Hamburg. Hamburgs und Lübecks Bischöfin über Festtagsfreude, den Ukraine-Krieg und die Friedenshoffnung der christlichen Religion.
Einmal im Jahr strömen viele Menschen in die Hamburger Gotteshäuser. Sie wollen sich auf das Fest einstimmen. Die Friedensbotschaft aus der Bibel trifft aber auch in diesem Jahr auf eine Welt mit Krieg und schweren Krisen – vielen Menschen bereitet das große Sorgen. Kann man unter diesen Umständen das Weihnachtsfest überhaupt unbefangen genießen? Kirsten Fehrs ist evangelische Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck. Im großen Abendblatt-Interview spricht sie über Weihnachtsfreude, Ukraine-Krieg und spärlich geheizte Kirchen.
Hamburger Abendblatt: Happy Holidays, Bischöfin Fehrs!
Kirsten Fehrs: (schweigt)
Happy Holidays?
Das ist der politisch korrekte Wunsch, der aus Amerika nach Deutschland gekommen ist. Man wünscht frohe Ferientage, um Andersgläubige mit einem „Fröhliche Weihnachten“ nicht vor den Kopf zu stoßen. Ein Hamburger Kaffeehändler macht das in seinen Filialen gerade so. Ist Ihnen das schon mal begegnet?
Fehrs: Wie Sie an meiner Reaktion gemerkt haben – nein. Wenn ich ein Geschäft verlasse, sage ich meist „Gesegneten Advent“ und „Bleiben Sie behütet“. Die Menschen horchen dann auf und verstehen das als liebevoll gemeinten Friedenswunsch. Segen ist das Beste, was wir einander wünschen können.
Was können Menschen einander wünschen, die im vergangenen Jahr Schicksalsschläge erleiden mussten?
Fehrs: Dass sie Trost erfahren und Halt. Etwa indem sie auch Momente von Schönheit erleben. So viele Menschen sind derzeit trostbedürftig. Und friedenssehnsüchtig. Trost ist dabei etwas anderes als Hilfe, Trost löst kein Problem. Aber er trägt hindurch und weist über die Not hinaus: Auch wenn du leidest, gibt es immer noch eine Geborgenheit und eine Hoffnung – selbst wenn du sie im Moment nicht empfinden kannst. Die christliche Hoffnung ist und bleibt, trotz allem und gerade dann, wenn man viel durchzustehen hat und alles nicht so gut läuft.
In diesem Jahr dämpft der Krieg in der Ukraine die Weihnachtsfreude.
Fehrs: Bei meinen Begegnungen spüre ich immer wieder, dass viele Menschen ganz real Angst haben, vor allem Kinder und alte Menschen. Doch gerade in dieser Situation sollten wir an der Botschaft „Fürchtet euch nicht“ und „Friede auf Erden“ aus der biblischen Weihnachtsgeschichte festhalten. Damals herrschte auch kein Friede. Unsere christliche Aufgabe einmal mehr in diesen Tagen ist, immer wieder darauf hinzuweisen: Der Lebensentwurf, den Gott für uns erdacht hat, besteht darin, friedlich miteinander umzugehen. Im Blick auf den Despoten Putin sagen wir deshalb: Krieg darf um Gottes Willen nicht sein.
Welche Position vertritt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) im Krieg gegen die Ukraine?
Fehrs: Wir haben immer gesagt: Der russische Angriffskrieg ist ein barbarischer Akt, und es ist absolut legitim, sich dagegen zu verteidigen. Dennoch ist der Einsatz von Waffen kein Selbstzweck, sondern es muss alles getan werden, um zu einem gerechten und nachhaltigen Frieden zu kommen. Trotz Ohnmacht und scheinbarer Ausweglosigkeit gibt es diese Kraft der Weihnachtsbotschaft, die besagt: Die größte Macht ist die Liebe. Sie setzt einen Gegenakzent zur Aufrüstungssprache, die wir gegenwärtig erleben.
Was bedeutet das konkret für politisches Handeln?
Fehrs: Wir wissen alle, dass sich die Situation nicht von jetzt auf gleich ändert. Die Weihnachtsbotschaft ist keine politische Handlungsanweisung, aber sie stärkt eine innere Haltung: Gewalt ist nicht „normal“, denn Gott hat den Menschen den Frieden erklärt. Deshalb ist es unsere Aufgabe als Christinnen und Christen, an der Friedensbotschaft gerade jetzt festzuhalten. Wer, wenn nicht wir, sollte vom Frieden und nicht vom Krieg sprechen? Wir müssen das „Trotzdem“ stark machen: Es ist zwar bitter notwendig, dass ein angegriffenes Land sich gegen einen brutalen Aggressor verteidigt, auch mit Waffen – trotzdem wird am Ende eine neue europäische Friedensordnung stehen müssen. Es macht einen Unterschied, ob ich vom Krieg oder vom Frieden her denke.
Also können die Hamburger fröhlich und mit Hoffnung Weihnachten feiern?
Fehrs: Mein großer Wunsch ist, dass die Menschen sich tragen lassen können von schöner Musik, von Besinnlichkeit, Ruhe. Dass sie sich aufgehoben fühlen von der alten Geschichte von Maria, Joseph und dem Jesuskind.
Welchen Rat geben Sie Familien, die Weihnachten nicht in die Kirche gehen und trotzdem das Fest stimmungsvoll feiern wollen?
Fehrs: Es wäre wunderbar, wenn man sich in der Familie gegenseitig die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukas-Evangelium, Kapitel 2, vorliest. Und wenn die Menschen sich von Musik wie etwa dem Weihnachtsoratorium, berühren ließen. Zu dieser weihnachtlichen Stimmung gehören für mich auch das Licht der Kerzen und das gemeinsame Essen.
Ein opulentes Festessen?
Fehrs: Es braucht nicht opulent zu sein, wichtig ist doch die Gemeinschaft. Für eine wachsende Anzahl von Menschen wird ein Festessen zu einem handfesten finanziellen Problem. Wir erleben zum Beispiel bei den Tafeln, wie immer mehr Menschen auf Unterstützung angewiesen sind. Bei diesen Hilfsangeboten wird sehr deutlich, wie die Energiekrise und die Inflation die Gesellschaft treffen.
Müssen Sie sich, Frau Bischöfin, Weihnachten in den kalten Kirchen warm anziehen? Schließlich wird aus Energiegründen gespart.
Fehrs: Ich trage ein doppelt geschichtetes Ornat. Das ist bei 30 Grad plus eine Herausforderung, in der Kälte aber sehr nützlich. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Menschen in dem zehn Grad kühlen Lübecker Dom so weit es geht in den Bänken zusammenrücken. Da wird jeder im wahrsten Sinne zur Wärmequelle. Und gleichzeitig ist das eine symbolische Beschreibung: Jeder Mensch kann Wärme schenken und Herzlichkeit und damit auch sozial den Zusammenhalt stärken.
Was müssen Gottesdienstbesucher beachten, wenn Sie kaum geheizte Kirchen besuchen? Dürfen sie eine Kopfbedeckung tragen?
Fehrs: Ich würde die Situation nicht dramatisieren. Der Wetterbericht sagt für Heiligabend relativ warme Temperaturen voraus, und die Kirchen waren auch in den vergangenen Jahren nicht auf Wohnzimmerniveau geheizt. Gerade kleinere Kirchen werden schnell warm, wenn sich viele Menschen darin aufhalten. Und wir dürfen nicht vergessen: Im vergangenen Jahr haben wir noch viele Gottesdienste draußen gefeiert, und das ging ja auch.
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Wie läuft Weihnachten bei Ihnen ab?
Fehrs: Ich predige am Heiligen Abend um 16 Uhr im Hamburger Michel, davor bin ich am Vormittag in einer Tagesaufenthaltsstätte für Obdachlose. Das ist auch deshalb stark berührend, weil es Menschen gibt, die aufgrund der Pandemie obdachlos geworden sind. Am 1. Weihnachtstag geht es weiter für mich mit der Predigt im Lübecker Dom.
Und wie feiern Sie privat?
Fehrs: Da mein Mann und ich arbeiten, konzentriert sich unser Zusammensein in der Familie auf den Abend des Ersten Weihnachtstages. Da versammeln wir uns an einer wunderschönen peruanischen Weihnachtskrippe.
Worauf freuen Sie sich im Jahr 2023?
Fehrs: Auf den nächsten Kirchentag im Juni in Nürnberg als lebendiges Glaubensfest. Und ja, ich freue mich, dass endlich die Last der Corona-Pandemie hinter uns liegt und wir uns als Menschen wieder unbefangener begegnen können.