Hamburg. Alsterhaus-Chefin Alexandra Bagehorn und 49 weitere Unternehmer kritisieren Bürgermeister und Senat – ungewöhnlich scharf.

Hamburgs Einzelhändler wenden sich mit ungewöhnlich deutlichen Worten gegen die Corona-Politik von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und des rot-grünen Senats. In einer großformatigen Anzeige, die heute im Hamburger Abendblatt erscheint, machen die Händler ihrer Enttäuschung und ihrer Wut Luft. Hinter dem Protest stehen mehr als 50 Unternehmen, darunter große Handelsketten wie Saturn, Thalia, Görtz sowie der Einkaufscenter-Betreiber ECE.

Die Kritik richtet sich vor allem gegen den Stufenplan für die Lockerungen im Lockdown, der im ersten Schritt keine Erleichterungen für den Handel vorsieht. Dass es trotz sinkender Inzidenzen immer noch keine verlässlichen Aussagen für den Handel gebe, sei so nicht mehr hinnehmbar, erklärte die Chefin des Alsterhauses, Alexandra Bagehorn, gegenüber dem Abendblatt.

„Wir fordern eine Öffnung des gesamten Einzelhandels am 17. Mai.“ Nach den derzeitigen Planungen im Rathaus soll das Einkaufen in allen Geschäften frühestens vom Pfingstdienstag (25. Mai) an wieder möglich sein.

Hamburger Einzelhandel fordert Öffnungsschritte

Als Chefin des feinen Alsterhauses übt sich die 38-jährige Topmanagerin normalerweise in hanseatischer Zurückhaltung. „Wir haben darauf gesetzt, dass Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher den Stufenplan der Bundesregierung zur schrittweisen Öffnung des Einzelhandels umsetzt“, sagt sie im Video-Interview mit dem Abendblatt.

Bagehorn, die die Leitung des Nobelkaufhauses an der Alster Ende 2019 übernommen hatte, sitzt in ihrem Büro vor dem Computermonitor, man hört die Empörung in ihrer Stimme. Gerade elf Tage war das Haus am Jungfernstieg in diesem Jahr bislang geöffnet.

Wann ist Shopping in Hamburg wieder erlaubt?

Die Stimmung im Hamburger Einzelhandel hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Am Freitag hatte der Senat angekündigt, dass Geschäfte, die nicht der Grundversorgung dienen, zunächst weiterhin geschlossen bleiben.

Frühestens zehn bis 14 Tage nach den ersten Lockerungsschritten am Mittwoch soll Shopping mit negativem Test, Kontaktverfolgung und Personenbegrenzung wieder möglich sein. Voraussetzung: Der Inzidenzwert bleibt stabil unter 100.

Einzelhandel hat gute Erfahrungen mit Terminshopping

„Das löst bei uns großes Unverständnis aus“, sagt Alsterhauschefin Bagehorn. Zumal in anderen Bundesländern die Kunden zumindest für Terminshopping wieder in die Geschäfte dürften. Das Alsterhaus, das zur KaDeWe Group gehört, habe damit während der kurzen Phase im März, als auch in Hamburg Click & Meet erlaubt war, gute Erfahrungen gemacht.

„Die Sicherheitskonzepte sind da und funktionieren“, sagt Alexandra Bagehorn. Das Traditionskaufhaus hatte erst im vergangenen Jahr weitere Abteilungen im Rahmen einer umfassenden Modernisierung wiedereröffnet. Der geplante Umbau der Gastronomie in der Gourmetetage im vierten Stock wurde inzwischen coronabedingt auf den Herbst verschoben. Vor allem die 600 Mitarbeiter können es kaum erwarten, dass es endlich wieder losgehe, sagt die Chefin. Im Moment sind nahezu alle Beschäftigen in Kurzarbeit.

Statement des Hamburger Senats

Im Rathaus wird darauf hingewiesen, dass die Infektionen nach dem sogenannten "Black Friday" im November 2020 sprunghaft angestiegen seien. Vor allem die Mobilität - also der Weg zu den Geschäften und nach Hause - sei risikobehaftet.

Im Übrigen sei es so, dass Hamburg das Konzept "Click & Meet" überspringe und im zweiten Schritt des Lockerungs-Fahrplans in zehn bis 14 Tagen Einzelhandelsgeschäfte gleich ohne Termin und negativem Test der Kunden sowie einer Begrenzung der Personenzahl öffnen könnten.

Viele Händler in Hamburg stehen vor dem Aus

„Ich verstehe nicht, dass der Bürgermeister erst eine bundeseinheitliche Lösung mitinitiiert, aber jetzt ausschert und sogar noch schärfere Maßnahmen drauflegt“, erklärt auch Marc Böhle, Inhaber von Rumöller Betten. Dabei ärgert den Kaufmann, der auch Präsident des Verbandes der Bettenfachgeschäfte ist, dass der Senat nicht die RKI-Inzidenz­werte verwendet, die schon vor Wochen Geschäftsöffnungen möglich gemacht hätten.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

„Wir haben seit fünf Monaten kaum Möglichkeiten Umsatz zu machen. Viele Händler leben längst von ihren Rücklagen. Die Zeit drängt“, sagt Böhle. Daran änderten die staatlichen Hilfsprogramme kaum etwas. Auch der gerade vorgestellte Neustart-Fonds der Stadt in Höhe von einer guten Million Euro sei kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. „Vielleicht ist die Unterstützung auch gar nicht mehr nötig, weil viele Läden nicht wieder aufmachen“, sagt er sarkastisch.

Handelsverband "entsetzt" über Hamburger Corona-Politik

Schon am Freitag hatten sich die Handelskammer und der Handelsverband Nord enttäuscht über die Öffnungsschritte des Senats gezeigt und vor weiteren Firmenpleiten gewarnt. Handelsverbands-Präsident An­dreas Bartmann sagte: „Ich bin entsetzt über die Entscheidung des Senats. Die beschlossenen Regeln kommen einer weiteren Schließung von einem Monat gleich.“

Ungewohnt deutlich kritisierte er auch, dass die Händler einen negativen Testnachweis von den Kunden verlangen sollen. Das sei wirtschaftlich nicht tragfähig, so Bartmann, der im Hauptjob Geschäftsführer des Outdoor­ausrüsters Globetrotter ist. „Mit dieser Entscheidung nimmt der Senat bewusst das weitere Ladensterben in Kauf.“ Und das obwohl der Einzelhandel Studien zufolge nicht maßgeblich zum Infektionsgeschehen beitrage.

Einkaufen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen möglich

Besonders unfair finden viele Händler, dass im Umland bei ähnlichen Inzidenzwerten das Shoppen entsprechend der bundesweit abgestimmten Vereinbarungen wieder möglich ist. Dabei unterscheiden sich die Bestimmungen zwischen Schleswig-Holstein und Niedersachsen, die Ausgestaltungen sind zudem von den Inzidenzwerten der jeweiligen Landkreise abhängig.

So kann man etwa in Wedel (Kreis Pinneberg) seit vergangenem Freitag wieder ohne Termin und negativen Test Schuhe, Möbel oder Küchengeräte einkaufen. Im Landkreis Harburg oder in Lüneburg ist Terminshopping in Geschäften bis 200 Qua­dratmeter ohne Test erlaubt. In größeren Verkaufsstellen müssen keine Termine vereinbart werden, dafür ist ein negativer Test bzw. ein Nachweis für Impfung oder Genesung erforderlich.

Werden mehr Händler Hamburg verklagen?

„Der Handel muss in Hamburg jetzt auch mal dran sein“, fasst es Kim Gögge vom Herrenausstatter Gögge zusammen, der seit mehr als 40 Jahren im Alstertal Einkaufszentrum ist. Und auch Alsterhauschefin Bagehorn sagt.

„Ein geschlossenes Haus ist kein Anblick, an den man sich gewöhnen kann. Es muss endlich, endlich wieder losgehen.“ Zu möglichen Klagen gegen die Corona-Politik des Senats wollte sie nicht Stellung beziehen. „Aber wir sind in Abstimmung mit dem Citymanagement.“ Ende vergangener Woche hatte bereits der Hamburger Unternehmer und ehemalige SPD-Vorstand Peter Maßmann eine Klage angekündigt, um eine Abkehr vom Hamburger Sonderweg zu erreichen.