Hamburg. Wie Briten und Deutsche gemeinsam die Versöhnung suchten. Es begann 1940 mit einem Nagelkreuz. Und die Bewegung geht heute weiter.
Tödliche Luftangriffe auf die britische Stadt Coventry und ein verheerender „Feuersturm“ über Hamburg: Im Zweiten Weltkrieg kam es zu schweren Luftschlachten gegen die Zivilbevölkerung. Die Nazis bombardierten Coventry im Jahr 1940. Und anglo-amerikanische Bomber zerstörten weite Teile Hamburgs im Juli 1943. In der Hansestadt starben damals rund 30.000 Menschen. In Coventry mehr als 550. Aufgrund des hohen Zerstörungsgrades erfand der NS-Propagandaminister Joseph Goebbels den Begriff „coventrieren“ für die Vernichtung einer Stadt aus der Luft.
Bombenkrieg: Aus dem Luftterror gegen England wurde Versöhnungsarbeit
In den Trümmern der zerstörten mittelalterlichen Kathedrale von Coventry fand damals Steinmetz Jock Forbes zwei verkohlte Dachbalken, die in Form eines Kreuzes aufeinander gefallen waren. Er band sie zusammen und stellte sie in der Ruine auf. Später wurde aus drei Zimmermannsnägeln des Dachbalkens ein christliches Kreuz gefertigt - das so genannte Nagelkreuz. Das war mehr als Symbolik, sondern der Beginn tatsächlicher Versöhnungsarbeit zwischen Deutschland und Großbritannien auf der Basis des christlichen Glaubens. Diese Aufgabe übernahm die Internationale Nagelkreuzgemeinschaft.
An diesem Wochenende setzt die Internationale Nagelkreuzgemeinschaft mit Zentren unter anderem in Russland, Kuba, Neuseeland und Namibia in Hamburg ein neues Zeichen: Am Sonntag findet in einem feierlichen Gottesdienst in der Hauptkirche St. Katharinen die Aufnahme der fünf Hamburger Hauptkirchen in diese Gemeinschaft und die Übergabe der Nagelkreuze statt.
Bombenkrieg 1943: Auch die fünf Hamburger Hauptkirchen wurden angegriffen
„Jede dieser Kirchen wurde im Krieg durch Luftangriffe zerstört. Aus dieser Geschichte heraus sind sie dem christlichen Friedenszeugnis in besonderer Weise verpflichtet und mit der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kathedrale in Coventry verbunden“, sagt Propst Martin Vetter, Hauptpastor an der Hauptkirche St. Nikolai am Klosterstern. Daraus erwachse für jede Kirche ein friedensethisches Engagement. „Es leitet sich aus der Friedensbotschaft des Evangeliums her: Christus ist unser Friede (Eph 2,14).“
Einige der Gemeinden verbindet bereits eine längere Geschichte mit Friedens- und Versöhnungsbewegung des Nagelkreuzes. St. Katharinen, das Gotteshaus in unmittelbarer Nähe der weltberühmten Speicherstadt, erhielt 1961 von der Kathedrale in Coventry ein Nagelkreuz. Seit Mitte der 1990er Jahren ist das Mahnmal St. Nikolai am Hopfenmarkt Teil der Nagelkreuzbewegung. „St. Nikolai am Klosterstern unterzeichnete 1995 eine bilaterale Deklaration mit Vertretern der Kathedrale von Coventry. Der anglikanische Pfarrer und Friedensaktivist Paul Oestreicher, Leiter des Versöhnungszentrums in Coventry, überreichte der Gemeinde 1995 ein Nagelkreuz“, sagt Martin Vetter. Nun tritt St. Nikolai offiziell der Nagelkreuzgemeinschaft bei, um die Friedensarbeit – auch in Zusammenarbeit mit dem Mahnmal – zu intensivieren.
Neu ist, dass nun auch die drei Hauptkirchen St. Jakobi, St. Petri und der Hamburger Michel ein Nagelkreuz erhalten und der Bewegung beitreten. Allen Hauptkirchen ist gemeinsam, dass sie sich für Frieden und Versöhnung einsetzen. So gibt es in St. Jacobi regelmäßig Gottesdienste für Kriminalitätsopfer, in St. Katharinen Politische Nachtgebete, in St. Michaelis Mittagsgebete am Freitag mit der Coventry-Litanei und in St. Petri einen Mittagstisch für bedürftige Menschen.
Mahnmal St. Nikolai: Als König Charles das Mahnmal besuchte
St. Nikolai am Klosterstern ist als Kirchengemeinde Eigentümerin des beim „Feuersturm“ beschädigten Kirchturms am Hopfenmarkt. Es besteht eine Kooperation mit dem Förderkreis Mahnmal St. Nikolai durch regelmäßige Andachten, zum Beispiel beim Besuch von King Charles 2023, der im Beisein des Bundespräsidenten und Ersten Bürgermeisters einen Kranz für die Opfer des alliierten Luftangriffs auf Hamburg niederlegte. Der Kirchturm, mit 147,30 Metern einst der höchste der Welt, hatte den anglo-amerikanischen Bomberpiloten bei ihren Angriffen als Orientierungspunkt gedient.
Die evangelischen Christen mussten nach der Zerstörung ihres Gotteshauses eine neue Bleibe suchen. Sie fanden ihre religiöse Heimat in Harvestehude. Dort entstand 1962 am Klosterstern die neue Hauptkirche. Martin Vetter: „Die Verbindung zu Coventry ist für St. Nikolai die eigene Herkunft, denn die Zerstörung von Alt-St. Nikolai im Zweiten Weltkrieg prägte maßgeblich das Geschick unserer heutigen Hauptkirchengemeinde am Klosterstern.“
Hamburger Hauptkirchen setzen sich für Frieden und Versöhnung ein
Den Auftakt zur gemeinsamen Aufnahme aller fünf Hamburger Hauptkirchen in die Internationale Nagelkreuzgemeinschaft bildet der Freitagabend in der Hauptkirche St. Nikolai: Um 18 Uhr lädt die Gemeinde zum Abendgebet unter dem Thema „Erinnern statt vergessen“ ein. Die Andacht zum Gedenken an die Novemberpogrome 1938 wird mit den Mitgliedern des Arbeitskreises Stolpersteine und Jüdisches Leben, Hauptpastor und Propst Martin Vetter, Pastorin Maren Schack, Pastorin Corinna Senf und Teilnehmern des org_art_lab und Prof. Franz Danksagmüller gestaltet. Anschließend hält Reverend Mary Gregory, Canon for Arts and Reconciliation in Coventry Cathedral, um 19 Uhr einen Vortrag über die „Arbeit für Frieden und Versöhnung in Coventry und weltweit“.
Am Sonnabend findet ein Pilgerweg zu den Hauptkirchen und dem Mahnmal St. Nikolai statt. Er beginnt um 9.20 Uhr mit einer Andacht in St. Jacobi und führt von dort aus weiter über St. Petri, St. Michaelis, das Mahnmal St. Nikolai nach St. Katharinen. Am Sonntag, 11 Uhr, folgt dann im Gottesdienst in der Hauptkirche St. Katharinen die Aufnahme in die internationale Nagelkreuzgemeinschaft mit Übergabe der Nagelkreuze. Die Predigt hält Reverend Canon Mary Gregory. Gemeinsam mit Oliver Schuegraf, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schaumburg-Lippe und Vorsitzender der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland, wird sie die Nagelkreuze übergeben. Die Kantorei St. Katharinen gestaltet den Gottesdienst musikalisch.