Hamburg. Jeanette Harazin hatte die Praxis „Besondere Zeit“ für werdende, neue und trauernde Eltern gegründet. Hunderte spendeten jetzt für sie.
- Brand im Einkaufszentrum Weiße Rose in Volksdorf zerstört Hebammenpraxis „Besondere Zeit“.
- Jeanette Harazin verliert Existenz durch verheerenden Brand, der ihre Praxis komplett vernichtete.
- Feuerwehr meldete sich Sonntagnacht bei ihr – vor lauter Rauch waren keine Flammen zu sehen.
Ein beißender Gestank hängt in der Luft. Er geht von der Brandruine im Einkaufszentrum Weiße Rose in Volksdorf aus, die vor dem verheerenden Brand in der Nacht zum Sonntag eine wichtige Anlaufstelle für werdende, neue und trauernde Eltern in den Walddörfern war. Für die Hamburgerin Jeanette Harazin war die niedergebrannte Hebammenpraxis „Besondere Zeit“ ihr Leben – und ihre Existenz.
In heller Jacke und mit vom Kummer gezeichnetem Gesicht steht sie am Montag vor dem schwarzen Loch, das einmal ihre Praxis war. Hinter Absperrgittern durchsuchen zwei Beamte von der Brandermittlung mit Masken und Geigerzähler den verkohlten Schutt nach Spuren. „Es ist nichts mehr da, nur noch der Ständer für die Pezzibälle und der für die Matte“, sagt die 48-Jährige, die die Praxis vor elf Jahren eröffnet hat, und deutet auf zwei rußgeschwärzte, verformte Metallgebilde. „Wie nach einer Explosion.“
Verheerender Brand in Volksdorf: „Habe auf dem Boden gekauert, gezittert und geweint“
Sonntagnacht um 0.20 Uhr habe sie die ersten Anrufe erhalten – sei aber nicht rangegangen. „Ich habe gedacht, das sind Kunden, die sollen sich nachts ans Krankenhaus wenden.“ Dann aber klingelte es an der Tür von Jeanette Harazin, die in unmittelbarer Nähe der Praxis wohnt. Es war die Feuerwehr. Die Hebamme eilte zum Brandort, bekam mit, wie das Haus evakuiert wurde. „Mehr konnte ich nicht erkennen vor lauter Rauch“, erinnert sie sich. Flammen habe sie keine gesehen.
Umso geschockter war sie, als sie später näher herankommen durfte. „Ich habe dort auf dem Boden gekauert, gezittert und nur noch geweint“, sagt sie und deutet auf eine Backsteinmauer gegenüber dem ehemaligen Praxiseingang. Von dem war nichts mehr zu sehen. Von den Feuerwehrleuten haben einige sehr betroffen reagiert. „Sie haben mir erzählt, dass ihre Frauen von uns betreut wurden oder zu uns kommen wollten, wenn es bei ihnen so weit ist“, sagt Jeanette Harazin.
Hamburger Hebammenpraxis war Anlaufstelle für Hunderte Eltern in Volksdorf
Neben Geburts- und Stillvorbereitung bietet sie in ihrer Praxis auch zahlreiche Kurse an – darunter Schwangerenyoga, Geschwisterkindvorbereitung und Krabbelgruppen, aber auch Workshops zu Themen wie Baby-Bauchweh oder Schwangerschaftsdiabetes. Hunderte Frauen wurden hier betreut, seit Jeanette Harazin die Praxis „Besondere Zeit“ 2013 gegründet hat.
Zur Besonderheit wurde sie, weil sie auch Eltern von Sternenkindern, also während oder gleich nach der Geburt verstorbenen Neugeborenen, betreute. „Ich wollte, dass sich niemand so allein fühlen muss wie ich damals“, sagt sie und spielt darauf an, dass auch eines ihrer vier Kinder ein Sternenkind war.
Dass die Praxis nun zerstört wurde, ist für sie nicht nur ein großer emotionaler Verlust. Die Hebamme hat auch Existenzangst. Denn sie muss die Gehälter für ihre Angestellten weiter zahlen und befürchtet, dass sich ihre Kursleiterinnen andere Wirkungsstätten suchen und auch nach einer Wiedereröffnung nicht zurückkehren könnten.
Enorme Resonanz auf Spendenaufruf für Hebammenpraxis „Besondere Zeit“ in Volksdorf
„Diese Praxis war nicht nur ein Arbeitsplatz, sondern auch ein Ort des Vertrauens“, schreiben zwei Hebammenhelferinnen, die für Jeanette Harazin auf der Plattform GoFundMe eine Spendenaktion ins Leben gerufen haben. „Der materielle Schaden ist immens. Räume, wichtige Ausstattung und liebevoll gestaltete Details, die diesen Ort so besonders gemacht haben, wurden durch das Feuer zerstört.“ Die Resonanz ist groß: 730 Personen spendeten bis Mittwochvormittag bislang rund 25.000 Euro.
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Mit diesem Engagement habe sie nicht gerechnet. „Ich habe erst mal geweint, als mich die beiden fragten, ob ich mit der Aktion einverstanden wäre“, so die Hebamme. Auch die zahlreichen Zuschriften per Mail und die Anteilnahme anderer Hebammen, die ihr Equipment zur Verfügung stellen wollen, oder ihres Vermieters, der ihr neue Räumlichkeiten angeboten hat, ließen sie immer wieder in Tränen ausbrechen.
Feuer-Drama in Volksdorf: Mutter tröstet Hebamme vor ausgebrannter Praxis
Jetzt ist es wieder so weit. Eine Mutter mit zwei kleinen Kindern kommt mit betroffenem Gesicht auf sie zu und nimmt sie in den Arm. „Jeanette hat mich vor und nach der Geburt meiner beiden Kinder hervorragend betreut“, sagt Hannah Schneehage. Dass die Praxis abgebrannt ist, sei „ein Schock und ein riesengroßer Verlust“.
Als die Hebamme traurig sagt, dass zwar nur Dinge abgebrannt seien, der Ort aber seine Seele verloren habe und nie mehr das werden könnte, was er war, nimmt Hannah Schneehage sie in den Arm und sagt: „Das ist nicht wahr, denn die Seele bist du.“