Wandsbek. Rot-grüne Koalition plant eine städtebauliche Erhaltungsverordnung für das Kerngebiet, um die historische Bausubstanz retten zu können.

Wandsbek gilt als Bezirk der breiten Straßen und der vorstädtischen Einzelhausparzellen für Besserverdienende. Als Hort historisch urbaner Siedlungskultur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts hat es kaum einer auf der Rechnung. Doch wer abseits citynaher Highways wie der B 75 und der Robert-Schuman-Brücke in die Parallelstraßen gerät, kann sich eines Besseren belehren lassen. Dem will die Wandsbeker Politik jetzt Rechnung tragen und eine Erhaltungsverordnung für die durchaus gefährdete Substanz erlassen.

Hinter der Christuskirche führen Schloß- und Neumann-Reichardt-Straße tief in die Geschichte von Wandsbeker Industrie- und Arbeiterkultur und großbürgerlicher Eleganz. Die 32 Hektar zwischen B 75 und Bahngärten, Efftingestraße und Robert-Schuman-Brücke verdichten 200 Jahre Wandsbeker Baugeschichte auf einem Kerngebiet in ihren wesentlichen Blöcken: Stadtvillen mit Gärten aus der Gründerzeit zwischen 1875 und 1925, repräsentative öffentliche Gebäude wie das Amtsgericht samt Gefängnis, die Schulen, der Gewerbehof mit den Resten ruhmreicher Brauereien und der riesigen Schokoladenfabrik.

Vieles ein bisschen schmuddelig, gern renovierungsbedürftig und durchsetzt von tragischen Neubauten aus den 70er- und 80er-Jahren. „Charmant“ heißt das im Jargon der Makler. „Wertvoller Gebäudebestand“, sagen die Gutachter des Büros Elbberg, das die Fakten zusammentrug für die politische Entscheidung.

Aber Wandsbek gilt nicht zu Unrecht als Bezirk der breiten Straßen und Vorstadtvillen. Es regt sich Widerstand gegen den Schutz der alten Gemäuer. Bezirks-CDU und Linkspartei kämpfen Seite an Seite gegen die geplante Erhaltungsverordnung und geißeln sie als Behinderung des Wohnungsbaus. Sie wollen freie Fahrt für freies Bauen. Neumachen ist billiger als Sanieren, besonders, wenn es in größeren Blöcken gleich straßenzugweise passiert wie jetzt im Brauhausviertel einen Kilometer stadteinwärts.

Die Linke beschwört die „Wohnungsnot“, bei deren Beseitigung Zimperlichkeit verfehlt sei, die CDU die Kräfte des Marktes, die die Kapitalströme an Wandsbek vorbeileiten würden, wenn Ämter das Bauen erschwerten.

Dagegen verweisen Historiker, Stadtsoziologen und Freunde einer vor allem in Altona angesiedelten Lebensart auf den identitätsstiftenden Charakter alter Gebäude und der Geschichten, die sich um sie ranken. Sie freuen sich an der Vielfalt, die sie hinter mancher Ecke auch nach Jahren noch nie Gesehenes entdecken lässt. Rot-Grün will den Sinn dafür schärfen und einen Hauch von Altona in Wandsbek etablieren.

Für den „Gewerbehof Christiansen“ an der Neumann-Reichardt-Straße etwa, wo noch Reste der „Kakao-Compagnie Theodor-Reichardt“ stehen, Europas einst größter Schokoladenfabrik. Mit 4000 Mitarbeitern nutzte sie 1898 den Standortvorteil vor Hamburgs Toren am Handelsweg nach Lübeck. Kakao sollte „Volksgetränk“ werden. Das betriebseigene Hallenbad, seit den späten 60er-Jahren ohne Wasser, ist heute noch da, die Mitarbeiter aber bekamen schon nach 27 Produktionsjahren ernste Probleme. Absatzmangel infolge der Wirtschaftskrise brachten 1925 Massenentlassungen, kurz danach war die Belegschaft halbiert. Ende 1928 ging die Compagnie an einen tschechischen Margarine-Hersteller, der die Produktion abzog.

Von der Germania-Brauerei steht nur noch ein Backsteinbau, die letzten Spuren der 1926 abgebrannten Marienthaler Brauerei sind das denkmalgeschützte Pförtnerhaus und ein brachliegender Eiskeller.

An die Arbeiterwohnkultur erinnern erhaltene Etagenwohnhäuser und einstöckige Buden mit Ladengeschäften: An der Morewood-/Ecke Böhme­straße finden sich noch das damals übliche Plumpsklo samt Remise im rückwärtigen Garten dazu. Mittendrin dreigeschossige Klinkerbauten aus den 50er- und 60er-Jahren, das Heimatmuseum im früheren Morewood-Stift und die letzten Terrassen mit ihren straßenabgewandten, winzigen Wohnungen im Josephsviertel. Womit wieder der Wandsbeker Hang zur Vorfahrt für Abriss und Neubau ins Spiel käme.

Denn die „Wohnungsbaugenossenschaft Hamburg-Wandsbek von 1887“ um ihren Vorstand, den CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Ralf Niedmers, will ihre um 1900 erbauten Kleinstwohnungen an der Josephstraße unbedingt loswerden und – etwas größer – neu bauen. Seit 2011 wird erbittert gestritten, alle Gespräche der Kontrahenten aus SPD und CDU sind gescheitert. Ein Rechtsstreit liegt in der Luft. Da ist die Verordnung längst zur Waffe im Schlachtengetöse stilisiert. Für Kultur und gegen Wohnen oder umgekehrt. Dabei will sie beides: Wohnkultur.