Hamburg. Bei ’s Fachl können Manufakturen und Start-ups Produkte auf kleinstem Raum anbieten. Die winzigen Geschäfte sind auf Expansionskurs.
Der Lieger „Caesar“ ist gut vertäut im Sandtorhafen. Wer an Bord des Restaurantschiffs geht, muss also nicht seefest sein. Aber Freude an neuen Entdeckungen kann in diesem Fall nicht schaden. In einer Ecke der historischen Hafenarbeiterplattform stapeln sich Holzkisten. Je vier übereinander, insgesamt knapp 30 Stück. Seit Neuestem kann man in der früheren Werkhalle nicht nur gut essen, sondern auch einkaufen. Wo einst Reparaturarbeiten an Lastenschuten ausgeführt wurden, gibt es jetzt Haselnuss-Schnaps und hanseatischen Rum, Honig aus Hamburger Parks, Parfümflakons mit dem Duft der Stadt genauso wie Trüffelpesto aus Italien und Olivenöl aus Griechenland. Jede Kiste ist ein Laden, zusammen sind sie eine Art schwimmendes Miniaturkaufhaus und die jüngste Eröffnung von ’s Fachl in der Elbmetropole.
„Das Angebot ist eine Ergänzung zum Restaurantbetrieb“, sagt Nils Tönnesen. Die Idee dahinter: Die Gäste können Produkte auf der Speisekarte, die ihnen besonders gut gefallen, direkt für zu Hause kaufen. Und noch einiges mehr. ’s Fachl Eck nennen die Mietregal-Experten aus Wien die kleine Ausgabe ihres Geschäftsmodells. Fachl ist österreichisch und steht für „kleines Fach“. Diese können Kunsthandwerker, Kreative, Manufakturen und Start-ups mieten, um ihre Produkte an Kunden zu bringen. „Es ist ein Ort zum Stöbern, an dem Dinge angeboten werden, die es sonst im Handel nicht gibt“, sagt Nils Tönnesen.
Einzelhandel in Hamburg: Obstkisten werden zur Geschäftsidee
Er ist als sogenannter Fachl-Meister der Hamburger Statthalter. Vor drei Jahren hatte er in Ottensen das erste ’s Fachl in Deutschland eröffnet. Inzwischen betreibt er an drei Standorten Geschäfte aus der Kiste. Nach dem Hauptsitz hat der 55-Jährige trotz Corona-Pandemie in den vergangenen Monaten als Untermieter ein ’s Fachl Eck auf der Schanze im Kreativkaufhaus All my friends und jetzt auf dem Lieger „Caesar“ in der HafenCity eröffnet. Das Konzept kommt an. „Wir bieten einen Vertriebskanal, aber sind auch ein Sprungbrett und eine Plattform für neue Entwicklungsmöglichkeiten“, sagt Tönnesen. „Die Warteliste der Anbieter ist so lang, dass ich noch ein Geschäft eröffnen könnte.“ Und das nur über Mund-zu-Mund-Propaganda.
In dem hanseatischen Ur-Fachl direkt am Spritzenplatz ist Platz für 280 der Mini-Läden. Jeder ist genauso groß wie eine Apfelkiste: 50 Zentimeter breit, 40 hoch und 30 tief. Die meisten Mieter kommen aus der Region, aber es gibt auch ausgewählte Anbieter aus anderen Gegenden und Ländern. Inzwischen haben auch größere Firmen die Kisten-Läden entdeckt, mieten sich mit neuen Produkten ein oder schicken ihre Scouts vorbei.
Schon seit Herbst 2020 gibt es ’s Fachl in Buxtehude
„Ein breites Angebot ist wichtig“, sagt der studierte Maschinenbau-Ingenieur, der vor seiner Selbstständigkeit für ein großes Unternehmen in Stuttgart gearbeitet hat. In seinem Laden gibt es fast alles: von der handgeschöpften Seife über Hundekekse mit Leberwurstmandel-Geschmack bis zu edlen Weinen. Tönnesen verdient über die Vermietung. Pro Woche werden zwischen 11 und 13 Euro fällig, zeitlich gestaffelt nach Mietdauer. Drei Monate ist die Mindestlaufzeit. Einmalig gibt es auch eine Probierphase von fünf Wochen für 70 Euro. Wenn etwas verkauft wird, gehen zehn Prozent Provision ans ’s Fachl.
In Österreich hat sich die Geschäftsidee seit dem Start 2015 etabliert. Zehn ’s Fachl gibt es inzwischen in der Alpenrepublik, alle in größeren Städten und stark frequentierten Lagen. Auch in Deutschland ist das Franchise-Konzept auf Wachstumskurs. Acht Kisten-Geschäfte haben seit Januar neu eröffnet, darunter in Celle und Kiel. Bereits seit Herbst 2020 gibt es einen Standort in Buxtehude. Fachl-Meister Frank Mehl stammt ursprünglich aus Ottensen und hatte das Geschäftsmodell dort kennengelernt. Dazu kommen zwei ’s Fachl in der Schweiz und insgesamt acht ’s Fachl Ecken.
Vom Ohrstecker bis zum T-Shirt: Alles bekommt einen Barcode
„Durch die Pandemie hat sich die Expansion verschoben und konzentriert sich auf dieses Jahr“, sagt ’s-Fachl-Geschäftsführer Roland Huber, der das Handelskonzept mit Christian Hammer und Markus Bauer gegründet hat und in Salzburg selbst ein ’s Fachl betreibt. Besonders stolz sind die Macher darauf, dass sie für ihre Mieter mit 1,5 Millionen verkauften Artikeln bislang schon 16 Millionen Euro in den Mini-Läden umgesetzt haben.
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Entscheidend dafür, dass das auch steuerlich in verschiedenen Ländern reibungslos funktioniert, ist ein komplexes Warenwirtschaftssystem, über das die Bestandsverwaltung und die Abrechnung gemanagt werden. Jedes Produkt, vom Ohrstecker bis zum T-Shirt, bekommt einen Barcode, der beim Verkauf gescannt wird und Transparenz gewährleisten soll. „Die Mieter können online verfolgen, was in den Filialen über die Ladentheke gegangen ist und wie hoch die Einnahmen sind“, sagt Tönnesen. Der Start in Hamburg lief gut. 2020 hat er Waren im Wert von knapp einer halben Million Euro verkauft. Dann kam Corona und der monatelange Lockdown, der auch den Geschäften aus der Kiste zusetzte. Inzwischen sind die Kunden zurück. Der Unternehmer hofft jetzt auf gute Umsätze in der Weihnachtszeit.
’s Fachl: Es passt nicht alles in eine Obstkiste
2022 will ’s Fachl weiterwachsen. Schon Ende des Jahres startet ein Onlineangebot. Bis Ende des Jahres sollen dann weitere Läden dazukommen. Aktuell ist Berlin in Planung, in Paderborn, Münster, München und Ahrensburg laufen zudem Gespräche. Auch Tönnesen will expandieren. Im Fokus steht dabei ein neues Angebot, das gerade aufgebaut wird: die ’s Fachl Fläche. „Wir wollen jungen Unternehmen die Möglichkeit bieten, auch größere Verkaufsflächen zwischen zehn und 15 Quadratmetern zu mieten“, sagt Geschäftsführer Huber.
Es passt eben nicht alles in eine Obstkiste. Immer wieder habe es Anfragen gegeben, etwa von Herstellern von Holzspielzeug, Bekleidung oder Lampen und Möbeln. „Gerade in einer Zeit, in der wegen der Pandemie in vielen Städten Geschäftsräume selbst in bester Lage leer stehen, kann unser Konzept zur Attraktivität und Wiederbelebung beitragen“, so Huber.
Auf dem Lieger „Caesar“ in der HafenCity kann man einkaufen, wenn das Restaurant mit der ambitionierten nordischen Küche geöffnet ist. Jetzt im Herbst und Winter immer von Donnerstag bis Sonntag. Gastronom Steve Förster, der mit seinem Unternehmen Gorilla Hier & Da bislang vor allem Catering angeboten hat, ist angetan von Konzept. „Lebensmittel und Tüdelkram mit Niveau verkaufen sich gut“, sagt er. Er profitiert von zusätzlichen Mieteinnahmen. Inzwischen hat der Restaurantchef selbst auch ein Fachl gemietet. Dort will er Chili-Pasten, eingelegtes Gemüse und Pesto nach Art des Hauses anbieten.