Hamburg. Warum manche Lokale ewig angesagt sind, aber jedes Jahr ein Viertel aller Gastronomen aufgeben – Spitzenköche versuchen eine Erklärung.
Eben noch musste man einen Tisch lange im Voraus reservieren oder sich in eine lange Warteschlange einreihen, und plötzlich steht man unerwartet vor einer geschlossenen Restauranttür. Dem Raven am Mittelweg erging es so, auch dem La Baracca am Überseeboulevard und dem Gourfleets im Steigenberger Hotel. Das sind nur drei von vielen Szenerestaurants, die mit ordentlich Tschingderassabum und Blitzlichtgewitter eröffnet worden waren, einen Gastrotrend generieren wollten oder auf einen Trend aufsprangen – bei denen dann aber relativ bald die Lichter ausgingen.
Zurzeit schwappt die Burger-Welle. Aber eigentlich – auch das sagen die Experten – sei die fettige Fleischoffensive schon wieder am Abebben. Einer der drei viel gelobten Otto’s-Burger-Läden, erst im März 2014 an der Langen Reihe eröffnet, hat schon wieder dichtgemacht. „Burger sind keine Neuerfindung, erleben aber gerade einen absoluten Hype“, sagt Hamburgs Vorzeigegastronomin Cornelia Poletto, die es wissen muss. „Auf der anderen Seite sind vegetarische und vegane Angebote sehr angesagt. Ob nun Fleisch oder Gemüse: Auch hier werden sich nur die durchsetzen, die ein durchdachtes Konzept haben und gute Qualität abliefern. Voraussagen lassen sich solche Trends nur schwer. Sie sind einfach plötzlich da, und niemand weiß so richtig, woher sie gekommen sind.“
Rund 240.000 gastronomische Betriebe gibt es in Deutschland, davon sind etwa 165.000 umsatzsteuerpflichtig. „In Hamburg sind es 4500, wobei wir pro Jahr um die 1100 bis 1200 Schließungen verzeichnen, aber auch die gleiche Anzahl an Inhaberwechseln und Neugründungen“, sagt Ulrike von Albedyll, Geschäftsführerin der Hamburger Sektion des Deutschen Hotel und Gaststättenverbands (Dehoga). Genauere Angaben könne sie leider nicht machen, weil die Bezirksämter diese Zahlen schon seit mehreren Jahren nicht mehr erfassen würden.
Nur 20 Prozent der neu eröffneten Betriebe überleben die ersten fünf Jahre
Spitzenkoch Christian Rach (Tafelhaus), der seit 2005 seinen Kochlöffel zunehmend durch ein Mikrofon ersetzt, kam in einer von ihm in Auftrag gegebenen Marktforschungsstudie zu einem niederschmetternden Ergebnis: „Von zehn Neueröffnungen überleben in den ersten fünf Jahren nur zwei Betriebe“, sagt er.
Welch ein schnelllebiges Geschäft: Rund ein Viertel aller Gastronomen schmeißt laut Dehoga jedes Jahr hin – aber ebenso viele springen wiederum ins kalte Wasser und riskieren die Selbstständigkeit. So wie Julia Stevens, André Jean-Marie Nini und Markus Hampp, die erst vor einem Monat ihr Restaurant Heldenplatz an der Brandstwiete eröffnet haben; ein modern gestyltes Restaurant mit zurückhaltender Popart an den Wänden und rückenschonendem Gestühl in angenehm weichen Licht. Trotz der hohen Anfangsinvestition sei ihnen jedoch nicht bange, sagt der gebürtige Franzose Nini, ein gelernter Sommelier, der schon im Le Canard an der Elbchaussee so manchem Etikettentrinker den Unterschied zwischen Shiraz und Cabernet Sauvignon erklären musste.
Erfolgreiche Gastronomie sei im Grunde doch ganz leicht, meint er: „Mach einfach lecker Essen, sei freundlich zu deinen Gästen und halte das möglichst lange durch.“ Sie setzten auf gehobene, saisonale Küche, „ohne Chichi und Firlefanz zu vernünftigen Preisen.“ So richtig neu sei daher auch nur der Teil ihres Konzepts, das die Öffnungszeiten betrifft: „Wir öffnen erst um 18 Uhr, aber unsere Tür steht mindestens bis zwei Uhr morgens offen: für Geschäftsleute, Nachtschwärmer oder die vielen Musicalgäste, die einen schönen Abend nach der Vorstellung mit gutem Essen ausklingen lassen wollen.“ Das klingt schon mal nach einem durchdachten Plan.
Christian Rach wird sich vom 4. April an zur besten Sendezeit auf die Suche nach Deutschlands Lieblingsrestaurant begeben (RTL, 21.15 Uhr). „Wir wollten einmal genau untersuchen, warum pro Jahr ein Viertel aller deutschen Gastronomien, immerhin gut 60.000 Betriebe, dichtmacht oder dichtmachen muss, und ob es vielleicht so etwas wie ein allgemeingültiges Erfolgsrezept gibt. Generell muss ja ein Gast, ganz gleich, wo er sich nun befindet, das Gefühl haben, dass es vom Preis-Leistungs-Verhältnis her stimmt. Die Frage lautet: Wie definiert man dieses Gefühl? Woran liegt es, dass beispielsweise der Wirt eines italienischen Restaurants in einer bayerischen Kleinstadt von gerade mal 20.000 Einwohnern rund 300 Mittagstische pro Tag aus seiner Küche raushaut?“
Businesspläne sowie potente Geldgeber sind keine Erfolgsgaranten
Was zieht? Was macht die Gäste an? Was bindet sie langfristig an eine Lokalität? Trends, ganz egal welche, haben dabei wohl schon immer eine schicksalhafte Doppelrolle gespielt. Manchmal geht es zwar gut, ein paar Jahre lang auf einen Trend – wie zum Beispiel „XXL-Schnitzel“ – zu setzen; zu häufig allerdings geht es daneben und ruft dann die Insolvenzverwalter auf den Plan. Und ausgeklügelte Businesspläne sowie potente Geldgeber im Hintergrund sind ebenfalls längst keine Erfolgsgaranten; vermutlich wirken sie sogar kontraproduktiv, jedenfalls dann, wenn die wahrhaftigen menschlichen Aspekte auf der Strecke bleiben.
Das La Baracca, das von einer Investorengruppe am Überseeboulevard eröffnet worden war und auf 1000 Quadratmetern italienische Erlebnisgastronomie bot, war offenbar zu großzügig dimensioniert. Die Betreibergesellschaft schob das vorzeitige Aus vor allem auf den Standort, in diesem Fall die unterbelebte HafenCity. Neu am Konzept war allerdings vor allem, dass man seine Speisen und Getränke mit einem PC-Tablet bestellen konnte.
Das Raven am Mittelweg setzte auf euroasiatische Küche. Im Gastraum dominierten schwarze Hochglanzflächen, die Musik war cool, der Service megacool, nur die Preise waren uncool, weil sehr hoch und nur bedingt kompatibel mit der Qualität der Speisen.
Es kommt anscheinend immer weniger auf sorgfältig gefaltete „Bischofsmützen“ auf dem Tisch an. Das Auge isst zwar immer mit, aber „als erfolgreicher Gastronom sollte man eine klare Linie haben, die sich durch sämtliche Bereiche zieht – von der Speise- und Weinkarte über das Ambiente bis hin zum Service. Man sollte seinem Gast zwar auch immer mal wieder etwas Neues bieten, aber dabei sich selbst und seinem Stil treu bleiben. Würde ich heute thailändisch kochen und morgen Burger braten, wäre das nicht glaubwürdig“, sagt Cornelia Poletto.
Das hatte auch Christian Möhlenhof früh erkannt, der 1987 als Jurastudent hinter dem Tresen des Maybach am Eimsbütteler Heußweg zu jobben anfing, um irgendwann das Studium abzubrechen und voll in die Gastronomie einzusteigen. Seit 15 Jahren gehört ihm das Lokal mit dem Biergarten. „Ich würde niemals eine Champagner-Bar eröffnen, denn Champagner mag ich nicht, dafür aber Bier“, sagt Möhlenhof. „Es macht außerdem wenig Sinn, ständig eine neue Sau durchs Dorf zu jagen und irgendwelchen Trends hinterherzuhecheln. Ich glaube fest daran, dass es auf Authentizität ankommt, sich selbst treu zu bleiben und auf eine freundliche Ansprache. Gerade die Kommunikation ist eminent wichtig.“ Zwar sehe die Pizza, die seine Köche heute aus dem Ofen holen, anders aus als vor 20 Jahren, auch hätten sie längst Burger im Angebot, „aber ich nehme höchstens Feinjustierungen vor“, sagt er. Für Möhlenhof ist vor allem die deutsche Küche prinzipiell immer im Trend, die seiner Meinung nach viel zu selten angeboten wird und die er am liebsten mag: „Wer sein Konzept nicht lebt, hat eigentlich schon verloren“, sagt er.
Für Rach kommt es auf Authentizität, Qualität und ein klares Konzept an
Für Christian Rachs neue Sendung hatten sich mehr als 10.000 Restaurants, Bars, Lokale und Kneipen beworben – vom Sternerestaurant über Steakhäuser und den Griechen an der Ecke bis hin zum Asia-Imbiss. Monatelang waren ein Dutzend fachkundige Restauranttester – unter ihnen der Chef selbst – inkognito unterwegs, und ausnahmsweise verrät Rach auf der Suche nach dem „Lieblingslokal der Deutschen“ vorab einige seiner Rechercheergebnisse: „Einen kurzfristigen Erfolg zu generieren ist simpel. Aber eine Wiederholung ist sehr schwer. Viele Gastronomen klauen und kopieren ein Konzept, und das funktioniert dann leider oft nicht richtig. Die, die also auf einen bereits fahrenden Zug aufspringen, um dann vielleicht nach drei Jahren bloß ihre Investition mit einem möglichst hohen Gewinn wieder rauszubekommen, sind daher zumeist keine Gastronomen mit Herz.“
Authentizität, Qualität und ein klares gastronomisches Konzept seien dagegen drei der Säulen, auf denen sich Erfolg gründen lasse. „Der Inhalt muss zur Verpackung passen“, sagt Rach, „aber das größte Problem der Gastronomen ist, dass etwa nur zehn Prozent von ihnen betriebswirtschaftlich, das heißt realistisch, rechnen können. Viele Läden werden nach wie vor künstlich am Leben erhalten, bloß um die Schmach einer Niederlage nicht zuzulassen.“
Seine Empfehlung an alle Gastronomen und diejenigen, die überlegen, sich selbstständig zu machen, lautet daher, „möglichst jeden Tag auf der vorausberechneten Höhe der Liquidität zu sein, sich außerdem mindestens alle vier Wochen mit dem Steuerberater zusammenzusetzen und lieber Tacheles zu reden, anstatt in die Insolvenz abzurutschen.“