Hamburg. Mit dem Tinos und der Ladenzeile nebenan sterben die letzten Reste des alten Poppenbüttels am Bahnhof. Ein Neubau soll dort entstehen.

Der Laden lief. Wer sich nicht in Schale werfen wollte, keine Lust zum kochen und trotzdem Hunger hatte, kam zum Poppenbütteler Dorf-Griechen „Tinos“ am Stormarnplatz. Das ernährte die sechsköpfige Familie Paraschakis. Es hätte ewig so weiter gehen können in dem kleinen Gartenlokal mit der Anmutung eines Einfamilienhauses. Denn Poppenbüttel wächst, die Kunden werden mehr. Zwei kräftige Herren tragen die Gewichte des Sonnenschirms von der Terrasse. Andere fragen nach verwertbaren Resten der Kücheneinrichtung. Die Stühle sind verkauft und verschwinden in einem Kastenwagen.

Vicky Paraschaki steht zwischen den zusammengeschobenen Tischen und organisiert den Abverkauf ihrer Existenz. 46 ist sie jetzt. Seit ihrem 16. Lebensjahr lebt und arbeitet sie hier. Mit ihrem Lebensgefährten Lars Behrens (45) hat sie zwei Kinder (2 und 6 Jahre alt). Ein Laufrad liegt im Schankraum, daneben ein Tretauto. Unverkäuflich. Zeichen des Lebens in der Tristesse. Ein Ersatzquartier haben Vicky Paraschaki und Lars Behrens noch nicht. „Wir wollen in der Gegend bleiben, und das ist schwierig.“

Sie setzt auf ihre Gäste: „Wir haben so viel zurückbekommen! Alle haben gefragt, wie es weiter geht. Und viele helfen uns suchen“, sagt Vicky Paraschaki. Ihre Eltern Christos und Pashalina Paraschaki haben die Bahnhofsgaststätte 1986 übernommen und immer mitgearbeitet. Sie helfen auch bei der Abwicklung. Der 30. März war der letzte Restaurant-Tag, am 12. April wir die „Mietsache“ übergeben. Ein Formfehler im Mietvertrag machte ihn auflösbar. Die Familie konnte ihr Optionsrecht auf Verlängerung um weitere 5 Jahre nicht ausüben, weil als Vermieter im Vertrag eine Erbengemeinschaft stand. Das kann problematisch sein und hat sich im Fall des „Tinos“ ausgewirkt.

Folgt nun ein Supermarkt?

Als die Immobilie mitsamt der zweigeschossigen Ladenzeile bis zur Hennebergstraße verkauft wurde, nutzte der neue Eigentümer den Webfehler und verlängerte den Mietvertrag nicht. Vor Gericht unterlag Paraschaki. Die Team Planbau GmbH des Ingenieurbüros Marcel Erdmann will bauen. Ein Wohn- und Geschäftshaus mit Gewerbe im Erdgeschoss und 32 Wohnungen. Kein Restaurant, heißt es. Allenfalls ein Café war in der Diskussion, aber vor allem ist die Rede von einem großen Supermarkt. Team Planbau wollte sich auf Nachfrage nicht äußern. Die Größenordnung der Neubauten geben die allesamt neueren Bestandsgebäude rund um den Platz vor, heißt es aus dem Umfeld des Bezirksamtes. Sie haben drei Geschosse plus Staffelgeschoss. Das Genehmigungsverfahren läuft.

Mit dem „Tinos“ und der Ladenzeile nebenan sterben die letzten Reste des alten Poppenbüttels am Bahnhof. Die Mieter sind längst gekündigt: Fernseh Bollmeyer, der Bäcker, Nosselts Fahrradladen und das Sportmoden-Geschäft sind ausgezogen. In den Wohnungen und Praxen des Obergeschosses müssen nur noch die Psychotherapeuten loslassen. Und die Paraschakis. Sie tun sich schwer. Ihren Abschiedsbrief an die Gäste, den sie am Gebäude befestigten, musste Vicky Paraschaki auf Geheiß von Erdmanns „Team Planbau“ entfernen, sagt sie. Auch dazu will Team Planbau nichts sagen. Die Zwangsräumung durch den Gerichtsvollzieher wendeten die Streitparteien in letzter Minute ab. Im Schankraum des „Tinos“ prangt ein neun Meter breites, naives Wandgemälde der griechischen Insel, die Namensgeberin des Restaurants ist. Im Vordergrund Stammvater Christos Paraschakis als junger Mann entspannt auf einem Stuhl im Hafencafé.

„Die Kinder erkennen ihn“, sagt Vicky Paraschakis und lacht. Mitnehmen können sie nur das alte, gerahmte Foto aus den 1920er Jahren. Es zeigt die Bahnhofsgaststätte – in Alleinlage. Umrahmt von Natur, am damals äußersten Ende des städtischen Siedlungsraumes. Im Keller künden historische Haken an der Decke von „der wahrscheinlich ersten P&R-Anlage für Fahrräder in Hamburg“, sagt Vicky Paraschakis augenzwinkernd. Die Räder wurden damals ebenso schonend wie platzsparend gehängt. Dann ging es in die Bahn. Viele Senioren kamen in den letzten Wochen noch einmal vorbei und nahmen Abschied von ihrer alten Wegmarke am längst runderneuerten Bahnhof. Von hier aus seien sie als Kinder über die Felder nach Hause gelaufen, erzählten sie Vicky Paraschaki. Wer jetzt am Poppenbütteler Bahnhof aussteigt und auf der Brücke über den Gleisen ankommt, findet nichts als Stadt. Rechts diverse sieben-, acht- und neungeschossige Bürogebäude neben dem Alstertal-Einkaufzentrum. Links ein bis auf die Häuserzeile mit dem „Tinos“ komplett durchsaniertes kleinstädtisches Einkaufsquartier. Schick und neu. Nicht alt und gemütlich.