Hamburg. Volksbank gerät wegen Negativzinsen in die Kritik. Vorstandssprecher Thorsten Rathje verteidigt das Geldhaus.
Immer mehr Banken und Sparkassen in Deutschland verlangen Negativzinsen auf Spargelder. Auch in Hamburg und dem Umland haben in den vergangenen Tagen und Wochen viele Kunden Briefe, Mails und Anrufe von ihrem Geldinstitut bekommen – mit der Aufforderung, künftig sogenannte Verwahrentgelte zu bezahlen. „Das ist derzeit nicht irgendein Thema bei uns in der Beratung, sondern es ist das Thema“, sagt Sandra Klug, Juristin von der Verbraucherzentrale Hamburg.
Derzeit rolle die „Postbank-Welle“ durchs Land, berichtet Klug. Denn die größte Privatkundenbank Deutschlands hat jüngst einen großen Schwung Briefe an Kunden versendet, in denen diese dazu aufgefordert werden, eine Zusatzvereinbarung zu Negativzinsen zu unterschreiben. Doch die 100-prozentige Tochter der Deutschen Bank ist nicht das einzige Geldinstitut, das so vorgeht.
Verunsicherte Kunden von Haspa, Volksbank und Sparda-Bank
Viele verunsicherte Kunden der Haspa würden ebenfalls Rat bei der Verbraucherzentrale zu dem Thema suchen, sagt Klug. Es seien aber auch Kunden der Volksbank, Sparda-Bank und vieler anderer Geldhäuser darunter.
Nach einer aktuellen Studie verlangen bundesweit bereits mehr als 300 Geldinstitute Strafzinsen. Zumeist sind es 0,5 Prozent ab einem Betrag von 25.000, 50.000 oder 100.000 Euro. Betroffen sind vor allem Giro- und Tagesgeldkonten. Aber auch Sparbücher sind vor dem sogenannten Verwahrentgelt nicht mehr sicher. Neukunden müssen bereits bei der Kontoeröffnung entsprechende Vereinbarungen unterzeichnen. Aber auch Bestandskunden werden nun im großen Stil zur Unterschrift gedrängt. Die Geldinstitute begründen ihr Vorgehen damit, dass sie selbst Negativzinsen an die Europäische Zentralbank überweisen müssen.
Ältere Bankkunden melden sich bei Verbraucherschützern
Verbraucherschützerin Klug berichtet, dass sich bei ihr vor allem ältere Bankkunden meldeten: „Sie stehen der Situation oft hilflos gegenüber, fühlen sich von den Banken unter Druck gesetzt.“ Dabei sei juristisch noch gar nicht entschieden, ob Negativzinsen überhaupt genommen werden dürften. Die Verbraucherzentralen haben bundesweit sechs Verfahren gegen Geldinstitute wegen der sogenannten Verwahrentgelte laufen. Die ersten Urteile werden noch im Sommer erwartet.
Die Verbraucherzentrale rät Kunden, sich fachlich und unabhängig beraten zu lassen, wie sie auf die Androhung von Strafzinsen und eine mögliche Kündigung durch die Bank reagieren sollten. Jeder Fall liege anders. Manchmal geht es nur um einen kleineren, vom Strafzins bedrohten Geldbetrag. Hier könnte sich die Umschichtung des Geldes anbieten. In anderen Fällen sei die Situation komplizierter. „Auf jeden Fall sollte man sich nicht teure, unsinnige Anlageprodukte aufdrängen lassen“, sagt Klug. Erst vor Kurzem habe sich bei ihr eine Kundin gemeldet, der ein Hamburger Geldinstitut noch eine Rentenversicherung alternativ zum Spargroschen empfohlen hatte. Die Anruferin war 72 Jahre alt.
Leitbild der Hamburger Volksbank: Wir sind anders
„Wir sind anders“ – so heißt es im Leitbild der Hamburger Volksbank. Ihren genossenschaftlichen Werten entsprechend berate man die Kunden „solidarisch, fair, partnerschaftlich und persönlich“. Doch der Hamburger Rentner Carl Lehmann* hat das anders wahrgenommen.
Im Februar erhielt er eine E-Mail, an die ein neues Preisverzeichnis angehängt war. Daraus ging hervor, dass die Bank nun einen Negativzins von 0,5 Prozent auf sein Erspartes erheben wollte. Es ging um 500 Euro jährlichen Strafzins, die der 81-jährige für sein Tagesgeldkonto bezahlen sollte.
81 Jahre alter Kunde sollte in Fonds investieren
Als er auf Vorschläge, das Ersparte auf dem Tagesgeldkonto zum Beispiel in Fonds, in eine Rentenversicherung oder in Gold zu investieren, nicht einging, „hat man mir konkret gedroht, das Konto zu kündigen“, sagt Lehmann und fügt an: „Das ist sehr unfreundlich gewesen.“
Weil er vor dem Aufwand eines Wechsels der Bankverbindung zurückschreckte, stimmte er den neuen Konditionen schließlich zu. Zwar überlegt er nun doch, das Geld auf andere Weise anzulegen. Das will er dann aber definitiv nicht bei der Hamburger Volksbank tun: „Ich bin mit dieser Bank durch. Mit ihr mache ich keine Geschäfte mehr.“
Laut Verbraucherzentrale sind Negativzinsen das Thema
Und die Kritik von Lehmann ist kein Einzelfall. Beim Abendblatt gingen mehrere Beschwerden älterer Volksbank-Kunden ein, die sich von Beratern des Instituts beim Thema Negativzinsen massiv unter Druck gesetzt fühlten und weiterhin fühlen. Allerdings kamen die Beschwerden nicht nur von Kunden der Hamburger Volksbank, mehrere Leser, die sich beim Abendblatt meldeten, haben Konten bei der Postbank, Haspa, Postbank und Deutschen Bank.
Laut Verbraucherzentrale Hamburg sind die so genannten Verwahrentgelte der Banken derzeit Thema, wenn es um Beschwerden und Nachfragen zum Verhalten von Geldinstituten geht. Die Anrufer fühlten sich verunsichert und bedrängt, eine Vereinbarung über Negativzinsen zu unterschreiben, obwohl sie dies nicht wollten, heißt es von der Verbraucherzentrale.
Rund 2500 Privatkunden seien bei der Volksbank betroffen
Thorsten Rathje, der Vorstandssprecher der Hamburger Volksbank, reagierte am Donnerstag bei der Bilanzvorlage seines Instituts auf die Kritik der Kunden. Rund 2500 Privatkunden seien bisher bei seinem Institut von Negativzinsen betroffen, weil ihre Einlagen die Schwelle von 10.000 Euro auf dem Girokonto und 100.000 Euro auf dem Tagesgeldkonto überstiegen.
Seit November seien bei der Bank in diesem Zusammenhang insgesamt gut 60 Kundenbeschwerden eingegangen. „Das entspricht gerade einmal etwa 0,05 Prozent der Kunden“, so Rathje. Eine Abmahnung der Verbraucherzentrale habe man nicht erhalten. „Es ist auch in keinem einzigen Fall ein Konto von uns aufgelöst worden“, erklärte der Volksbank-Chef. Die „Anregung“, mindestens einen Teil des Betrages auf dem Tagesgeldkonto in Wertpapieranlagen umzuschichten, werde „sehr gerne angenommen“.
Führungsstil in der Bank soll sich geändert haben
Zwar gebe es noch einige Banken, die bisher keine Negativzinsen von Privatkunden erheben würden, sagte Rita Herbers, im Vorstand der Volksbank verantwortlich für den Vertrieb: „Aber es ist nur eine Frage der Zeit, dass auch sie das tun müssen.“ Herbers, die von der Commerzbank kam, übernahm ihre Position im dritten Quartal 2020, ebenso wir Rathje und Nils Abels, der im Vorstand für die Banksteuerung zuständig ist.
Mit der kompletten Neubesetzung des Leitungsgremiums und dem Abschied des langjährigen Chefs Reiner Brüggestrat hat nach Auffassung mancher Kenner der Hamburger Volksbank ein neuer Führungsstil Einzug gehalten, auch wenn Rathje und Abels schon seit Jahrzehnten für die Genossenschaftsbank beziehungsweise ihre Vorgängerinstitute arbeiten. Es werde „deutlicher kommuniziert“, heißt es aus der Bank vielsagend.
Gebühr für Schüler-Konto wurde verdoppelt
Und bei den Kunden schaue man eben nun genau auf den Euro. So wurde unter anderem die Monatsgebühr für ein Giro-Start-Konto für Schüler, die volljährig sind, im Februar 2021 auf zwei Euro verdoppelt. Bis zum Februar 2020 war dieses Einstiegskonto noch kostenlos, dann wurde zunächst ein Euro fällig. Nun sind es 100 Prozent mehr.
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Wie aus dem Geschäftsbericht des Instituts hervorgeht, hat die Volksbank 2020 bereits rund fünf Millionen Euro an Negativzinsen eingenommen. Davon entfielen nach Angaben von Rathje aber etwa 4,7 Millionen Euro auf professionelle Großanleger und rund 80 Prozent des Rests auf andere Geschäftskunden. Zwar sind generelle Strafzinsen für Privatkunden erst im November 2020 angekündigt und im Februar 2021 eingeführt worden, in Einzelfällen und bei Anlagebeträgen im Millionenbereich gab es sie aber schon seit 2017.
Jahresüberschuss sinkt um eine Million Euro
Unter dem Strich könnten die fünf Millionen Euro die Belastungen, die die Volksbank selbst durch die von der Europäischen Zentralbank erhobenen Negativzinsen zu tragen habe, bei weitem nicht ausgleichen, so Rathje. Eine konkrete Zahl nannte er hier aber nicht. Dies sei zu kompliziert zu berechnen, hieß es lediglich.
Fest steht: Der Jahresüberschuss der Volksbank ging 2020 von 3,9 Millionen Euro im Vorjahr auf 2,9 Millionen Euro zurück. Intern misst das Kreditinstitut den Erfolg am so genannten Betriebsergebnis vor Bewertung, das sich um knapp 19 Prozent auf 14,6 Millionen Euro verschlechterte. Neben den Zinseffekten spielte dabei aber auch der pandemiebedingte Rückgang des Hamburg-Tourismus eine Rolle: Allein die geringere Zahl der Fremdabhebungen an den Geldautomaten der Volksbank drückte den Provisionsüberschuss um 1,1 Millionen Euro.
Wachstumstreiber war erneut das Immobiliengeschäft
Trotz der Strafzinsen kletterten die Kundeneinlagen um 7,9 Prozent auf knapp 3,15 Milliarden Euro. Außerdem gelang es, den Kreditbestand um 7,3 Prozent auf fast 2,3 Milliarden Euro auszubauen. Wesentlicher Wachstumstreiber war abermals das langfristige Immobilienfinanzierungsgeschäft. „Rund 80 Prozent des Kreditbestands sind durch Immobilien abgesichert“, so Rathje. „Damit fühlen wir uns in Corona-Zeiten wohl.“
Auch die Volksbank selbst investiert derweil in Immobilien: Sechs Millionen Euro kostet ein Neubau in Wedel, in dem neben der Bankfiliale – die im Spätsommer dort eröffnen soll – auch mehrere Wohnungen vorgesehen sind. In Blankenese ist die Volksbank-Filiale schon im Oktober 2020 an einen neuen Standort umgezogen, der nun auch Raum für Veranstaltungen bietet.
Filialschließungen senken die Kosten
Beim Blick nach vorne sieht Rathje durchaus Chancen für ein besseres Betriebsergebnis 2021: „Es sollte ein bisschen mehr werden als die 14,6 Millionen Euro aus dem vorigen Jahr.“ Dazu dürfte auch die 2020 umgesetzte Schließung von zehn der einst 25 Filialen beitragen. Denn weniger Filialen verursachen auch weniger Kosten.
Strafzinsen für höhere Einlagen, weniger Filialen und damit Fokussierung aufs Onlinebanking. Dieser Weg, den nicht nur die Volksbank beschreitet, stellt aus Sicht der Verbraucherzentrale vor allem eine Kundengruppe vor große Probleme: „Die Älteren werden so abgehängt“. Volksbank-Kunde Carl Lehmann ist nur einer von ihnen.
* Name von der Redaktion geändert