Hamburg. Beyond Emotion hat Gesichtserkennung entwickelt. Sie soll besorgten Angehörigen helfen. Wie sie funktioniert, welche Kritik es gibt.
- Ein digitaler Bilderrahmen erkennt Emotionen
- Das Hamburger Start-up will Angehörigen helfen
- Verbraucherschützerin übt Kritik
„Inge geht es hervorragend“, ploppt auf dem Handy-Bildschirm auf, darüber leuchtet ein grüner Smiley. Bei Oma Inge im Wohnzimmer steht ein digitaler Bilderrahmen, auf dem nicht bloß Fotos ihrer Familie laufen. Über eine kleine Kamera zeichnet der Rahmen auch den Gesichtsausdruck der Seniorin auf, wertet ihn aus und verschickt die Information über ihren Gemütszustand per App an freigeschaltete Angehörige. Was Künstliche Intelligenz alles möglich macht.
Entwickelt hat diesen Bilderrahmen mit integrierter Gesichtserkennung das Hamburger Start-upBeyond Emotion. Und Oma Inge ist das Anwendungsbeispiel, mit dem die Gründer ihr Produkt vermarkten.
Künstliche Intelligenz: Hamburger Start-up will pflegenden Angehörigen helfen
„Wir wollen den Zusammenhalt innerhalb von Familien stärken“, sagt Hanne Butting, die das Unternehmen mit zwei Bekannten gegründet hat. 17 verschiedene Gemütszustände kann der Bilderrahmen erkennen. So unterschiedlich Menschen auch sind – wenn sie erstaunt, gelangweilt, entspannt oder verwirrt sind, haben sie eine ähnliche Mimik. Man muss nur wissen, wie man sie ausliest.
Die Idee für die Software, die genau das kann, hatte Buttings Co-Gründer Arne Bernin. Der Informatiker schrieb an der HAW Hamburg in Kooperation mit der University of the West of Scotland seine Doktorarbeit zu einem ähnlichen Thema. Die gängigen Softwares für Gesichtserkennung arbeiteten Bernin nicht zuverlässig genug. Also fing er im Jahr 2017 an, ein eigenes Programm zu schreiben.
Beyond Emotion: Von der Wissenschaft zum Start-up
2021 war die Anwendung fertig. Inzwischen hatte Bernin mit Sobin Ghose einen weiteren Informatiker ins Team geholt. Der wiederum brachte Hanne Butting ins Spiel, die vor allem unternehmerische Expertise hatte. Nur noch der konkrete Anwendungsfall für die Software fehlte.
Die Gründer Ghose und Bernin sorgten sich damals beide um ihre Eltern und Großeltern. „Bei meiner Mutter stand zu Hause ein digitaler Bilderrahmen von der Konkurrenz“, sagt Bernin. Schnell kam dem Informatiker die Idee, Bilderrahmen und Gesichtserkennung miteinander zu kombinieren, um zu erfahren, wie es seiner Mutter geht.
Per digitalem Bilderrahmen mit Angehörigen in Kontakt bleiben
Das vom Unternehmen entwickelte Programm läuft auf einem Samsung-Tablet. Auf fünf Metern Entfernung kann die Kamera Gesichter erkennen und Emotionen auswerten. Idealerweise steht der Bilderrahmen in einem Durchgangszimmer oder dem Raum, in dem man sich viel aufhält. „Das kann die Küche oder der Flur sein“, sagt Arne Bernin.
Per Pushnachricht können Angehörige oder andere freigeschaltete Personen erfahren, ob es ihren Liebsten hervorragend, sehr gut, gut, mäßig oder schlecht geht. Außerdem können sie Fotos auf den Bilderrahmen schicken. Auch eine Chat-Funktion für schnelle Textnachrichten gibt es in der App und auf dem Bilderrahmen.
Bilderrahmen weiß auch, wann das Fernsehprogramm nicht gefällt
„Meine Mutter ist begeisterte Kundin seit Tag 1“, sagt Bernin. „Sie fühlt sich seitdem viel stärker wahrgenommen.“ Und weil der Bilderrahmen bei seiner Mutter im Wohnzimmer steht, hat das einen skurrilen Nebeneffekt: Bernin weiß auch, wann seiner Mutter das Fernsehprogramm nicht gefällt – die App lässt ihn das wissen, wenn der Gesichtsausdruck das andeutet.
Wichtig waren dem Gründungsteam m Produkt vor allem zwei Punkte: Die Anwendung sollte einfach sein. „Man kann nichts kaputtspielen“, sagt Arne Bernin. In zwei Schritten baut man den Bilderrahmen auf, muss ihn nur einschalten, und die Bildergalerie läuft. Lediglich das WLAN oder die mobile Internetverbindung muss eingerichtet werden.
Digitaler Bilderrahmen: Datensicherheit ist wichtig
Zum anderen sei die Datensicherheit ein Thema: Die Software von Beyond Emotion läuft direkt auf dem Gerät, die Videodaten liegen nicht in einer Cloud. Lediglich das Ergebnis der Gesichtsanalyse werde online an die Apps der Angehörigen verschickt. Mehrere Sicherheitssysteme sind laut Bernin auf den Geräten installiert. „Niemand kann die Wohnung von außen einsehen“, versichert Hanne Butting.
Aktuell arbeitet das Team an einer neuen Version der App. Über den Umsatz will das Gründungsteam nichts sagen. „Wir stehen noch am Anfang“, sagt Bernin. Schon mehrere Investoren konnte das Start-up von sich überzeugen. Sowohl Hamburger als auch deutschlandweit tätige Unternehmen stiegen ein. Mehr als eine Million Euro konnte das Unternehmen nach eigenen Angaben schon einsammeln.
50 Geräte sind derzeit im Umlauf, etwa 100 Personen nutzen die App. Das Gerät kostet monatlich 27,40 Euro und wird vermietet. Ob sich die Anwendung im großen Stil durchsetzt, ist noch offen. Anneke Voß von der Verbraucherzentrale Hamburg hat Bedenken bei Produkten wie dem von Beyond Emotion.
Gesichtserkennung per Bilderrahmen: Verbraucherschützerin übt Kritik
„Wer eine Kamera in einer Privatwohnung aufstellt, braucht die Einwilligung von allen, die in die Nähe der Kamera kommen“, so Voß. Das heißt konkret: Bekommt Oma Inge Besuch, muss sie diesen nicht nur über die Kamera im Bilderrahmen informieren, sondern die Gäste müssen auch zustimmen. „Fraglich ist, ob das im Alltag auch so gehandhabt wird“, sagt Voß.
Zum anderen sei offen, ob ältere oder digital nicht besonders versierte Menschen überhaupt vollständig durchblicken, wie Produkte wie das von Beyond Emotion funktionieren, so Voß. Zumal mit Angeboten wie dem Bilderrahmen des Start-ups auch immer eine Art Überwachung einhergehe.
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Gründerin Hanne Butting hält dagegen: „Wir wollen nicht die Oma dauerhaft videoüberwachen. Wir wollen älteren Menschen ein Sicherheitsgefühl geben und Angehörigen die psychische Belastung nehmen.“