Hamburg. Wegen der Pandemie sind manche Bikes nicht lieferbar und viele Ersatzteile ausverkauft. Werkstätten gehen jetzt ungewöhnliche Wege.
Bei Fahrrad Löwe in Eilbek stehen die Räder in ordentlichen Reihen an der Wand. Eine Kundin fährt draußen vor der Tür eine Runde zur Probe, entscheidet sich schnell für das schwarze Citybike und zahlt die 700 Euro gleich an der Kasse. So reibungslos laufen die Geschäfte in dem Laden an der Wandsbeker Chaussee sonst nicht. Im Gegenteil. Derzeit müssen sich Kunden bei Reparaturen und beim Kauf von Rädern oft monatelang gedulden.
Martin Bremmes zeigt auf die Regale hinter der Bedientheke. „Hier steht sonst alles bereit“, sagt der Mitarbeiter des Ladens. Die Lücken im Lager bei Löwe betreffen Verschleißteile wie Ketten und Bremsbeläge. „Die Zahnkränze haben wir schon lange bestellt“, beschreibt Bremmes die Situation, „aber sie kommen wohl erst zu Weihnachten.“ Sechs Monate Wartezeit auf Ersatzteile – dieses Phänomen ist derzeit kein Einzelfall in der Branche.
Mountainbikes in Hamburg sind besonders knapp
Kunden müssen oft sehr lang auf notwendige Reparaturen warten, auch auf neue Fahrräder, wenn der alte Drahtesel irgendwann schlappmacht. „KTM hat uns nur 20 Prozent unserer Bestellungen geliefert“, sagt Bremmes über die schwierige Lage bei Herstellern wie dem führenden österreichischen Fahrradproduzenten. Beliebt seien derzeit besonders sogenannte Gravel- und Mountainbikes fürs Gelände, und hier sei das Angebot äußerst knapp, sagt der 47-Jährige.
Eine geringe Auswahl haben die Käufer auch bei Kinderfahrrädern von Puky. Der Produzent aus Nordrhein-Westfalen arbeitet bei der Herstellung der bekannten Markenräder mit Behindertenwerkstätten zusammen. Und diese konnten wegen Corona ebenfalls nicht in dem Maße arbeiten wie üblich.
Fahrradketten und Bremsteile fehlen
Hans-Peter Obermark vom Verband des Deutschen Zweiradhandels (VDZ) hat einen guten Überblick über die Branche und benennt die Engpässe bei den Zulieferteilen: „Es sind oft typische Verschleißteile, wie Fahrradketten und Bremsenteile, die fehlen“. Allerdings sehe die Situation in den einzelnen Betrieben sehr unterschiedlich aus. „Das, was bei dem einen noch am Lager ist, kann bei dem anderen schon längst nicht mehr vorrätig sein“, sagt Obermark.
„Deshalb kauft mittlerweile schon der eine Händler beim anderen, um die Knappheiten auszugleichen“, ergänzt Martin Bremmes von Fahrrad Löwe. Die Folge: Auf einen Gewinn müssen die Geschäfte in dieser Notlage verzichten, denn Preise wie beim Großhändler gibt es bei den Kollegen nicht.
Eine Folge der Corona-Pandemie
Die Gründe für die Misere sind vielfältig. „In den Herstellungsländern war die Produktion durch Lockdowns wochenlang, teils monatelang stark eingeschränkt“, sagt Obermark vom VDZ. „Diese Lücken kann man durch normale Lagerhaltung nicht auffangen.“ Auch seien Bauteile, die ursprünglich als Ersatzteile geplant waren, in die erhöhte Produktion neuer Räder gegangen. Andererseits gebe es einen „Klopapiereffekt“, manche Betriebe hätten sich bevorratet. „Wer sich frühzeitig mit entsprechenden Teilen eingedeckt hat, ist nicht so stark betroffen“, sagt Obermark, der bilanziert: „Das sind letztendlich alles Reaktionen auf den nicht voraussehbaren erhöhten Bedarf seit 2020.“
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Denn bereits im vergangenen Jahr waren etwa 20 Prozent mehr Fahrräder verkauft worden als zuvor. Dieser Trend hält an, denn noch immer trauen sich viele Pendler nicht in volle Züge. Außerdem haben die Menschen mangels Alternativen mehr Zeit für Radtouren. Dazu kommt das gestiegene Interesse an Bikes mit Batterie. Fahrräder mit Elektroantrieb erfreuen sich schon seit Jahren zunehmender Beliebtheit, der Absatz hat sich seit 2014 mehr als verachtfacht.
Blockade des Suezkanals bremst Branche
Den Boom in der Branche bestätigt ein bekannter Hamburger Hersteller: „Ein Grund für die Situation ist mit Sicherheit die weiterhin sehr hohe Nachfrage“, sagt Jacob von Hacht, der hinter der Marke Stevens steht. „In dem Zuge kommen viele Lieferanten in der Produktion einfach nicht hinterher oder können durch Corona-Auflagen noch nicht wieder mit voller Kraft produzieren.“
Von Hacht hört von den Händlern, dass bei ihnen Ketten, Kassetten, Bremsen und Reifen fehlten. Weitere Gründe für die Engpässe nennt Thomas Geisler vom Pressedienst Fahrrad: Die Knappheiten resultierten auch aus den Schwierigkeiten in der Logistik. So seien die Transportkosten für die meist aus Asien stammenden Teile gestiegen. „Dazu kamen fehlende Schiffscontainer und die Blockade im Suezkanal“, zählt Geisler auf. Gerade in Asien waren und sind die Stahlboxen rar, weil es ein Ungleichgewicht in den Warenströmen gibt. Denn es werden mehr Produkte aus China nach Europa geliefert als umgekehrt.
Hamburger müssen sich auf Wartezeit einstellen
„Viele kleine Teile werden zudem nur von wenigen Herstellern produziert, die jetzt an ihre Kapazitätsgrenzen kommen und das noch nicht nachholen können.“ Darüber hinaus sei die Rohstoffknappheit ein wichtiger Punkt. „Viele Fahrradhersteller schauen sich deshalb nach Alternativen für manche Komponenten in Europa um, was wiederum zu einem höheren Preis führen kann“, berichtet der Branchenkenner.
Er rät Kunden, nicht nur auf ihr Stammgeschäft zu setzen. „Am besten einfach mal bei mehreren Händlern nachfragen, wie es mit einem Termin beziehungsweise den Produkten aussieht.“ Aber generell sollte man sich wie in vielen anderen Branchen auch auf längere Wartezeiten einstellen. Denn viele Fahrradwerkstätten arbeiteten ohnehin aktuell am Limit, sagt Geisler. „Wir sind ja mitten im Frühjahrsgeschäft und viele möchten ihr Rad reparieren lassen, da für Neuräder teilweise lange Wartezeiten gelten.“