Hamburg. Kirsten Fehrs blickt auf ihre Amtszeit in der EKD zurück. Dienstag kandidiert die 63-Jährige für die Spitzenposition der Protestanten.
Eine Hamburgerin könnte bis 2027 die Geschicke der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mit ihren 18,6 Millionen Mitgliedern lenken: Kirsten Fehrs, Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck, strebt das höchste kirchliche Amt der Protestanten an.
Die aus Dithmarschen stammende 63 Jahre alte Theologin kandidiert für den öffentlichkeitswirksamen Ratsvorsitz. Gegenkandidaten gibt es bislang nicht. Die Abstimmung durch in Würzburg tagende EKD-Synode (Kirchenparlament) ist für diesen Dienstag vorgesehen. Die Hamburgerin ist seit vergangenem Jahr amtierende Ratsvorsitzende.
Hamburger Bischöfin fährt in einem Jahr rund um den Globus
Im Fall ihrer Wiederwahl, die als sicher gilt, liegen brisante Aufgaben vor ihr und den kirchlichen Gremien. „Wir müssen konsequent weiterarbeiten an der Aufarbeitung von und dem Schutz vor sexualisierter Gewalt in der Kirche“, sagte die Theologin dem Abendblatt. „Hinzu kommt die Seelsorge angesichts der großen Einsamkeit in unserer Gesellschaft. Und in einer unübersichtlichen und zerrissenen Welt ist es unsere Aufgabe als Kirche, Dialogräume zu schaffen.“ Es brauche solche Verständigungsorte, in denen Menschen mit unterschiedlichen Meinungen, Lebensauffassungen und unterschiedlichem Glauben zusammenkommen. „Das dient auch der Demokratie und dem Frieden in unserem Land. Wir leben in krisengeschüttelten Zeiten. Den Ängsten mit Hoffnungstrotz zu begegnen, das bleibt meine Priorität.“
Hoffnung zu haben – das gehört zu ihrer DNA. Es gab Menschen, die haben Kirsten Fehrs anfangs unterschätzt. Zum Beispiel Taxifahrer. Kaum war die evangelische Theologin im Jahr 2011 als Nachfolgerin von Maria Jepsen zur Hamburger Regionalbischöfin gewählt worden, hatte sie vor ihrer Kanzlei in der HafenCity ein Taxi bestellt. Wartend und winkend stand sie auf dem Bürgersteig. Doch der Taxifahrer ignorierte sie und fuhr zunächst vorbei. Wie sich herausstellte, hatte er sich eine Bischöfin ganz anders vorgestellt. Gewichtiger.
Bischöfin Kirsten Fehrs: Ihr Talent als Gospelsängerin
Die zierliche Frau überzeugt seitdem nicht nur mit dem Potenzial ihrer Stimme, die leise Töne genauso beherrscht wie den fulminanten öffentlichen Protest gegen Rechtsradikale, Ausländerfeinde und Antisemiten – von ihrem Talent als Gospelsängerin ganz zu schweigen. Mit ihrem seelsorgerlichen und empathischen Charisma und dem hoffnungsfrohen, fröhlichen Kampfesmut ist sie eine der prägendsten leitenden Kirchenfrauen in Deutschland.
EKD-Synode: Als die Ratsvorsitzende Kurschus zurücktrat
Vor einem Jahr war die damalige EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus während der Tagung der 128 Synodenmitglieder unter Druck geraten, weil sie vor vielen Jahren gewusst haben soll, dass ein damaliger Kirchenmitarbeiter sexuell übergriffig handelte. Die Theologin bestritt dies, trat aber als Ratsvorsitzende und Präses der Landeskirche von Westfalen zurück, um Betroffenen sexualisierter Gewalt nicht mit Schlagzeilen durch einen Verbleib im Amt zu schaden, wie sie damals sagte.
Kirsten Fehrs war bereit, den Ratsvorsitz kommissarisch bis zur nächsten Synodentagung zu übernehmen. Im Rückblick auf diese Zeit sagte sie dem Abendblatt: „In erster Linie brachte mir das Amt der amtierenden Ratsvorsitzenden eine Fülle an zusätzlichen Terminen. Oft bin ich jetzt in Hannover beim Kirchenamt oder in Berlin. Aber ich lerne auch andere Orte ganz neu kennen – Frankfurt am Main, Bonn, Halle an der Saale oder Leipzig.“
Bischöfin Fehrs in einem Jahr 48.000 Kilometer dienstlich unterwegs
Schätzungsweise hat sie in den vergangenen zwölf Monaten an die 48.000 Kilometer zurückgelegt. Das ist etwas mehr, als einmal um den Globus zu reisen. „Wichtig ist mir, dass ich trotzdem in meinem bischöflichen Sprengel Hamburg und Lübeck präsent bleibe. Ich brauche einfach diesen Kontakt zur kirchlichen Basis, zu ‚meinen‘ Kirchengemeinden, Pastoren und Pröpsten.“
Der Dienst bringe natürlich die Lektüre vieler theologischer Aufsätze und Vertiefungen mit sich, doch leider fehle oftmals die Zeit für intensiveres Lesen von ganzen Büchern. „Zuletzt habe ich mit großer Freude das neue Buch von Johann Hinrich Claussen ‚Gottes Bilder‘ gelesen.“ Claussen ist ehemaliger Propst in Hamburg und jetzt EKD-Kulturbeauftragter.
EKD-Ratsvorsitz: ein Amt mit viele Ehre, aber auch mit Last
Schnell merkte die frühere Hamburger Hauptpastorin von St. Jacobi, Organisationsentwicklerin und Pröpstin im Kirchenkreis-Ost, dass es sich bei der EKD um ein Ehrenamt handelt – „ein Amt mit viel Ehre, aber eben auch Last“, wie sie hinzufügt. Schön sei es gewesen, in den vergangenen Monaten immer wieder zu spüren, wie sehr Seelsorge auch bundesweit gebraucht werde.
Sie verweist auf die ökumenische Feier zu 75 Jahren Grundgesetz und die Friedensgebete. „Hier einen persönlichen Beitrag leisten zu können, eine hohe Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns zu erleben, gehört definitiv zu den schönsten Seiten des Amtes.“
EKD-Synode in Würzburg diskutiert über Missbrauchsstudie ForuM
Die am Sonntag in Würzburg eröffnete EKD-Synode beschäftigt sich erstmals seit Vorstellung einer bundesweiten Missbrauchsstudie mit dem Thema sexualisierte Gewalt (ForuM). Die Missbrauchsstudie für EKD und Diakonie war Ende Januar von unabhängigen Forschern vorgestellt worden. Sie hatte in kirchlichen Akten Hinweise auf 2225 Betroffene und 1259 Beschuldigte seit 1946 ausgemacht.
Zudem stellten die Autoren Kirche und Diakonie im Umgang mit Missbrauchsfällen ein negatives Zeugnis aus. Die Kirchenparlamentarier in Würzburg werden öffentlich über die Ergebnisse der Studie diskutieren und Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt beschließen.
Missbrauch in der Kirche: Anspruch auf Gespräch in Anerkennungskommission
Kirsten Fehrs sagte dazu: „Das Beteiligungsforum, also das Gremium, in dem betroffene Menschen und kirchliche Vertreterinnen und -vertreter gemeinsam alle drängenden Fragen zum Thema sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie bearbeiten, stellt auf der Synode einen Maßnahmenplan vor, mit dem wir sexualisierte Gewalt in der Kirche künftig noch gezielter aufarbeiten und verhindern wollen. Außerdem wird das Beteiligungsforum über den aktuellen Stand einer gemeinsam erarbeiteten Richtlinie berichten, die das Verfahren zur Anerkennung eines erlittenen Leids bundesweit vereinheitlichen soll. Neu sei, dass „jede und jeder Betroffene ein Recht auf ein Gespräch mit einer Anerkennungskommission erhalten soll“.
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Hierbei bleibe es bei einer einfachen Plausibilitätsprüfung, es sei also keine schwierige Beweisführung notwendig. Je nach dem Erlebten und der Situation der betroffenen Menschen werden weiterhin individuelle Leistungen gezahlt. Zusätzlich hierzu wird es nun eine pauschale Leistung geben, die dann gezahlt wird, wenn es sich um strafrechtlich relevante Taten handelt“, so die amtierende EKD-Ratsvorsitzende.