängigen Branchen, so Mumm. Dazu zählen Autohersteller, Maschinen- und Anlagenbauer, der Chemiesektor und Logistikunternehmen. In deren Aktienkursen sei allerdings vieles von den Chancen inzwischen schon eingepreist. Daneben gebe es Unternehmen, die erst jetzt mit den zunehmenden Lockerungen wieder bessere Geschäfte machen können.
„Das betrifft unter anderem die Reisebranche und Konsumgüterhersteller vor allem im Luxussegment, weil sich nun ein Ausgabenstau in diesen Bereichen auflöst“, sagt Mumm. Bernd Schimmer bevorzugt Aktien aus den Sektoren Telekommunikation, Nahrungsmittel, Pharmazie und Medizintechnik. Autotitel gehören wegen ihrer bereits enorm starken Kursgewinne ebenso wenig zu seinen Favoriten wie US-Internet-Werte.
Wie sind die Hamburger Titel gelaufen?
Wie man am Beispiel des HASPAX – der Index umfasst 22 Titel aus der Metropolregion Hamburg – sehen kann, weicht die Kursentwicklung einzelner Aktien häufig sehr stark vom Durchschnitt ab: Während der HASPAX im bisherigen Jahresverlauf um 17,5 Prozent zulegte und dabei den Standardwerte-Index DAX hinter sich ließ, konnten sich Anteilseigner der Hamburger Reederei Hapag-Lloyd gar über ein Kursplus von 95 Prozent freuen. Der wieder boomende Welthandel hatte ihr deutliche Zuwächse beschert. Ebenfalls weit überdurchschnittlich stark zogen die Papiere des Ahrensburger Industriekamera-Herstellers Basler an.
Dank guter Nachfrage in den Anwendungsbereichen Logistik und Computerchip-Fertigung erzielte die Firma hervorragende Geschäftszahlen. Auf der anderen Seite mussten ausgerechnet zwei Aktien aus dem Segment der erneuerbaren Energien sogar Kursrückgänge hinnehmen: Der Windturbinenbauer Nordex (minus 24 Prozent) und der Wind- und Solarparkinvestor Encavis (minus 32 Prozent). Die Windenergiebranche leidet unter hohem Wettbewerbs- und Preisdruck, außerdem belastet die Zinsangst der Geldgeber von Energieprojekten das kapitalbedürftige Geschäft: Sollten die Zinsen signifikant steigen, böten sich andere, weniger riskante Investitionschancen.
Was sollten Aktien-Laien beachten?
„Wer sich an der Börse noch nicht so gut auskennt, sollte nicht mit Einzelaktien starten, sondern mit Anteilen an einem weltweit investierenden Fonds“, sagt Sandra Klug, Finanzexpertin der Verbraucherzentrale Hamburg. Wegen der niedrigen Kosten sei es dabei sinnvoll, keinen Fonds mit aktivem Management zu wählen, sondern einen börsengehandelten Indexfonds (Exchange Traded Funds, ETF). Solche Fonds bilden einen Aktienindex wie etwa den MSCI World genau nach, die Anteile können wie Aktien ohne einen Ausgabeaufschlag gekauft werden. Ganz wichtig sei, so Klug: „Man darf nicht die Nerven verlieren, wenn es an der Börse einmal abwärtsgeht. Ohnehin sollte man nicht Geld einsetzen, das man in zwei oder drei Jahren vielleicht für etwas anderes benötigt.“ Für Aktieninvestments sei ein langer Anlagehorizont – idealerweise mindestens zehn Jahre – dringend zu empfehlen.
Warum sollte man Aktien in Raten kaufen?
„Es ist eine gute Idee, in festen monatlichen Raten über einen Sparplan in Aktien zu investieren, weil man dann in Phasen niedriger Kurse mehr Aktien für das Geld bekommt“, sagt die Verbraucherschützerin Klug. Auch manche der günstigen Onlinebroker bieten solche Sparpläne an. Doch selbst Anleger, die keinen Sparplan nutzen wollen, sollten aus dem gleichen Grund den für die Börse bestimmten Betrag in mehreren Raten über einige Monate gestreckt investieren, rät Carsten Mumm. Das biete „eine gute Chance, im Schnitt einen vernünftigen Einstiegskurs zu erzielen“. Schließlich könne es an der Börse immer wieder auch Rücksetzer von zehn oder 15 Prozent geben.
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Wie kauft man Aktien kostengünstig?
Bei einer Filialbank kann es recht teuer werden, wenn man über das Jahr gesehen fünfstellige Beträge an Aktien kauft oder verkauft. Ein Beispiel: Beim „KlassikDepot“ der Commerzbank werden jährlich 0,25 Prozent des Depotwerts fällig, mindestens aber 19,90 Euro pro Quartal, außerdem pro Aktienorder 1,0 Prozent des jeweiligen Transaktionsvolumens zuzüglich 4,90 Euro, mindestens aber 49,90 Euro. Geht man von einem durchschnittlichen Depotwert von 50.000 Euro und zwölf Kauf- oder Verkaufsaufträgen im Jahr von je 5000 Euro aus, ergeben sich daraus Kosten von 725 Euro.
Wer sich für reines Onlinebanking entscheidet, zahlt deutlich weniger. Die Haspa etwa würde in diesem Beispiel 397,50 Euro berechnen, die Postbank 359,40 Euro. Doch spezielle Discountbroker liegen noch weit unter diesen Preisen (siehe Grafik). Smartbroker etwa bieten Aktienkäufe – von eventuellen geringen Fremdkosten abgesehen – sogar gratis an, bei Trade Republic kosten sie jeweils nur einen Euro. Bei manchen dieser Anbieter erfolgen die Depotführung und die Transaktionen allerdings ausschließlich per App über ein Smartphone oder ein Tablet-Gerät.
Wo liegen die Risiken für die Börse?
„In vielen Schwellenländern sind die Corona-Impfquoten sehr niedrig“, sagt Mumm: „Damit besteht die Gefahr, dass sich Virusvarianten entwickeln, gegen die eine Impfung weniger wirksam ist und die uns im Herbst oder Winter doch wieder Sorgen machen könnten.“ Und sollten die Inflationsraten viel kräftiger anziehen als erwartet, wäre auch das nach Einschätzung von Mumm eine Belastung für die Aktienkurse, weil Leitzinserhöhungen dann näherrücken.
Gibt es gute Alternativen zu Aktien?
„Festverzinsliche Papiere bieten auf absehbare Zeit keine attraktive Anlagealternative“, sagt Mumm. „Die Zinsen werden zwar langsam steigen, sie bleiben aber noch unterhalb der Inflationsrate.“ Als Alternative zu Aktien kämen Edelmetalle wie Gold oder Silber infrage – aber nur als Beimischung von fünf Prozent des Anlagebetrages: „Für anderes, wie zum Beispiel Industriemetalle, sind sehr gute Marktkenntnisse erforderlich, die eigentlich nur Profis haben.“
Schimmer nennt außerdem Fixkupon-Express-Zertifikate, die eine Rendite von bis zu rund zwei Prozent ermöglichten. Solche Papiere stellen eine Art Wette dar: Liegt der zugrundeliegende Aktienindex während der Laufzeit von bis zu drei Jahren an bestimmten Stichtagen zum Beispiel um mehr als 35 Prozent unter dem Startwert, tritt ein Kapitalverlust um diesen Prozentsatz ein. Daher ist laut Schimmer auch dies nur als Beimischung ratsam.