Hamburg. Der Einstieg der Reederei wirft Fragen auf: Muss im Haushalt gespart werden? Wer zahlt worauf Steuern? Eine Spur führt nach Luxemburg.

Seit der Senat bekannt gegeben hat, dass er Teile des Hafenkonzerns HHLA an die weltgrößte Reederei MSC verkaufen will, reißt die Kritik nicht ab. Wichtige Akteure der maritimen Branche fühlen sich durch den „Geheim-Deal“ des rot-grünen Senats vor den Kopf gestoßen, Hafenarbeiter fürchten um ihre Privilegien, und aus CDU-Sicht „gerät die Statik des Hamburger Hafens ins Wanken“.

In der linken Szene kursiert gar eine Petition, die bereits 6400-mal unterschrieben wurde: Unter der Überschrift „STOP den Ausverkauf des Hamburger Hafens!“ heißt es in etwas merkwürdigem Deutsch mit Blick auf die städtische Holding HGV, die die HHLA-Anteile der Stadt hält: „Die HGV finanziert z. B. Kitas, die Hochbahn, die Wohnungsbaugenossenschaft Saga, die Bäderland Gruppe, das Gasnetz, Hamburg Wasser und viele weitere. Es ist davon auszugehen, dass höchstwahrscheinlich die Mittel, die dann fehlen, über die Bürger finanziert werden müssen, und das würde massive Preiserhöhungen bedeuten!“

MSC-Einstieg bei der HHLA: Was bedeutet dieser Deal finanziell für Hamburg?

Doch diese Behauptung ist nicht haltbar. Denn die HGV ist eine reine Beteiligungsholding, die keine öffentlichen Aufgaben finanziert. Sie hält lediglich die Anteile an rund 180 öffentlichen Unternehmen und Beteiligungen, deren Gewinne und Verluste dort verrechnet werden – auch, um Steuern zu sparen.

Richtig ist indes: Bleibt am Jahresende in der HGV ein Gewinn übrig, wie zum Beispiel 2022 aufgrund der enormen Dividende der Reederei Hapag-Lloyd rund 540 Millionen Euro, fließt dieser überwiegend in den Haushalt der Stadt. Umgekehrt gilt jedoch auch: Macht die HGV Verluste, müssen diese aus dem Haushalt ausgeglichen werden – 2021 waren das 109 Millionen Euro. Schon aufgrund dieser Schwankungen kann das HGV-Ergebnis nicht für laufende Ausgaben eingeplant werden.

Hamburg hat zuletzt zwischen 22 und 38 Millionen Euro an Dividende erhalten

Eine berechtigte Frage ist dennoch, an wen künftig die Gewinne der HHLA fließen, in welcher Höhe und wie sie versteuert werden. Letztlich geht es also um die Frage: Was bedeutet dieser Deal finanziell für Hamburg?

Fest steht: In den vergangenen Jahren hatte die HGV für ihren bisherigen 69-Prozent-Anteil an der HHLA zwischen 22 und 38 Millionen Euro an Dividende auf die entscheidenden A-Aktien erhalten – plus jeweils 5,7 Millionen für die S-Aktien. Bei diesen geht es um die Anteile an den Speicherstadt-Immobilien, die vom MSC-Einstieg nicht berührt sind, sie bleiben vollständig in der HGV.

Fließt die Dividende künftig in Teilen direkt ins Steuerparadies Luxemburg?

Die A-Aktien werden künftig komplett in der Hand der Port of Hamburg Beteiligungsgesellschaft SE (kurz: POH) mit Sitz in Hamburg sein, die wiederum zu 50,1 Prozent der HGV (also der Stadt) und zu 49,9 Prozent der MSC-Tochter SAS Shipping Agencies Services S.à r.l. mit Sitz in Luxemburg gehören wird. De facto verkauft die Stadt also rund 19 Prozent ihrer Anteile an MSC, den Rest kauft der Konzern gerade an der Börse auf.

Was das künftig für die Dividende und Steuern bedeutet, ist einfach und kompliziert zugleich. Denn in der Angebotsunterlage, die die POH als offizielle „Bieterin“ für die HHLA veröffentlicht hat, heißt es: „Die Bieterin und SAS beabsichtigen, soweit aktienrechtlich zulässig, von den Dividendenausschüttungen der HHLA zu profitieren.“ Das erweckt den Eindruck, als solle die Dividende in Zukunft zwischen diesen Gesellschaften aufgeteilt und zumindest in Teilen direkt ins Steuerparadies Luxemburg transferiert werden.

Die HHLA soll 50 bis 70 Prozent ihres Gewinns als Dividende ausschütten

Wie die Finanzbehörde als Herrin über die HGV und MSC Deutschland auf Anfrage des Abendblatts erläuterten, ist die Antwort jedoch einfacher: Die Dividende wird vollständig an die POH als alleinige Eigentümerin der HHLA ausgeschüttet. Diese reicht diesen „Gewinn“ direkt wieder an ihre Anteilseigner aus. 50,1 Prozent der HHLA-Dividende landen also letztlich in der HGV, 49,9 Prozent bei SAS.

Zur möglichen Höhe dieser Gewinnbeteiligung teilte die Finanzbehörde mit: Soweit die Lage des Unternehmens dies zulasse, sei geplant, „dass die HHLA entsprechend der bisherigen Ausschüttungspraxis eine Dividende von 50 bis 70 Prozent des Jahresüberschusses“ an ihre Aktionäre ausschütten solle.

Rechnerisch nimmt die Stadt pro Jahr rund zehn Millionen Euro weniger ein

Für die städtischen Finanzen bedeutet das: Wenn die HHLA zum Beispiel wie in den beiden Vorjahren auf ihre A-Aktien 54,4 Millionen Euro ausschüttet, würde die HGV statt rund 37,5 Millionen (69 Prozent) nur noch gut 27 Millionen Euro erhalten (50,1 Prozent), also rund zehn Millionen Euro weniger.

Das hat zwar geringen Einfluss darauf, wie viel Gewinn oder Verlust die HGV am Ende macht – die Auswirkungen auf den städtischen Haushalt sind dagegen äußerst überschaubar. Dieser hat ein Volumen von fast 20 Milliarden Euro im Jahr, allein für die Kitas wendet die Stadt mehr als eine Milliarde Euro auf. Ob die städtische Holding zehn Millionen mehr oder weniger an Gewinn abliefert, fällt also kaum ins Gewicht und ändert nichts an den laufenden Ausgaben.

Stadt nimmt 230 Millionen Euro ein – und investiert sie wieder in die HHLA

Sollte das Kalkül des Senats aufgehen, dass sich die HHLA unter Beteiligung von MSC besser entwickelt, mehr Umsatz und Gewinn macht, könnte es sogar sein, dass die Dividende für die Stadt trotz geringerer Beteiligung in etwa gleich hoch bleibt oder sogar steigt. Das Gegenteil ist natürlich auch möglich.

So oder so ist zu beachten, dass die Stadt aus dem Verkauf ihrer 19 Prozent an der HHLA rund 230 Millionen Euro einnimmt. Das hilft jedoch nicht dem Haushalt, da die Einnahme direkt wieder in die HHLA investiert werden soll. MSC packt die gleiche Summe obendrauf, um den Hafenkonzern zum Beispiel bei der Digitalisierung fit für die Zukunft zu machen.

Ein Containerschiff der Reederei MSC fährt am Burchardkai der HHLA.
Ein Containerschiff der Reederei MSC fährt am Burchardkai der HHLA. © dpa | Marcus Brandt

Spannend bleibt die Frage, was die Reederei eigentlich mit den Gewinnen aus der HHLA-Beteiligung macht, also jenen 49,9 Prozent der Dividende, die von der POH an die SAS in Luxemburg ausgeschüttet werden – denn dort verliert sich die Spur. MSC wollte auf Abendblatt-Anfrage „keine weiteren Einzelheiten“ dazu nennen. Auch der Senat teilte mit, er könne dazu „nicht Stellung nehmen“.

Was MSC mit der HHLA-Dividende macht, bleibt unergründlich

Bekannt ist hingegen, dass in der SAS viele Beteiligungen von MSC gebündelt werden. Sie sei „die operative Kerngesellschaft von MSC bzgl. Terminal- und Logistikbeteiligungen“, heißt es in der Angebotsunterlage an die HHLA-Aktionäre. Die GmbH in Luxemburg ist Teil der SAS Shipping Agencies Services LTD in Zypern, deren Eigentümerin die MSC Mediterranean Shipping Company SA in Genf (Schweiz) ist, die wiederum zur MSC Mediterranean Shipping Company Holding SA gehört, einer Aktiengesellschaft nach Schweizer Recht. Hinter diesem Geflecht steht als Patriarch der italienische Miliardär Gianluigi Aponte (83).

Inwiefern die Dividende der HHLA irgendwo in diesem Firmenimperium verbucht oder letztlich weiter ausgeschüttet wird, bleibt unergründlich. Angesichts der Milliardengewinne, die MSC zuletzt gemacht haben soll, dürften 40 Millionen Euro mehr oder weniger intern auch kein großes Thema sein. So lässt sich allerdings auch nicht klären, inwiefern auf diese Summe noch irgendwo Steuern gezahlt werden.

Die HHLA bleibt ein Hamburger Unternehmen und zahlt in der Hansestadt Steuern

Klar ist hingegen: Die HHLA bleibt ein Hamburger Unternehmen, das in der Hansestadt Steuern zahlt. Das sind vor allem rund 30 Prozent an Gewerbe- und Körperschaftssteuer auf den Gewinn – von dem also „nach Steuern“ rund 70 Prozent übrig bleiben, die maximal ausgeschüttet werden können.

Auf diese Dividende müsste die HHLA zudem theoretisch rund 25 Prozent an Kapitalertragsteuern und Solidaritätszuschlag an das Finanzamt abführen. Da die Dividende jedoch künftig komplett an die POH geht und diese keinen anderen Gesellschaftszweck als das Halten der HHLA-A-Aktien habe, könne „davon ausgegangen werden, dass sie eine sog. ,Freistellungsbescheinigung‘ erhalten wird“, teilte die Finanzbehörde mit. Damit müsste HHLA auf die Ausschüttung an die POH keine Kapitalertragsteuer mehr abführen.

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Diese wäre dann eigentlich fällig, wenn die POH das Geld an ihre Gesellschafter HGV und MSC ausschüttet, doch als Kapitalgesellschaften können sie sich das Geld zurückholen. Ob und wie SAS das anstellen wird, bleibt offen. Die HGV kann die Kapitalertragsteuer auch weiterhin mit ihrer Körperschaftsteuerpflicht verrechnen, sodass sie unterm Strich wahrscheinlich überhaupt keine Steuern auf die HHLA-Dividende entrichten muss – so war es jedenfalls zuletzt in der Regel, wie die Finanzbehörde erklärte.

Denkbar ist zudem, dass bei dem Geschäft Grunderwerbsteuer auf die Grundstücke der HHLA fällig wird – ob, in welcher Höhe und wer diese dann zu zahlen hätte, wird noch geprüft. Alles in allem lässt sich aber festhalten: Auf die Steuereinnahmen des Staates hat der MSC-Einstieg keine großen Auswirkungen. Lediglich die Kapitalertragsteuer, die Kleinanleger bisher abführen mussten, entfällt künftig – weil es keine Kleinanleger mehr gibt.

Finanzsenator Andreas Dressel: HHLA-Verkauf hat keine steuerlichen Gründe

Solche Aspekte seien bei dem Deal ohnehin nachrangig, sagte Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) dem Abendblatt: „Wir haben die Entscheidung für eine Partnerschaft mit MSC aus strategischen Gründen für die Zukunft des Hamburger Hafens und nicht aus steuerlichen und Kapitalinteressen des Konzerns Hamburg getroffen. Aber selbst wenn man diese betrachtet, ergeben sich keine wirklichen Nachteile.“

Die Dividendenentwicklung sei „ohnehin nicht wirklich planbar“, so der Finanzsenator. Dagegen sei die Reinvestition des Kaufpreiserlöses in die HHLA zuzüglich eines fast gleichen Anteils von MSC „ein absoluter Gewinn“, findet Dressel. „Fast eine halbe Milliarde Investition in die HHLA, in unsere Terminals und ihre Transformation – das wäre in keiner anderen Konstellation aus dem Konzern Hamburg heraus in diesen Zeiten größter Haushaltsnot zu stemmen gewesen.“

MSC: Kritik von der CDU – Senat „verscherbelt die HHLA-Aktien der Stadt zum Nulltarif“

Der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Götz Wiese steht dem Einstieg der weltgrößten Reederei im Hamburger Hafen dennoch skeptisch gegenüber: „Die konkrete Vereinbarung zwischen MSC und der Stadt ist noch immer unbekannt“, sagte er dem Abendblatt. „Fest gezurrt wurde aber bereits die Bindungsfrist von mindestens 40 Jahren – für ein Joint Venture in diesen Märkten unfassbar lang. Es lässt sich gar nicht absehen, wie das Joint Venture mit MSC wieder aufgelöst wird, wenn sich die Vorstellungen des Senats nicht erfüllen – oder wenn es vorher knallt.“

An der Konstruktion mit der POH als gemeinsamer Beteiligungsgesellschaft hat Wiese, im Hauptberuf selbst Steuerrechtler, zwar nichts auszusetzen. Doch er habe eine andere Sorge: „Jetzt werden die Aktien weit unter Wert verkauft, der Rückkauf durch den Senat müsste aber zum viel höheren Marktwert erfolgen. Allein der Wert der HHLA-Tochter Metrans, die nach eigenen Angaben Marktführer für Hinterlandtransporte von Containern in Mittel-, Ost- und Südosteuropa ist, soll in die Milliarden gehen.“

Die Stadt erhalte für ihre HHLA-Aktien aber nur 230 Millionen Euro, die auch noch gleich reinvestiert würden, so Wiese. „Das bedeutet: Der rot-grüne Senat verscherbelt die HHLA-Aktien der Stadt zum Nulltarif. Geht die Zusammenarbeit schief, muss die Stadt die HHLA-Aktien zum vollen Marktwert zurückkaufen.“