Hamburg. Das Gesundheitssystem mit gesetzlich und privat Versicherten hat so keine Zukunft, sagt Andreas Storm, Chef der DAK-Gesundheit.

Eine der größten deutschen Krankenkassen feiert in diesem Jahr einen ungewöhnlichen Geburtstag: Vor 250 Jahren begann mit dem „Institut zum Besten notleidender Handlungs-Diener“ die Geschichte der Deutschen Angestellten-Krankenkasse, die inzwischen DAK-Gesundheit heißt. Sie hat heute 10.000 Mitarbeiter, 5,5 Millionen Kunden und mit Andreas Storm einen Chef, der unter anderem in den Regierungen von Angela Merkel tätig und unter Annegret Kramp-Karrenbauer Minister im Saarland war. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht der Vorstandsvorsitzende über die Schwierigkeiten bei der Krankenhausreform, die letzte Chance auf die elektronische Gesundheitsakte – und den Unterschied zwischen gesetzlich und privat Versicherten, den es nicht mehr lange geben sollte. Zu hören unter www.abendblatt.de/entscheider

Das sagt Andreas Storm (60) über …

… den Traum, eines Tages Chef einer großen Krankenkasse zu werden: „Als Jugendlicher wollte ich Historiker werden, doch mein Vater hat mir nahegelegt, etwas Bodenständiges zu lernen. Deshalb habe ich Volkswirtschaft studiert, mit zwei Überlegungen: Entweder werde ich Wirtschaftsjournalist, weil mir das Schreiben sehr viel Spaß gemacht hat, oder ich gehe in die Wirtschaftsforschung. Nach dem Grundstudium habe ich mich dann entschieden, mich auf das Thema Sozialpolitik zu konzentrieren. Damals begann eine Debatte darüber, was wir machen müssen, damit das Renten- und das Krankenkassensystem auch in Zukunft funktionieren. Das fand ich spannend, und ich dachte mir: Wenn du es mal ganz nach oben schaffst, wirst du eines Tages entweder Chef einer Krankenkasse oder eines Rentenversicherungsträgers.“

… das „Institut zum Besten notleidender Handlungs-Diener“, mit dem die Geschichte der DAK begann: „Die Menschen im 18. Jahrhundert lebten in einer ständischen Gesellschaft, Handwerker waren beispielsweise in Zünften organisiert und sozial rudimentär abgesichert. Eigentlich hatte jeder seinen Platz in dieser Gesellschaft, mit wenigen Ausnahmen. Zu diesen Ausnahmen gehörten die Angestellten des wachsenden Kaufmannsstandes. Für sie gab es keinerlei Absicherung, weil ihr Berufsstand neu und in der ständischen Gesellschaft nicht vorgesehen war. Deshalb nahmen sie mit der Gründung des Instituts ihre Absicherung selbst in die Hand. Wobei es in den Anfängen nicht so sehr um die medizinische Versorgung, sondern mehr darum ging, die Betroffenen abzusichern, wenn sie aus Krankheitsgründen nicht arbeiten konnten. Im Mittelpunkt stand damals das, was wir heute Krankengeld nennen. Zu Beginn konnten sich in dem Institut nur Junggesellen versichern. Das Institut sorgte sich auch für ihre Beerdigung, falls ihnen etwas passieren sollte.“

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… die hohen Kosten im deutschen Gesundheitssystem: „Wir haben seit einigen Monaten eine Diskussion darüber, dass das Gesundheitssystem in Deutschland zwar ziemlich teuer, aber nicht effizient genug ist. Das wird auch an Indikatoren wie der Lebenserwartung festgemacht, bei der wir im Vergleich zu anderen Ländern tatsächlich zurückgefallen sind. Aber man muss aufpassen, dass nicht Äpfel mit Birnen verglichen werden: Wir sind nun mal ein Land, in dem viel mehr ältere Menschen leben als in anderen Staaten. Dadurch haben wir automatisch höhere Gesundheitskosten. Wenn man die Systeme altersbereinigt vergleicht, stehen wir besser da, was die Kosten angeht. Trotzdem müssen wir auch an der Effizienz und der Qualität unserer Medizin arbeiten, was ein Ziel der Krankenhausreform ist.“

… die Krankenhausreform, die dringend nötig ist, aber nicht so kommen kann, wie sie jetzt geplant ist: „Die Krankenhausreform ist grundsätzlich richtig und wichtig. Aber der Umbau der Krankenhauslandschaft wird ein Jahrzehnt dauern und sehr viel Geld kosten. Erst wenn er abgeschlossen ist, werden wir sowohl bei den Kosten als auch bei der Qualität und der Versorgung der Patientinnen und Patienten besser dastehen. Ich halte eine Krankenhausreform für erforderlich und habe selbst einen Transformationsfonds in Höhe von 50 Milliarden Euro zur Finanzierung vorgeschlagen. Allerdings gefährden zwei Entwicklungen diese Reform: Zum einen schlägt die Bundesregierung angesichts der Schuldenbremse vor, den Umbau der Krankenhäuser zur Hälfte über die gesetzlichen Krankenkassen zu finanzieren. Das ist der falsche Weg, weil die Krankenkassen dann die Beiträge dafür deutlich erhöhen müssten. Das wäre eine Zweckentfremdung von Beitragsgeldern, die nach Einschätzung mehrerer Experten verfassungswidrig ist. Außerdem will Gesundheitsminister Karl Lauterbach die Krankenhausreform allein durchziehen, ohne die Bundesländer zu beteiligen. Das wird aus meiner Sicht nicht funktionieren. Wir brauchen eine Reform mit breitem Konsens: Sie kann nur gelingen, wenn Bund, Länder, Krankenhausgesellschaft und Krankenkassen an einem Strang ziehen.“

… den Unterschied zwischen privat und gesetzlichen Versicherten: „Stellen wir uns eine Pazifik-Insel vor, die einen neuen Staat gründen würde. Sollte dort ein Gesundheitssystem komplett neu entwickelt werden, käme kein Mensch auf die Idee, eine Trennung zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung und Beamtenversorgung zu machen. Wir brauchen hier dringend Veränderungen, vor allem bei der Beamtenversorgung. Es gibt zum Beispiel keinen logischen Grund, dass beamtete Lehrer eine andere Gesundheitsversorgung haben als Lehrer, die in einem Angestelltenverhältnis arbeiten. Was gar nicht geht, ist die Ungleichbehandlung bei Bürgergeldbeziehenden. Die gesetzlichen Krankenkassen erhalten für diese Personen 120 Euro aus Steuermitteln. Das ist nicht kostendeckend. Wird ein Privatversicherter zum Bürgergeldempfänger, zahlt der Staat seiner Versicherung dafür 420 Euro. Das ist dreieinhalbmal so viel. Die gesetzlichen Krankenkassen sind in diesem Bereich mit neun Milliarden Euro unterfinanziert. Allein das macht deutlich, dass wir das duale System in der bisherigen Form nicht weiterführen können. Selbst dann nicht, wenn die eklatanten Gerechtigkeitsprobleme beseitigt werden würden. Es geht übrigens auch nicht, dass die Krankenhausreform ausschließlich von den gesetzlichen Versicherten finanziert werden soll, obwohl die privat Versicherten davon sogar noch mehr profitieren werden. Das ist ein sozialpolitischer Skandal! Die eklatante Benachteiligung der gesetzlich Versicherten muss endlich beendet werden.“

… Beitragserhöhungen: „Ich rechne für das kommende Jahrzehnt mit deutlichen Beitragserhöhungen, weil die Politik den gesetzlichen Krankenkassen immer weitere Aufgaben und Kosten auflastet, die eigentlich nicht in unseren Aufgabenbereich fallen. Hinzu kommt, dass wir in einer alternden Gesellschaft aufgrund der demografischen Entwicklung höhere Kosten haben werden, die auch über die Beiträge ausgeglichen werden müssen. Es sei denn, ein Teil dieser Kosten würde aus Steuergeldern beglichen, was aus meiner Sicht für die gesamtgesellschaftlichen Aufgaben, die wir übernehmen, sachgerecht wäre.“

Entscheider treffen Haider

… Bürokratie, die nicht nur Ärzte wahnsinnig machen kann: „Wir haben leider nach wie vor in Deutschland einen Hang zur bürokratischen Perfektion. Dies hat über die Jahrzehnte dazu geführt, dass Menschen bei uns für jede Krankschreibung in die Praxis des Arztes gehen mussten – und dass Deutschland bei der Zahl der Arztbesuche pro Kopf im internationalen Vergleich immer an der Spitze stand. Das kann sich jetzt ändern. Die nächste Riesenchance ist es, wenn 2025 tatsächlich die elektronische Patientenakte für alle kommt. Ist sie erst einmal etabliert, können sich die bürokratischen Aufwände reduzieren und die Versorgung der Menschen verbessern. Der Umgang mit dem Thema Digitalisierung in Deutschland ist zum Fremdschämen. Deutschland arbeitet seit 20 Jahren an der elektronischen Patientenakte, und ich kann nur sagen: Dieser Anlauf darf nicht scheitern. Sonst weiß ich auch nicht mehr, was wir machen sollen. Unsere europäischen Nachbarn lachen uns schon aus, dass wir das immer noch nicht hinbekommen haben.“