Hamburg. Wie das christliche Kinder- und Jugendwerk Heranwachsende aus sozial benachteiligten Familien mit dem „Mutmacher“-Programm fördert.

Wie oft sie diesen Weg gegangen ist, weiß Emma Baafour nicht. Es waren unzählige Male. 700 Meter von ihrem Zuhause in Jenfeld bis zur Arche, dem Kinder- und Jugendzentrum direkt neben der Jenfelder Friedenskirche, und wieder zurück.

Beim ersten Mal ging die Hamburgerin noch zur Grundschule und fand schnell in der Arche ein zweites Zuhause. Mit kostenlosem Mittagessen, Nachhilfe und viel menschlicher Wärme. Sie blieb dort bis zum Abitur.

Arche in Hamburg-Jenfeld: 700 Jugendliche absolvierten das „Mutmacher“-Programm

Jetzt ist sie 23 Jahre alt und frisch gebackene Hochschulabsolventin mit einem Bachelor für Praktische Theologie und Soziale Arbeit in der Tasche. Nach dem Studium an der Evangelischen Hochschule Tabor in Marburg führen ihre Wege wieder in die „Arche“ zurück.

Nun aber ist sie keine Jugendlich mehr, die etwas Gutes empfängt, sondern eine pädagogische Mitarbeiterin, die etwas für andere gibt: Liebe, Leidenschaft und Kompetenzen für Mädchen und Jungen im Alter von fünf bis 19 Jahren, die hier genauso professionell betreut werden wie Emma damals. „Hier“, sagt sie, „sind die Kinder und Jugendlichen wirklich sehr gut aufgehoben. Und sie bekommen Perspektiven für ihr Leben. So wie ich sie bekam.“

Tobias Lucht arbeitet als leitender Sozialpädagoge bei der „Arche“ in Hamburg.
Tobias Lucht arbeitet als leitender Sozialpädagoge bei der „Arche“ in Hamburg. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Emma Baafour hatte während ihrer elfjährigen Arche-Zeit eine ganz besondere Einzelförderung erhalten. Vor zehn Jahren startete die nach dem Hungertod der kleinen Jessica 2006 gegründete Einrichtung das Projekt „Mutmacher“. Es ist ein personenspezifisches Mentoren- und Coachingprogramm. „Im Rahmen des individuellen Förderungsprogramms konnten wir in diesen zehn Jahren rund 700 Jugendliche unterstützen, die meisten von ihnen hatten einen Migrationshintergrund“, sagt Tobias Lucht.

Arche in Hamburg-Jenfeld: Die Kinder erleben zu Hause materielle Not

Denn den „Arche“-Mitarbeitern war zunehmend deutlich geworden, dass viele Jugendliche vor unterschiedlichen Herausforderungen stehen. Dazu gehörten enge Wohnverhältnisse, materielle Not, sprachliche und schulische Hürden, fehlende berufliche Perspektiven, belastete Elternhäuser.

So entstand die Idee von „Mutmacher“ – einem Angebot der individuellen Förderung von Teenagern und jungen Erwachsenen. Im modularen Charakter gibt es Angebote in den Bereichen „außerschulische Lernförderung“, „Berufsorientierung“, „Begabtenförderung im kreativen und sportlichen Bereich“ und „Hilfe in Lebenskrisen“.

Arche Jenfeld: Sport, Spiel und ein Training gegen Gewalt.
Arche Jenfeld: Sport, Spiel und ein Training gegen Gewalt. © HA / A.Laible | Andreas Laible

Dabei helfen haupt- und ehrenamtliche Mutmacher mit. „Jährlich schaffen auf diese Weise mindestens 50 Jugendliche ihren Schulabschluss und finden in eine berufliche Perspektive“, sagt Tobias Lucht.

Emma überzeugte mit Poetry-Slam-Auftritt bei der Arche in Jenfeld

Emma, deren Eltern aus Ghana stammen und seit vielen Jahren in Hamburg als Reinigungskräfte arbeiten, gehört dazu. „Ich bekam unter anderem Nachhilfe in Mathematik und Deutsch und wurde musikalisch gefördert“, erzählt sie. Tobias Lucht erinnert sich noch gut daran, wie Emma mit ihren Poetry-Slam-Auftritten überzeugte. Sie habe sich mit ihrer ansteckenden Fröhlichkeit sehr gut in die Gruppen eingefügt und sei immer ausgleichend und „diplomatisch unterwegs“ gewesen.

Vor dem Abitur nahm Emma an einem „Lerncamp“ in der Nordheide teil, und beim Coaching zur Berufsfindung wurde ihr schnell klar, dass sie etwas mit sozialer Arbeit machen möchte. Als sie dies sagt, schaut sie Tobias Lucht an. „Du und alle anderen Sozialpädagogen seid mir mit eurer Arbeit zum Vorbild geworden. Meine Motivation war es, eines Tages Mitarbeiterin der Arche zu werden, Jugendliche und junge Erwachsene auf ihrem Weg zu begleiten – wie ihr es tut.“

Während ihres Studiums in Marburg lernte Emma das professionelle Handwerkszeug. Es vermittelte ihr unter anderem die Grundlagen der sozialen Arbeit, gab Einblicke in vielfältige Handlungsfelder (Kinder- und Jugendhilfe, Beratungskontexte wie Sucht- oder Migrationsberatung, Arbeit mit straffälligen, wohnungslosen, geflüchteten Menschen), Bibelkunde des Alten und Neuen Testaments, Systematische Theologie, Gebet, Gemeindeentwicklung sowie Medienkompetenz.

Boston Consulting Group ermittelte für Arche die Sozialrendite

Besondere Freude habe ihr im Fach Neues Testament die Lektüre des Matthäusevangeliums bereitet: „So konnte ich mir vorstellen, was es bedeutet, Jesus nachzufolgen.“ Emma engagiert sich inzwischen in einer Hamburger freikirchlichen Gemeinde und will auch in der Arche von Gottes Liebe erzählen. Vielleicht, so hofft sie, wird sie eines Tages selbst als Mutmacherin in dem christlichen Hilfswerk arbeiten und als Coach jungen Menschen mit Rat und Tat zur Seite stehen.

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Eine Studie der Boston Consulting Group hat die Wirksamkeit des „Mutmacher“-Projekts untersucht und einen speziellen Index ermittelt: die Sozialrendite. Der sogenannte Social Return on Investment beschreibt den ökonomischen Nutzen einer Intervention für die Gesellschaft.

„Die Sozialrendite wird bewertet, indem man das Verhältnis des sozialen Mehrwerts zu den Investitionen ableitet“, heißt es in der Studie über das „Mutmacher“-Projekt. „Addiert man die Erträge der drei monetär bewerteten Bereiche Bildung, Engagement und Gesundheit, kommt man auf 121.000 Euro je Teilnehmer. Der Finanzierungsbedarf beläuft sich auf 6000 Euro pro Jugendlichem. Daraus ergibt sich eine Sozialrendite in Höhe von 20 Euro für jeden Euro, der in das Mutmacher-Projekt investiert wird.“ Nicht schlecht!

Das ist das Profil der 2006 gegründete Arche in Jenfeld

Seit Januar 2006 gibt es die Arche in Hamburg-Jenfeld. Täglich besuchen 80 bis 120 Kinder zwischen fünf und 13 Jahren den offenen Kinderbereich. Dort erhalten sie ein kostenfreies warmes Mittagessen und zweimal wöchentlich ein Abendessen, das mit den Kindern gemeinsam vorbereitet wird. Zu den Angeboten gehören außerdem Hausaufgabenhilfe, Nachhilfe, Fußball, Tischtennis, Basteln, Instrumentalunterricht, Tanzen, ein kleiner Chor und vieles mehr.

„Unseren Jugendbereich besuchen täglich 50 bis 70 Jugendliche im Alter von 13 bis 19 Jahren“, sagt Tobias Lucht. „Neben einem warmen Essen am Abend und Freizeitangeboten unterstützen wir Jugendliche aktiv in den Bereichen Schule, Berufsorientierung und Persönlichkeitsentwicklung.“ Der Jugendbereich wird in Kooperation mit der evangelisch-lutherischen Friedenskirche Jenfeld geführt.

Thies Hagge, Pastor der Friedenskirche, rief nach dem Hungertod der sieben Jahre alten Jessica in Jenfeld die „Arche“ ins Leben.
Thies Hagge, Pastor der Friedenskirche, rief nach dem Hungertod der sieben Jahre alten Jessica in Jenfeld die „Arche“ ins Leben. © Bertold Fabricius | Bertold Fabricius

Das zehnjährige Bestehen des „Mutmacher“-Projekts feierte die „Arche“ kürzlich mit einem Fest. Die Wandsbeker CDU-Bundestagsabgeordnete Franziska Hoppermann schickte eine Videobotschaft: „Herzlichen Glückwunsch zu zehn Jahren Mutmachen, liebes Arche-Team. Wie wichtig es ist, Teens auf ihrem Weg ins Leben zu begleiten, habt ihr uns in den vergangenen Jahren gezeigt.“

Emma Baafour jedenfalls freut sich über ihren Job bei der Arche. Sie würde sich gern auf die Suchtberatung spezialisieren oder am liebsten selbst als professionelle „Mutmacherin“ arbeiten. Denn das Projekt soll weiter ausgebaut werden. Auch in den Archen Billstedt und Harburg sollen demnächst Mutmacher mithelfen.