Hamburg. ZIA-Präsident Andreas Mattner mahnt, dass Hunderttausende Wohnungen fehlen – und hat einen Vorschlag, wie sich das schnell ändern lässt.
Über die Krise am Immobilienmarkt ist viel geklagt, gesprochen und geschrieben worden. Doch kaum einer bringt die Lage so auf den Punkt wie der Hamburger Andreas Mattner. Seit 2009 führt er als Präsident den Zentralen Immobilien Ausschuss (ZIA), den Spitzenverband der deutschen Immobilienwirtschaft.
Die Branche verfolgt Mattner schon seit 35 Jahren: 1989 wurde der heute 63-Jährige persönlicher Referent von Jürgen Echternach (CDU), dem damaligen Staatssekretär im Bundesbauministerium, später baupolitischer Sprecher der Union in der Bürgerschaft.
Immobilien Hamburg: Heute kommen gleich drei Krisen zusammen
„Ich habe schon einiges gesehen und kann mich gut an die Weltfinanzkrise 2008/09 erinnern. Das war schlimm“, sagt er im Podcast „Was wird aus Hamburg“. „So schlimm wie heute aber war es noch nie. Ich hätte niemals gedacht, dass wir in eine Situation geraten, in der drei Krisen zusammenkommen.“
Damit meint Mattner zum Ersten die Corona-Pandemie, die den Markt für Büros, Handel und Hotels in seinen Grundfesten erschüttert hat. „Das war eine harte Zeit. Wir mussten intensiv kämpfen, die Firmen durchzubringen“, sagt der langjährige Manager der ECE. Die zweite Krise sei die Klimakrise, die alle zum Handeln zwingt. „Klimaschutz ist nicht für Nulltarif zu haben. Man muss die Lasten, die damit verbunden sind, gerecht verteilen.“
Vor zwei Jahren kam schließlich der Krieg in der Ukraine als dritte Krise hinzu. „Mit dem Ausbruch sind die Märkte komplett in den Keller gerauscht. Da sind wir bis heute nicht raus.“ Zu den massiven Kostensteigerungen für Energie und Baustoffe kamen zehn Zinserhöhungen durch die Europäische Zentralbank. Über der Branche tobt der perfekte Sturm.
Mattner: „Wer heute neu baut, geht bankrott“
Mattner spricht für 37.000 Unternehmen, die im Spitzenverband ZIA vertreten sind. „Wir stehen an einem Punkt, den niemand vorhersehen konnte. Wer heute neu baut, geht bankrott.“ Das sei kein Spruch, sondern längst dramatische Wirklichkeit. „Wir sehen fast jeden zweiten Tag die Insolvenz von Projektentwicklern. Da geht gerade unglaublich viel Expertise verloren“, warnt er.
Wo nicht mehr gebaut wird, wird es bald auch politisch eng. Olaf Scholz hatte das Thema schon als Bürgermeisterkandidat erkannt und später das „Bündnis für das Wohnen“ initiiert; als Kanzler versprach er den Neubau von 400.000 neuen Wohnungen im Jahr. Dieses Ziel wird klar verfehlt. Mattner hadert ohnehin mit der Zahl: „Wir benötigen zehn Faktoren, die Sie nebeneinanderlegen müssen, um zu bestimmen, wie hoch der Bedarf, wie groß das Problem ist.“
Wohnungen: Nachfrage wächst, Angebot stagniert
Dieses Problem spitzt sich von zwei Seiten zu: Der Bedarf steigt einerseits exorbitant, ein erheblicher Teil an Wohnungen wird für die Flüchtlinge aus der Ukraine benötigt. Längst lässt sich die Krise nicht nur in Worte fassen, sondern auch in Zahlen. Der Wohnungsmangel wächst Mattners Worten zufolge von heute 600.000 auf 830.000 im Jahr 2027.
„Im kommenden Jahr fehlen uns 720.000 Wohnungen – das ist der gesamte Wohnungsbestand von Bremen und dem Saarland. Das ist dramatisch. Wir kommen vom Wohnungsmangel über die Wohnungsnot zur Wohnungskatastrophe“, warnt der Ex-Politiker. Wenn sich der Krieg in der Ukraine weiter zuspitzt oder der Katastrophenfall eintritt und die Ukraine verliert, könnten weitere 1,5 Millionen Menschen nach Deutschland flüchten, fürchten Experten. „Da werden auch Turnhallen nicht mehr reichen. Dann brauchen wir weitere 750.000 Wohnungen“, so Mattner.
Zugleich wird immer weniger gebaut. 2022 entstanden noch rund 295.000 neue Wohneinheiten, in diesem Jahr werden es bestenfalls noch 240.000. Für die kommenden drei Jahre rechnet der ZIA nur noch mit 150.000 Wohnungen. „Im Moment leben wir von der Vergangenheit, von alten Zinssätzen und Baugenehmigungen – aber das wird immer weniger. Heute ist Bauen faktisch unmöglich“, sagt Mattner.
Wenn die Staatsquote sinkt, sinken die Mieten
Ist das eine ehrliche Lagebeschreibung oder doch die Zuspitzung des ehemaligen Journalisten, der zu Schulzeiten bei den „Ruhr-Nachrichten“ jobbte? Mattner macht eine weitere Rechnung auf: Projektentwickler kämen heute erst bei einer Durchschnittsmiete von 21 Euro auf eine schwarze Null – ein Preis, den kaum ein Normalverdiener zahlen kann.
Hier sei die Politik gefordert. „Mit zehn Prozentpunkten weniger Staatsquote könnte diese Miete bei unter 18 Euro liegen – oder ausgehend von früheren Durchschnittsmieten von 15 Euro wären es 12 Euro.“ In Deutschland seien heute Mieten bis zu 37 Prozent politisch verteuert. Auf diese Zahlen kommt der Verband, indem er beispielsweise die Grunderwerbsteuer und kommunale Anforderungen (zehn Prozent), soziale Vorgaben (fünf Prozent), technische Baubestimmungen, Normen und Qualitätsstandards (fünf Prozent), energetische Anforderungen (fünf Prozent) und weitere Vorgaben addiert.
Mattner: Nirgendwo in Europa verteuert der Staat Bauen so wie in Deutschland
„Wir sind Regulierungs-Europameister“, kritisiert der gebürtige Gelsenkirchener. Während seine Zahlen in Deutschland einen „Regulierungsanteil“ von bis zu 37 Prozent ausweisen, der die Mieten treibt, sind es in Österreich nur sieben, in Frankreich 19 Prozent oder in Schweden 22 Prozent. Käme Deutschland nur auf das Niveau der Skandinavier, die Miete könnte von 21 auf knapp 18 Euro fallen.
„Wir müssen bauen, bauen, bauen. Leider macht die Politik das Gegenteil: Sie reguliert über Preisbremsen die Mieten, weil sie das Angebot nicht ausweiten kann. Doch das ist reines Gift.“ So könne man vielleicht für einige Monate den Mietmarkt beruhigen. „Aber dadurch wird keine neue Wohnung gebaut.“ Daran werde sich auch nichts ändern, wenn sich die Bedingungen etwa durch niedrigere Zinsen wieder normalisierten. „Wenn man möchte, dass Unternehmen weiterbauen, muss man runter mit der Regulierung.“
Aussetzen der Grunderwerbssteuer wäre ein „Superturbo“
Dabei nimmt Mattner, der Hamburger in Berlin, Bund und Land in die Pflicht. „Ich erwarte gar nicht, dass Hamburg die Grunderwerbsteuer abschafft.“ Aber diese zwischenzeitlich auszusetzen könnte ein „Superturbo“ für den Wohnungsmarkt sein. Und der Finanzsenator verliert nicht viel, prophezeit Mattner. „Auch die sozialdemokratische Bundesbauministerin hat gesagt, 6,5 Prozent von nichts ist null.“ Wenn keine neuen Wohnungen gebaut würden, könne keine Grunderwerbsteuer erhoben werden. „Der Baustopp lässt auch die Einnahmen durch die Grundsteuer und die Mehrwertsteuer einbrechen. Da müssen wir dringend ran.“
Zudem trieben weitere Standardverschärfungen die Baukosten, etwa bei der Energieeffizienz: „Die Auflagen vor allem für Fassadendämmung sind nur noch teuer, aber ihr Nutzen inzwischen kaum noch messbar. Bei einem 50-Millionen-Euro-Projekt kann das bis zu fünf Millionen in der Wirtschaftlichkeitsrechnung ausmachen. Dieses Geld wäre anderswo in der Sanierung von Bauten besser aufgehoben und würde zugleich mehr CO₂ sparen.“
Mattner will nicht mehr Subventionen - er will weniger Bürokratie
Die staatliche Wohnungsbauförderung sieht Mattner durchaus kritisch. „Besser als Subventionen wäre eine Senkung die Staatsquote“, sagt Mattner. Als Entwickler habe er sein Leben lang Wirtschaftlichkeitsrechnungen angeschaut. „Diese Wohnungsbauförderung machte höchstens einen Vorteil von maximal fünf Prozent aus, aber ist mit viel Aufwand und Vergabebürokratie verbunden. Die Staatsquote um zehn Prozentpunkte zu senken wäre für alle Seiten das bessere Geschäft.“
Der Branchenvertreter hat noch weitere Ideen, wie die darbende Baukonjunktur möglichst schnell wieder in Schwung kommt. So fordert Mattner ein beschleunigtes Abschreibungsprogramm, die degressive AfA. „Dieser Abschreibungsturbo steht im Wachstumschancengesetz, das derzeit vom politischen Streit um den Agrardiesel gestoppt wird.“
Kritik an der Blockade der Union
In Richtung seiner Partei sagt Mattner, der 13 Jahre für die CDU in der Bürgerschaft saß: „Ich habe kein Verständnis dafür, dass man Agrardiesel gegen Wohnungen ausspielen will, beides dient der Daseinsvorsorge. Das halte ich für einen komplett falschen Weg.“ Es sei auch politisch unklug. Denn die Maßnahme würde erst mit der Zeit ihre Wirkung entfalten, möglicherweise, wenn die Union wieder im Kanzleramt sitzt.
Als dritte Idee zur Problemlösung plädiert Mattner dafür, die Baufinanzierung zu verbilligen. „Die abrupt gestiegenen Zinsen sind für alle das größte Hindernis.“ Der ZIA schlägt vor, das Zinsniveau um zwei Prozentpunkte auf rund zwei Prozent herunterzusubventionieren. „Das würde für das Wohnungsbausegment oberhalb der Sozialwohnung reichen, also für die Zielgruppe Krankenschwester und Polizist.“ Mit einem Zins-Programm in Höhe von drei Milliarden Euro auf zehn Jahre verteilt etwa über die KfW ließen sich so 100.000 neue Wohnungen zusätzlich bauen. „Das Programm würde sich selbst tragen: Erstens gibt es dafür Grunderwerbsteuer, Mehrwertsteuereinnahmen, der Staat spart Transferleistungen und bekommt Grundsteuern.“
Eine Zinsentlastung könnte mit wenig Kosten Hunderttausende Wohnungen bringen
Mattner kommt bei 100.000 zusätzlichen Wohnungen allein auf 3,3 Milliarden Mehrwertsteuereinnahmen und bei der Grundsteuer noch einmal auf rund 0,7 Milliarden Euro. „Das wäre die wichtige Wende für den Wohnungsmarkt. Bei neun Milliarden Euro Zinsentlastung wären sogar 300.000 Wohnungen möglich. Leider sehen manche Berater gerade im Bundesfinanzministerium darin einen Angriff auf die Politik der Europäischen Zentralbank zur Steuerung der Inflation.“
Doch auch dieses Argument lässt Mattner nicht gelten: „Bezogen auf das ganze Kreditvolumen in Deutschland machen diese neun Milliarden Euro gerade 0,3 Prozent aus. Das ist, als würde eine Nussschale gegen einen Tanker prallen. Aber was steht auf dem Spiel? Die Wohnungsnot gefährdet den Sozialstaat. Der Wohnungsmangel und das Erstarken der Ränder haben etwas miteinander zu tun.“ Mattner ist aber hoffnungsfroh: „Das Bauministerium arbeitet an einem solchen Programm. Die Wohnungsprobleme werden so eklatant, dass wir die Programme noch vergrößern müssen.“
Mattner fürchtet den Verlust vieler Jobs am Bau
Die Krise im Wohnungsbau hat die gesamte Branche in die Krise gestürzt. „In der nächsten Zeit könnten bis zu 10.000 Arbeitsplätze im Bau verloren gehen.“ Größere Bauunternehmen seien in den Tiefbau ausgewichen, viele kleine Firmen kämpfen um die Existenz. Mit ihnen könnten die Ressourcen verloren gehen, die der Markt beim Hochfahren unbedingt benötigt.
- Was wird aus Hamburg mit Henning Vöpel: „Die Stadt braucht mehr Ambitionen“
- Was wird aus Hamburg mit Ole von Beust: „Unter der Oberfläche brodelt es“
- Was wird aus Hamburg mit Norbert Aust: „Ein Gespann mit Kopenhagen“
Und auch das Geld könnte dann fehlen: „Investitionen sind wie Wasser. Sie fließen dorthin, wo es am einfachsten ist.“ Er sehe mit Grauen, dass sich internationale Investoren von Deutschland abwenden oder Deutsche lieber im Ausland investieren. „Wenn das Image wegen der überbordenden Bürokratie und Regulierung immer schlechter wird, bekommen wir ein gigantisches Problem. Dann fehlen bald nicht nur die Entwicklungs- und Bau-, sondern auch die Finanzkapazitäten.“
Mattners Resümee fällt eindeutig aus: „Deutschland braucht einen gigantischen Ruck auf allen Feldern“, sagt der Vater von zwei Kindern. „Wer das nicht erkennt, der versündigt sich an der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland und am Sozialstaat.“
Fünf Fragen an Andreas Mattner
Meine Lieblingsstadt ist ohne Frage Hamburg. Mir gefällt die Stadt, seitdem ich 1989 hierhergekommen bin.
Mein Lieblingsstadtteil ist der Ox-Park in Langenhorn. Dort wohnen wir in einem Mehrgenerationenhaus. Von da komme ich gut in die Innenstadt und schnell über den Flughafen in die Welt.
Mein Lieblingsort ist im Moment das Millerntor-Stadion! So schön wie derzeit war es da selten. Und das sage ich als gebürtiger Gelsenkirchener und sozialisierter Borussia-Dortmund-Fan.
Mein Lieblingsgebäude wird „The Tide” in der HafenCity, ein ECE-Projekt, das jetzt in Bau gegangen ist. Hier entstehen das Digital Art Museum, wunderschöne Miet- und Eigentumswohnungen in doppelter Wasserlage und ein Wohnheim für Studierende. Das bestehende digitale Museum des Künstlerkollektivs Teamlab konnte ich gemeinsam mit Initiator Lars Hinrichs und dem Bürgermeister 2019 in Tokio besuchen. Das ist ein faszinierendes Projekt, das wir durch widrige Winde gebracht haben und von dem ich mir eine enorme Magnetwirkung für Hamburg verspreche. Ohne über Besucherzahlen zu spekulieren: Das wird ähnlich attraktiv wie das Miniatur Wunderland.
Einmal mit der Abrissbirne … tue ich mich enorm schwer. Abreißen ist nicht so meins.