Kinder aus schwierigen Verhältnissen sollen Haus beziehen. Nachbarn fürchten offenbar, die Kinder könnten den Wert der Grundstücke mindern.
Hamburg. Angefangen hatte alles mit einem leeren Haus. Die Bewohner waren ausgezogen, und die Nachbarn fragten sich, wie es weitergehen würde damit. Es ist grüne, beschauliche Welt rund um den Heideknick in Sasel. Die Leute kennen sich, sie organisieren Straßenfeste, viele von ihnen haben viel Geld gezahlt, um hier zu wohnen. Seit Anfang April ist es vorbei mit der Ruhe. Fronten haben sich gebildet, es wurden Flugblätter verteilt. Und alles wegen dieses Hauses , in dem nun ein paar Kinder einziehen sollen.
"Problemkinder" nennen einige Anwohner sie. Kinder aus schwierigen familiären Verhältnissen, heißt es offiziell. Die Großstadt-Mission Hamburg-Altona möchte am Heideknick eine Wohngruppe einrichten. Etwa acht Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren sollen hier einziehen - keine kriminellen Jugendlichen, wie es aus der Mission heißt, sondern "Kinder mit biografischen Belastungen". Diese Kinder aber, fürchten viele Nachbarn, könnten Drogen und Kriminalität in den Stadtteil tragen und den Wert der Grundstücke mindern.
Erst auf Nachfragen wurde die geplante Wohngruppe bekannt, und rasch machten die Anwohner mobil. Auf Flugblättern warnten sie vor "schwer erziehbaren Problem-Jugendlichen" und gründeten eine Bürgerinitiative, die seither sehr rührig ist. Sie setzt auf einen Baustufenplan aus dem Jahr 1936, der das Wohngebiet als besonders geschützt ausweist; soziale Einrichtungen wären dann nicht zugelassen. Die Mission sieht die Wohngruppe aber nicht als soziale Einrichtung, sondern als Wohnprojekt. Zwei Petitionen hat die Initiative in den Eingabenausschuss der Bürgerschaft eingebracht, seit April stockt das Projekt. Erst gestern wurde nach der ersten auch die zweite Eingabe zurückgewiesen. "Endlich kann es losgehen", sagt Wilfried Hans vom Vorstand der Mission. "Wir hoffen, dass wir noch in dieser Woche die Baunutzungsgenehmigung erhalten. Im Haus steht schon alles bereit für die Kinder." Beruhigen wird sich der Stadtteil trotzdem nicht. Die Initiative möchte die Wohngruppe weiterhin verhindern und hat angekündigt zu klagen. Ein Konto dafür ist schon eingerichtet.
+++ Noch keine Entscheidung über Wohngruppe für Jugendliche +++
Peter Jacobsen und Karin Syring sind zwei ihrer Sprecher. Sie haben sich eingelesen in den vergangenen Monaten und dicke Ordner angelegt, in denen sie Argumente sammeln. Das Ziel ist das gleiche geblieben, aber ihre Begründung hat sich geändert. Sie sagen nun, dass eine solche Einrichtung Verschwendung von Steuergeld sei. Die Großstadt-Mission, so ihr Vorwurf, finanziere sich mit der Betreuung der Kinder hochpreisige Häuser. "Fast 4000 Euro im Monat erhält ein freier Träger der Jugendhilfe durchschnittlich für jedes Kind", rechnet Jacobsen vor. "Eine Pflegefamilie bekommt nur knapp 1000 Euro." Sie finden, dass Jugendliche in eine Familie gehören. "Wir möchten nur das Beste für die Kinder", sagt Syring. "Kinder aus schwierigen Familien haben in jedem Fall ein Trauma und bräuchten eine Therapie." Dann allerdings wäre es keine Wohngruppe mehr, sondern eine soziale Einrichtung. Und die ist in einem besonders geschützten Wohngebiet nun mal verboten. "Es gibt genug Problemstadtteile in Hamburg", sagt Jacobsen. "Da muss man nicht noch zusätzlich welche schaffen."
Thomas Jeutner und Monika Pfaue kennen die Argumente. Jeutner ist Pastor der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Sasel, Monika Pfaue ist die ehemalige Rektorin der Schule Redder. Sie waren entsetzt, als sie die Flugblätter zu Gesicht bekamen. Sie haben im Stadtteil Unterschriften gesammelt und eine erfolgreiche Gegenpetition für die Wohngruppe eingereicht. Sie sagen, dass es bereits ähnliche Einrichtungen in Sasel gibt, die nie negativ aufgefallen seien. Sie legen Wert darauf, dass keine "schwer erziehbaren" Jugendlichen einziehen sollen, sondern Kinder aus schwierigen Verhältnissen. "Kinder, die aus dem Nest gefallen sind", sagen sie. Die neue Argumentation halten sie für einen Vorwand. "Das ist der letzte Versuch, das Projekt aufzuhalten", sagt Jeutner.
Für ihn und Pfaue geht es auch um Grundsätzliches - um die Frage nämlich, wie sozial ihr Stadtteil ist. Früher einmal war Sasel Siedlerland, nach dem Krieg bearbeiteten die Menschen hier den Boden. Heute, sagt Jeutner, beerdige er die Kinder dieser Siedler. Rund um den Heideknick wird gebaut, Neuanwohner ziehen her, die viel investiert haben in ihr Haus. "Sasel soll da eine ruhige Insel sein." Monika Pfaue, die seit fast 50 Jahren im Stadtteil lebt, muss manchmal tief Luft holen, so sehr regt die Situation sie auf. "Mein Grundstück, mein Haus, mein erspartes Glück", sagt sie. "Das gab es in Sasel früher nie. Wir reden doch hier über eine Zusammengehörigkeit, die über den Gartenzaun hinausgeht!" Auch die Straße selbst ist gespalten. Eine Anwohnerin hat ihren Nachbarn eigene Flugblätter in die Briefkästen gesteckt: "An die Wutbürger", steht darauf: "Ich schäme mich!"
Dass ausgerechnet die Kirche sich eingeschaltet hat, ärgert die Bürgerinitiative. Kirche, sagt Jacobsen, habe unpolitisch und für jeden da zu sein. "Aber wir werden von der Kanzel herunter denunziert." Thomas Jeutner sagt, er spüre großen Druck auf sich. "Bisher haben wir in Sasel immer gemeinsam gekämpft", sagt er, "gegen den Ausbau des Rings 3, gegen den Wegzug der Bücherhallen. Der Konflikt innerhalb des Stadtteils ist neu für mich. Ich weiß, dass die Kirche für alle da sein muss. Aber ich habe mich bewusst entschieden, meine neutrale Haltung aufzugeben." Dann fällt ihm noch etwas ein. Kürzlich erst, erzählt er, habe er gemerkt, dass der Heideknick eine Einbahnstraße ist. "One way", sagt er. "So ist das hier. Es soll immer nur in eine Richtung gehen."