Hamburg. Beschwerden werden ignoriert, Mängel nicht behoben: In einer 60er-Jahre-Immobilie fühlen sich die Menschen im Stich gelassen.
Als Heino Holz im vergangenen Sommer vom Parkplatz den schmalen Durchgang zum Gehweg betrat, passierte es. In der Dunkelheit übersah er eine Unebenheit, blieb mit dem Fuß hängen und fiel hin. Bei dem Sturz erlitt er mehrere schmerzhafte Blutergüsse. Wenn Holz (77) daran denkt, ist er immer noch wütend: „Wäre die Hausverwaltung ihrer Fürsorgepflicht nachgekommen und hätte die Beleuchtung und die Wege instand gesetzt, wäre das wahrscheinlich nicht passiert.“
Die Laterne über dem Parkplatz an der Abrahamstraße leuchte schon lange nicht mehr, erzählen die Mieter. Viele von ihnen wohnen seit Jahrzehnten in der viergeschossigen Plattenbausiedlung in Meiendorf am nordöstlichen Hamburger Stadtrand – und das lange Zeit sehr gern.
Holz gehört zu den Erstbewohnern: 17. Dezember 1967, das Einzugsdatum hat er nicht mehr vergessen. Früher habe auch der Hausmeister in der Anlage gewohnt und sich um alles gekümmert. Doch seit vor gut drei Jahren die Luxemburger Gesellschaft Karo 3 die Anlage übernommen und die Verwaltung an die Firma Reanovo (damals Foncia) übertragen hat, verfalle das Ensemble zusehends.
Schimmel, leer stehende Wohnungen: Anlage in Hamburg-Meiendorf verfällt
Die Liste der Beanstandungen ist lang: Immer wieder seien Häuser von Schimmelbefall betroffen, bauliche Schäden würden wochen- oder gar monatelang nicht beseitigt, an den Mülltonnen werde ständig fremder Sperrmüll abgeladen. Beleuchtungen nicht nur am Parkplatz, sondern auch an den Mülltonnen, im Keller und an Hausnummern seien defekt. Grünanlagen würden nicht gepflegt, Bäume nicht zurückgeschnitten, ein Zaun sei abgerissen und nicht erneuert worden. Spielgeräte seien ersatzlos entfernt worden. Die Wiese hinter dem Häuserzug sei abgesackt, sodass sich ein Tümpel gebildet habe.
Und mehrere Wohnungen sollen bereits seit Längerem leer stehen.
Ulrich Steffens könnte den Mängelbericht mühelos fortsetzen. Der 54-Jährige bewohnt mit seiner Frau eine Erdgeschosswohnung, 68 Quadratmeter, 562,17 Euro netto kalt – eigentlich, denn Steffens mindert die Miete schon seit Jahren. Die Reanovo-Reaktion auf seine vielen Beschwerden war meistens gleich: Es gab keine. „Sie stellen sich tot, reagieren nicht auf Anrufe oder E-Mails“, sagt Steffens.
Ein anderer Altmieter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, kennt das: „Man läuft gegen Wände.“ Er sei inzwischen so frustriert, dass er gar keine Beschwerdeschreiben mehr aufsetze.
Steffens‘ Korrespondenz mit Reanovo füllt einen dicken Ordner. Auf seinem Rechner hat er Gigabytes an Bildern gespeichert, auf denen er den Verfall dokumentiert hat. Die Anlage habe er schon gekannt, bevor er 2000 mit Frau und Tochter einzog. „Ich habe damals die Leute beneidet, die hier wohnten. Es war wunderschön und gepflegt.“ Aber das ist lange her. Wohl fühle er sich hier schon lange nicht mehr.
Mieterverein zu Hamburg erwägt Abmahnung des Verwalters Reanovo
Rolf Bosse, der Vorsitzende des Mietervereins zu Hamburg, kennt die Klagen auch von anderen Reanovo-Mietern: „Der Service und die Pflege sämtlicher mir bekannter Wohnanlagen lässt zu wünschen übrig. Die Reanovo ist kaum für Instandsetzungsmaßnahmen zu erreichen. In mehreren Wohnanlagen gibt es bauartbedingte Mängel wie Zugluft, Schimmelpilzbildung, Wasserschäden und Ähnliches. Da laufen unsere Mitglieder der Instandsetzung sehr hinterher.“
Auch die Betriebskostenabrechnungen würfen häufig Fragen auf, die nicht vollständig beantwortet würden – wenn überhaupt. Denn teilweise sei es unmöglich, Schriftstücke überhaupt an Reanovo zuzustellen. Und wenn doch, dann würden Einwendungen ignoriert und stattdessen Nachzahlungen aggressiv angemahnt.
Der Mieterverband erwäge deshalb eine Abmahnung. „Der Wille, sich um die Beseitigung der Mängel und Missstände in den Wohnanlagen zu kümmern, erscheint derzeit nicht gegeben“, sagt Bosse: „Stattdessen ist die Devise wohl, Kosten zu sparen und damit den Gewinn zu erhöhen.“
Offenbar mit Erfolg. Reanovo bezeichnet sich selbst als „deutscher Marktführer in der Immobilienverwaltung“. 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreuten von 60 Vor-Ort-Büros aus mehr als 200.000 Einheiten in mehr als 400 Städten. „Kundennähe“, „Transparenz“, „Vertrauen“ und „Nachhaltigkeit“ gehörten zu den Werten des Unternehmens.
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Für viele Mieter an der Abrahamstraße klingt das wie Hohn: Sie fühlen sich von Reanovo im Stich gelassen. Immerhin: Sie sind mit ihren Sorgen nicht allein. In Bewertungsportalen türmen sich Beschwerden aus ganz Deutschland. „Völlig inkompetent“, „Totalausfall“, „Katastrophe“, „Finger weg“ – so oder so ähnlich lauten hier die Überschriften.
Eigentümer-Gruppe äußert „Bedauern“ über Unannehmlichkeiten
Beim Immobilieninvestor Patrizia, zu deren Gruppe der Eigentümer Karo 3 gehört, liest man das nicht gern. „Wir bedauern, dass die Mieter der Anlage von Unannehmlichkeiten in Bezug auf die Verwaltung durch die Firma Reanovo berichten“, sagt Patrizia-Sprecherin Simone Wipplinger auf Anfrage. Die Zufriedenheit der Mieter habe „oberste Priorität“. Patrizia stehe „in engem Kontakt“ mit Reanovo, „um sicherzustellen, dass die Anliegen der Mieter stets angemessen und zeitnah bearbeitet werden“. Dafür habe man im Juni eigens eine zusätzliche Callcenter-Nummer eingerichtet.
Doch selbst die Politik drang bei Reanovo nicht durch. Der Rahlstedter SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Ole Thorben Buschhüter hatte sich schon im vergangenen Jahr selbst ein Bild von der Wohnanlage gemacht und Reanovo kontaktiert – ohne Reaktion. Buschhüter: „Der bezirkliche Wohnraumschutz ist bereits tätig, um überhaupt etwas zu bewegen. Ganz ehrlich: Solche Vermieter wollen wir in unserer Stadt nicht.“
Reanovo sieht sich zu Unrecht am Pranger. „Wir können versichern, dass alle Beschwerden angenommen werden und in der Regel nach einer kurzen Verzögerung bearbeitet und beantwortet werden“, sagte ein Unternehmenssprecher auf Anfrage. „Umfangreiche Sanierungsmaßnahmen“ wie etwa neue Gehwegplatten seien bereits in die Wege geleitet worden. Die Parkplatzfläche habe man „mit einer Grundreinigung, einer neuen Markierung und Nummerierung aufgebessert“.
Hamburg-Meiendorf: Reanovo erklärt Leerstand mit Sanierungs- und Renovierungsmaßnahmen
Eine neue Beleuchtung sei bereits „bestellt, wurde jedoch aufgrund von Lieferproblemen seitens des Herstellers bisher nicht installiert“. Und dass „einige wenige Wohnungen“ leer stünden, sei durch „umfangreiche Sanierungs- bzw. Renovierungsmaßnahmen“ zu erklären, die aktuell durchgeführt würden.
Für Ulrich Steffens, der selbst aus der Immobilienwirtschaft kommt, kommen die Maßnahmen zu spät. Er hat seinen Mietvertrag per 31. Oktober gekündigt – fristlos.