Insgesamt 1,5 Millionen Euro kostet die Sanierung des Herrenhauses. Anfang August werden das Wiener Kaffeehaus, eine Krippe und der Kulturkreis einziehen.

Hamburg. Hans von Ohlendorff würde es freuen, seine alten Volksdorfer Gemächer wieder so fein hergerichtet zu sehen. Dem Feingeist und letzten Spross aus der einst steinreichen Hamburger Kaufmannsfamilie fehlte es im Herbst seines Lebens am nötigen Kleingeld für grundlegende Sanierungen. Er verkaufte die Villa. Der Herrensitz wurde Amtsstube – und schließlich ein Sanierungsfall.

Mit Skalpell, Liebe und endloser Geduld legt die Diplom-Restauratorin Angelika Fischer-Menshausen im achteckigen Frühstückssalon die Vergangenheit frei. Eine erdfarbene Blumentapete in Feldern von 1,50 mal drei Metern. Zweieinhalb bis drei Tage braucht sie für eines dieser Rechtecke. „Viele denken ‚Die Armen!‘, wenn sie uns kratzen sehen“, sagt Fischer-Menshausen. „Aber das stimmt ja gar nicht. Nervöse Menschen sollten vielleicht etwas anderes machen, aber wenn man sich einmal darauf eingelassen und sein Tempo gefunden hat, macht es Spaß. Man sieht den Erfolg ja gleich.“

Für 1,5 Millionen Euro renovieren die Frank-Gruppe, die Stadt und die Stiftung Ohlendorffsche Villa das 1928/29 von Erich Elingius gezeichnete Herrenhaus im Zentrum des Dorfes. Anfang August werden das Wiener Kaffeehaus, eine Krippe und der Kulturkreis einziehen. Der Garten vor dem Haus wird für Konsumenten von Kaffee und Kuchen hergerichtet, der hinter dem Haus für die bis zu dreijährigen Kinder. Die Bibliothek bekommt Parkett und eine kleine, verschiebbare Bühne für Lesungen, Theater und Konzerte. Von 18 Uhr an soll der Geist die Oberhand übers Gebäck gewinnen, dann vermietet die Stiftung den Saal an Kulturfreunde.

Die Denkmalschützer haben die in die Bibliothekswände eingelassenen Regale wieder freigelegt. Fürs Ortsamt Walddörfer waren die goldfarbenen Zierleisten kurzerhand entfernt und die Kassetten verbrettert worden. An Stuck und Zierleisten kleben jetzt Zettel mit „Befunden.“ Die Restauratorinnen haben alte Farben freigelegt, sie vorsichtig nachempfunden und die Farbwerte fürs Anmischen notiert. „In jedem Raum sind die Farben etwas anders, aber immer sind sie genau aufeinander abgestimmt“, sagt Fischer-Menshausen. Auf Farbharmonie wurde früher mehr Wert gelegt als heute, die Farben waren dunkler, intensiver, die Kombinationen etwa von Rot und Grün mit Beige-Tönen vielfältiger und für unser Auge ungewohnt. „Die Maler wurden mehr in die Raumgestaltung einbezogen als heute“, sagt Fischer-Menshausen.

Zu Ohlendorffs Zeiten saß oft Max Reger vor den Bücherwänden an Orgel und Flügel, unterhielt die Gesellschaft oder komponierte. Der durchaus fachkundige Hausherr, der mangels kaufmännischer Talente dem Kontor weitgehend entsagt hatte, würdigte die Werke kritisch und lud gern auch andere beschlagene Männer des Geistes an seine Tafel. „Habe immer etwas Gutes im Sinn“ – das Motto der Freimaurer steht im Bogen über der Eingangstür des Junggesellen Ohlendorff, der trotz seiner musischen Begabung vom Vater ins Geschäft gezwungen worden war.

Heinrich von Ohlendorff hatte mit dem Import von Guano ein Vermögen gemacht und war dann in den Kontorhausbau eingestiegen. 1878 kaufte der Senior, der mit Großfamilie vornehm in Hamm residierte, drei Volksdorfer Bauernhöfe mit insgesamt 275 Hektar als Sommerfrische. Aber die Ohlendorffs hatten nicht nur Geld, sondern auch viel Herz: Für ihr großes soziales Engagement wurde die Familie in den Adelsstand erhoben.

Auf den umtriebigen Ohlendorff senior geht auch die Gründung der Kleinbahn von Altrahlstedt nach Volksdorf und seit 1920 auch nach Barmbek zurück. Das machte Volksdorf als Wohngebiet für Hamburger interessant. 1919 übernahm Hans von Ohlendorff, der Nachzügler und Liebling von Mutter Elisabeth, das Unternehmen. Nach dem Tod der Eltern wurde es unter den insgesamt zehn Kindern aufgeteilt, viele Immobilien wurden verkauft.

Für die Retusche der Tapete im Frühstücksraum liegen Buntstifte, Pastellkreiden, Papierwischer und Lupenbrille bereit. Wo der zähe Leim das Alte nicht freigeben will, wird die Tapete mit dem Skalpell schnell beschädigt. Die Blumen reißen ab, die Farbschicht verschwindet, die Tapete vergilbt. Fischer-Menshausen zeichnet sie neu und lässt Motive und Farbtöne alt aussehen. „Das Ziel ist ein ausgewogenes Bild“, sagt sie. „Das Auge soll nicht hängen bleiben, wenn es über die Wände gleitet.“ Fehler und Unzulänglichkeiten malt sie mit. „Das Schwierigste ist, sich zurückzunehmen und nicht zu viel zu machen“, sagt Fischer-Menshausen. „Je mehr man malt, desto mehr fallen die Schäden auf.“

Es gehe nicht um Rekonstruktion, sondern um Retusche. Da müsse man Maß halten. „Es ist nur eine Tapete“, sagt Fischer-Menshausen. Zum Schluss wird versiegelt. Wer an der Wand entlangwischt, soll keine Farbe an den Händen haben und keine Blumen ausradieren. Vom ohlendorffschen Firmensitz in der Innenstadt, dem Dovenhof, blieb nur die Flagge mit dem Familienwappen. Sie kommt nun ins Treppenhaus der Villa. In Volksdorf verloren sich die Spuren des übermächtigen Vaters Heinrich mit dem Abriss seiner Sommerfrische. Die heutige Ohlendorffsche Villa entstand, weil der Sohn nach dem Tod der Eltern lieber direkt nebenan neu bauen wollte, statt ins Elternhaus zu ziehen. Bis 1945 lebte Hans von Ohlendorff noch in seinem 15-Zimmer-Neubau. 1967 starb er im Alter von 86 Jahren bei einem Verkehrsunfall.