Hamburg. Die Hamburgerin Anja Renning hat tausenden Müttern beigestanden. Was die Kinderkrankenschwester jungen Eltern auf den Weg geben möchte.

  • Amalie Sieveking Krankenhaus ist erstes „babyfreundliches Krankenhaus Deutschlands“
  • Das Wichtigste ist der Aufbau einer Bindung zwischen Eltern und dem Neugeborenen
  • Stillberaterin erklärt, warum es sinnvoll ist, auch Zweijährige noch zu stillen

Es wird ihr in den kommenden Wochen bestimmt sonderbar vorkommen, wenn sie am Krankenhaus vorbeigeht, aber nicht mehr zum Dienst muss. Anja Renning wohnt ganz in der Nähe des Evangelischen Amalie Sieveking Krankenhauses. Nach 34 Jahren dort hat sich die langjährige Stillberaterin jetzt in den Ruhestand verabschiedet.

Das Amalie, in dem in der ersten Jahreshälfte schon 590 Kinder geboren wurden, war 1995 als erste Geburtsklinik in Deutschland als „Babyfreundliches Krankenhaus“ zertifiziert worden. Daran hatte Anja Renning einen großen Anteil.

Hamburger Stillberaterin verrät, warum man auch Zweijährige stillen sollte

„Wichtig ist, dass Frauen in den ersten Tagen viel Ruhe für das sogenannte Bonding haben, den Aufbau einer Bindung zu ihrem Neugeborenen“, sagt die gelernte Kinderkrankenschwester, die seit 1990 viele junge Familien und ihre Babys nach der Geburt begleitet hat. „Das ist das Wichtigste, dass Mutter und Vater mit dem Kind in Bindung kommen“, so Renning, die selbst zwei Töchter und vier Enkelkinder hat. „Wir müssen uns klarmachen, dass die Tage in der Geburtsklinik ganz sensible Tage sind.“

Als Stillberaterin habe sie Frauen nie dazu gedrängt, zu stillen, versichert Anja Renning. „Wir wollen Frauen motivierend begleiten und ihre Fragen beantworten – denn für sie ist ja nach der Geburt alles neu.“ Stillen erleichtere die weitere Bindung. Und Kindergesundheit fange genau damit an. „Mein Team und ich erzählen den Müttern, welche Vorteile das Stillen für sie und ihr Kind hat“, sagt sie, „aber am Ende finden sie ihren Weg selbst.“

Etwa zwei bis drei Prozent der Schwangeren, die sich im Amalie Sieveking Krankenhaus anmelden, kämen schon mit dem erklärten Wunsch in die Klinik, nicht zu stillen. „Wir halten den Frauen die Option offen, dass sie das Kolostrum noch geben“, sagt die 64-Jährige. Diese Erstmilch nach der Geburt unterstützt den Aufbau des noch unreifen Immunsystems des Neugeborenen und gilt als besonders wichtig.

Stillberaterin Anja Renning: „Wir sind tolerant, wenn eine Frau nicht stillt“

Immer wieder würden Frauen sich dann doch noch für das Stillen entscheiden, sagt Anja Renning. Sie lächelt und ergänzt: „Wir lassen das Kind die Überzeugungsarbeit machen.“ Oberstes Ziel ihres Teams sei es, dass die Frauen sich wohlfühlten. „Wir sind sehr tolerant, wenn eine Frau nicht stillt“, versichert sie.

„Wir legen das Hauptaugenmerk darauf, dass Mutter und Kind eine Bindung entwickeln.“ Es gehe darum, die Möglichkeit zu schaffen, das Baby so oft an die Brust zu nehmen, wie es das brauche. „Die Kinder sind dann nur mit einer Windel bekleidet, die Frauen haben einen nackten Oberkörper. Hautkontakt ist die beste Wärmflasche. Wenn die Familien dann nach Hause gehen, haben die Babys zum ersten Mal Kleidung an.“

Tipp an junge Eltern: „Schalten Sie Herz und Bauch ein und den Kopf aus“

Sie rät Müttern und Vätern, das zu Hause unbedingt weiterzumachen, um die Bindung zum Neugeborenen zu stärken. „Schalten Sie Herz und Bauch ein und den Kopf aus. Lassen Sie die Macht, die Kinder haben, wirken.“

Der Wunsch zu stillen sei in unserer Gesellschaft allgemein sehr verankert, sagt Renning. „Viele Frauen versuchen das, aber nach vier Monaten kommt oft ein Einbruch. Dann brauchen sie Unterstützung.“ Vielfach hapere es daran, dass die jungen Mütter nicht wüssten, wo sie diese bekommen können. „Man hat das Recht, seine Hebamme anzurufen, kann zur Stillberatung oder zu einer Stillgruppe gehen. Es braucht aber noch mehr niedrigschwellige Angebote“, fordert die scheidende Stillberaterin. „Denn es kommen immer wieder Phasen, in denen Mütter Fragen haben.“

Erfahrene Stillberaterin aus Hamburg empfiehlt: „Sinnvoll, auch Zweijährige zu stillen“

Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt, Säuglinge während der ersten sechs Lebensmonate ausschließlich zu stillen und das Stillen auch nach der Einführung von Beikost bis zu zwei Jahre oder länger fortzusetzen. Vielen komme das hierzulande allerdings sonderbar vor. „Stillen Frauen ein größeres Kind, werden sie komisch angeguckt. In anderen Kulturkreisen ist es gang und gäbe“, betont Renning.

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„Wir müssen Toleranz entwickeln, es ist die Entscheidung der Mutter“, sagt die 64-Jährige. Es gebe ja auch keine komischen Blicke, wenn Frauen ein Fläschchen aus der Tasche holen. Sie unterstützt die WHO-Empfehlung: „Es ist sinnvoll, auch Zweijährige zu stillen, solange Mutter und Kind sich damit wohlfühlen. Das Stillen hat nur gesundheitliche Vorteile.“

Anja Renning freut sich nach 45 Jahren Berufstätigkeit auf den Ruhestand. Bis zu ihrem Wechsel ins Amalie hatte sie im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) auf der Kinderintensivstation und in der Kinderonkologie gearbeitet. „Ich habe bis zum Schluss voller Freude gearbeitet, aber ich habe auch ein schönes Privatleben“, sagt sie. „Mein Baby ist in guten Händen, deshalb kann ich jetzt gehen.“ Ihr „Baby“, also ihre bisherige Aufgabe, wird künftig Christine Ebinghaus übernehmen.