Riga. Delegationsreise startet in Riga. Viele Hamburger Unternehmen sind dabei. Es geht um neue Technologien, Expansion und vieles mehr.
Riga-Airport am Dienstagmittag. Es ist trüb, regnerisch, aber mild, als Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) aus einem Flugzeug steigt. In Hamburg entscheidet der Senat zur Stunde über eines der wichtigsten Projekte ihrer Amtszeit, nämlich den Bau einer neuen Köhlbrandbrücke. Aber nach den Querelen der Vorwoche ist sich die Senatorin sicher, dass ihre Drucksache diese Senatssitzung passieren wird.
Leonhard selbst ist am frühen Morgen ins Baltikum aufgebrochen, um neue politische Kontakte zu knüpfen. Begleitet wird sie von einer großen Wirtschaftsdelegation. Neben politischen Gesprächen auf Ministerebene in der lettischen Hauptstadt Riga und der Hauptstadt Estlands, Tallin, stehen vor allem viele Firmenkontakte auf dem Programm.
Melanie Leonhard: Warum es die Wirtschaftssenatorin ins Baltikum zieht
Spätestens seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine haben die baltischen Staaten für Nordeuropa eine neue Bedeutung gewonnen. Zum einen militärisch, als Schutz der Nato-Ostflanke, aber auch politisch und wirtschaftlich, weil die Handelsbeziehungen zu Russland wegen des Embargos abgebrochen sind.
„Auch auf Hamburg als Handelsmetropole wirken sich die gegenwärtig global veränderten Rahmenbedingungen aus“, sagt die Senatorin. „Mit unserem aktualisierten Außenwirtschaftskonzept reagieren wir darauf und wollen vorhandene Beziehungen stärken. Konkret fällt beispielsweise im Hafen Hamburg der Umschlag und der Handel mit Russland weg. Die baltischen Staaten gewinnen dafür perspektivisch noch mehr an Bedeutung, und wir wollen mit dieser Delegationsreise die Beziehungen der Hamburger Wirtschaft in diese Region noch weiter stärken.“
Das Baltikum – eine Chance für Hamburg
Entsprechend groß ist die Delegation, die mit der Senatorin aus dem Flieger steigt: Mehr als 40 Manager norddeutscher Unternehmen haben sich ihr angeschlossen. Dabei lässt sich die Delegation in zwei Gruppen teilen. Neben den Vertretern großer Firmen wie Airbus, Lufthansa, Beiersdorf und HHLA haben sich auch zahlreiche Start-up-Firmen, die mit neuesten Technologien wie künstlicher Intelligenz arbeiten, der Delegation angeschlossen.
Im Bus geht es Richtung Innenstadt und darüber hinaus. Halb verfallene Häuser wechseln sich im Stadtbild mit modernen Glasbauten ab. Fast eine Stunde fährt der Bus durch Riga, bevor er vor einem nichtssagenden Büroturm hält. „Ich hätte nicht gedacht, dass Riga so groß ist“, sagt ein Delegationsteilnehmer. Und Christian Heldt, der deutsche Botschafter in Lettland, der die Delegationsteilnehmer begrüßt, kann das nur bestätigen. „Ja, Riga hat Metropolcharakter. Wir dürfen nicht vergessen, Riga war schon Metropole, als St. Petersburg noch Sumpfland war.“
Senatorin Melanie Leonhard reist ins Baltikum
In einen kurzen Vortrag führt er durch Lettlands Geschichte, und Maris Balcuns von der Außenhandelskammer erklärt, wo man sich gerade befindet. Janna Teika heißt das Viertel. „Es ist das Silicon Valley von Riga“, sagt er. Am Nachmittag besucht die Wirtschaftssenatorin eines der in diesem Viertel ansässigen Unternehmen. Es ist der führende Technologie-Konzern in Lettland namens LMT. Dieser entwickelt und testet Telekommunikationslösungen für verschiedene Anwendungen, wie die Verkehrsüberwachung oder die Steuerung von Drohnenflügen.
Zweigeteilt wie die Delegation sind auch die Schwerpunkte des Besuchsprogramms. Neben klassischen Themen wie Hafen und Logistik umfasst es auch Besuche bei Technologie-Unternehmen und Veranstaltungen, bei denen kleine Firmen ihre Geschäftsideen vorstellen können.
Start-ups und alteingesessene Firmen sind dabei
Wie etwa Yesica Rios Morales. Sie ist Mitgründerin von Jobmatchme, einer Hamburger Arbeitsvermittlungsagentur im Internet. Hier werden gewerbliche Arbeitssuchende vor allem im extrem angespannten Markt der Berufskraftfahrer mit Arbeitgebern zusammengebracht, die offene Stellen haben. Um den passenden Fahrer mit der passenden Firma zusammenzubringen, setzt Jobmatchme eine künstliche Intelligenz ein.
„Wir versuchen Kontakt zu Firmen in Lettland und Estland zu finden, die beim Einsatz von künstlicher Intelligenz wesentlich weiter sind“, sage Rios Morales. Zudem erhoffe sie sich Antworten für einige Probleme, die deutsche Firmen, die mit KI arbeiten, noch haben. Auch ein Pitch, also eine Firmenpräsentation in einem Start-up-Haus in Riga, hat sie geplant. Denn eines kann man schon nach wenigen Stunden Aufenthalt sagen: Das Baltikum ist bei der Nutzung von IT den anderen europäischen Nachbarn voraus.
Estland entwickelt sich beispielsweise kontinuierlich zum europäischen Pionier in den Bereichen Cyber-Sicherheit und Suchmaschinenoptimierung. Das Land gilt als Einhorn-Fabrik mit der weltweit höchsten Dichte an Einhorn-Unternehmen pro Kopf. Als Einhorn bezeichnet man Start-up-Firmen, deren Wert schon vor dem Börsengang auf mehr als eine Milliarde US-Dollar geschätzt wird. Wie auch Lettland zieht Estland mit bürokratischer Einfachheit und unternehmerischem Ehrgeiz sehr erfolgreich Start-ups und ausländische Investoren an.
Melanie Leonhard: In Sachen IT ist das Baltikum eine Vorzeigeregion
Genau diese wirtschaftsorientierte Stimmung begeistert nicht nur Technologieunternehmen, sondern auch die Handelsschifffahrt. „Lettland und Estland sind nicht nur stark maritim geprägt, sondern haben eine sehr junge, produktive und digital orientierte Gesellschaft. Diese Kombination sorgt für Innovationen“, sagt der Geschäftsführer des Verbands Hamburger und Bremer Schiffsmakler, Alexander Geisler, der sich der Reisegruppe angeschlossen hat. „Ein Besuch lohnt sich daher immer, da es immer etwas zu lernen gibt.“
So zieht es auch Hamburger Logistiker ins Baltikum. „Wir prüfen ernsthaft die Möglichkeit, in diese Region zu expandieren“, sagt Rainer Fabian, Geschäftsführer des Hamburger Lageristen und Kakaoimporteurs H.D. Cotterell, der sich ebenfalls der Delegation angeschlossen hat. „Wir machen im Baltikum bereits ein wenig Geschäft, wollen aber auch schauen, wie weit die Logistikunternehmen in Riga und Tallin bei der Umgestaltung ihrer Lagerhaltung zu mehr Automatisierung und Digitalisierung sind.“
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Inzwischen hat die Gruppe ihr Besuchsprogramm für diesen Tag absolviert und fährt zurück ins Hotel. Die baltischen Staaten seien agil, böten gute Voraussetzungen für Unternehmertum und Innovation und hätten qualifizierte und ambitionierte Fachkräfte, lautet Leonards Zwischenbilanz. „Hamburg ist das perfekte Gegenstück: Als globaler Logistikstandort dienen wir als Verteilknoten unter anderem für die baltischen Länder. Mit der maritimen Ausrichtung einer starken Industrie und einem Ökosystem für Innovation, Forschung und Wirtschaft bieten wir für Partner aus dem Baltikum einen optimalen Zugang zu globalen Märkten und der Bundesrepublik Deutschland.“
Über die Köhlbrandbrücke spricht sie schon nicht mehr. Deren Bau hat der Senat einstimmig ohne große Diskussion beschlossen.