Hamburg. Runter vom Sofa und rauf auf die Hühnerleiter: Die Sport-Initiative „Hamburg bewegt Kids“ hält Mädchen und Jungen auf Trab.

Schuhe aus, Strümpfe aus. Schnell folgen die Mädchen und Jungen in der Kita SterniPark Berner Heerweg der freundlichen Aufforderung von Kids-Coach Jane Saftig. Denn endlich können sie wieder den lichtdurchfluteten, gut 50 Quadratmeter großen „Bewegungsraum“ betreten. Er befindet sich unmittelbar neben dem Kita-Raum „Ronja Räubertochter“, und dieser wiederum ist nicht weit entfernt vom Raum „Michel aus Lönneberga“. Die Kita, in der die Kids nach Lust und Laune herumtollen, will so kunterbunt und quicklebendig sein wie das legendäre „Bullerbü“ in Astrid Lindgrens Kinderbuch.

Bereits von außen erinnert die SterniPark-Kita mit ihrem rot gestrichenen, denkmalgeschützten Altbau, dem früheren Ortsamt für Farmsen-Berne, und der grünen Wiese auf dem Gelände draußen ein bisschen die schwedische Ostseeinsel Gotland, wo noch heute die Villa Kunterbunt zu bewundern ist.

Die Kids-Coaches Jane Saftig (l.) und Lidija Bonic Niezie haben einen Bewegungsparcours aufgebaut für die Gruppe.
Die Kids-Coaches Jane Saftig (l.) und Lidija Bonic Niezie haben einen Bewegungsparcours aufgebaut für die Gruppe. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

SterniPark-Kita: Aus dem Lautsprecher erklingt der Song von Reel 2 Real

Kids-Coach Jane Saftig von „Hamburg bewegt Kids“ begrüßt an diesem grauen Herbsttag die neun Kinder der ersten Bewegungsgruppe. „Wir haben für euch einen Parcours aufgebaut“, sagt Jane und es geht los. Die Kids kennen es aus Erfahrung, dass vor ihnen nun im blitzblanken Bewegungsraum eine Strecke mit einzelnen, mehrfarbigen Hindernissen steht, die sie ganz entspannt und ohne jeden Leistungsdruck meistern können.

Erst müssen sie ein Hühnerleiter-Rutschbrett überwinden, dann durch einen grünen Schaumstofftunnel robben, gleich danach über Schaumstoff-Elemente mit unterschiedlichen Strukturen balancieren, um barfüßig die Unterschiede zu erleben. Am Ende werfen sie kleine Bälle auf eine schwarz-weiß-karierte Zahlenwand. Getroffen! Julia und Julian, vier Jahre alte Zwillinge, strahlen vor Freude. Dazu erklingt der passende Hit „I Like To Move It“ aus dem Lautsprecher.  Es ist ein Song des US-amerikanischen Hip-House-Duos Reel 2 Real.

Es macht Spaß, durch Tunnel zu kriechen – danach geht es zur Balanceübung auf die runden Felder.
Es macht Spaß, durch Tunnel zu kriechen – danach geht es zur Balanceübung auf die runden Felder. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Wir bewegen Kids: So ist die Idee in Hamburg entstanden

Die jeweils 30 Minuten lange Bewegungseinheit in der Kita mit ihren insgesamt 220 Kindern – rund 80 Prozent haben Migrationshintergrund – wird durch eine Kooperation zwischen SterniPark, Hamburgs größtem, freien Kita-Träger, und der Initiative „Wir bewegen Kids“ gGmbH mit Sitz in der Hansestadt ermöglicht. Der Unternehmer Christopher Garbe hatte das Projekt 2021 zusammen mit Bernhard Peters gegründet. Beide sind sportbegeistert und bringen langjährige Erfahrungen im Nachwuchssport und in der Talententwicklung mit. Der Name der Initiative ist Programm: Sie will Kinder regelmäßig in Bewegung bringen. „Mit unseren Bewegungsangeboten in den Hamburger Stadtteilen Farmsen-Berne, Billstedt und Jenfeld erreichen wir wöchentlich 1000 Kinder in über 21 Einrichtungen – Kitas, Grundschulen und anderen sozialen Einrichtungen wie der Arche.

Projekt „Wir bewegen Kids“ will Kultur der Bewegungsfreude schaffen

Weitere Stadtteile mit Kitas und Grundschulen sollen folgen, langfristig sind auch andere Städte angedacht“, sagt Franziska Underberg, Sprecherin der Initiative, die auch „Hamburg bewegt Kids“ genannt wird. Gemeinsam mit den Projektpartnern soll so Mädchen und Jungen der Zugang zu mehr Bewegung und Sport ermöglicht werden, ungeachtet sozialer Einflussfaktoren. Und dabei eine Kultur geschaffen werden, die Bewegungsfreude und Bewegungsvielfalt wieder fest in den Alltag der Kinder integriert. „Denn Kinder haben einen natürlichen Bewegungsdrang, den wir mit unseren Sportangeboten aufgreifen. Wir brauchen in vielen Hamburger Kitas und Grundschulen bessere und vor allem mehr bewegungsorientierte Betreuung, denn die meisten Kinder bewegen sich leider zu wenig.“

Balancieren ist wichtig, um den Gleichgewichtssinn zu trainieren.
Balancieren ist wichtig, um den Gleichgewichtssinn zu trainieren. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Bewegungsmangel: In Hamburg leben immer mehr übergewichtige Kinder

Zahlreiche Studien und Statistiken belegen das. „Bewegungsmangel ist die Epidemie des 21. Jahrhunderts. Rund 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen bewegen sich kaum noch.“ So beschreibt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Lage in Deutschland und anderen entwickelten Ländern. Diese Befunde lassen sich auch auf die in Hamburg lebenden Kinder und Jugendlichen übertragen und werden durch aktuelle Studien belegt. Die AOK-Familienstudie zum Beispiel hatte 2022 herausgefunden, dass der Anteil der Kinder, die sich täglich viel bewegen, im Vergleich zu 2018 zwar leicht gestiegen ist, doch ein Großteil der Kinder erfülle weiterhin nicht die Empfehlungen der Fachgesellschaften.

Mit erheblichen Folgen für die körperliche und seelische Gesundheit. So ist einer Studie der Barmer Krankenkasse zufolge der Anteil der Kinder mit der Diagnose Adipositas im Alter von bis zu neun Jahren in Hamburg im Zeitraum von 2013 bis 2022 um 25,6 Prozent gestiegen. Damit liegt die Hansestadt auf einem höheren Niveau als der Bundesdurchschnitt. In absoluten Zahlen galten in Hamburg 2022 rund 5000 Kinder als adipös.

SterniPark-Geschäftsführerin Leila Moysich: „Kinder haben einen natürlichen Bewegungsdrang, dem sie in der Stadt viel zu wenig nachkommen können. Nicht alle Eltern haben die Möglichkeit, einen Sportverein oder andere Bewegungsaktivitäten finanzieren zu können, deshalb ist es für SterniPark wichtig, dass jedes Kind die gleichen Startchancen hat.“

Kita SterniPark in Hamburg-Berne: Hier nahm das Projekt seinen Anfang

Bärbel Bieri ist Kita-Leiterin bei SterniPark und beobachtet seit Jahren, dass einige Kinder gerade nach dem Wochenende einen großen Bewegungsdrang haben: „Dem versuchen wir nachzukommen, mit unserem großzügigen Außengelände, einem eigenen Bewegungsraum und Schwimmunterricht in unseren trägereigenen Lehrschwimmbecken.“ Um Sport und die Freude an Bewegung noch mehr in den Alltag der Kinder zu holen, folgte Bärbel Bieri zusätzlich dem Aufruf der Initiative. Und so kam es, dass die Kita am Berner Heerweg 162 zum Pilotprojekt der Initiative wurde. „Bereits seit September 2021 haben wir die Kooperation mit ‚Hamburg bewegt Kids‘“, sagt Bärbel Bieri. Heute kommt die Initiative zweimal wöchentlich, montags und donnerstags, in die Kita. „Die Coaches schulen unsere Kita-Mitarbeiter in Sportfortbildungen und bieten den Kindern ein breites Bewegungsangebot: vom Geräte-Parcours und Gleichgewichtstraining bis zu Musik- und Tanzspielen.“

Neun Kita-Kinder sind in der Bewegungsgruppe. SterniPark bezahlt als Träger das Programm, nur in der Anfangsphase war es kostenlos.
Neun Kita-Kinder sind in der Bewegungsgruppe. SterniPark bezahlt als Träger das Programm, nur in der Anfangsphase war es kostenlos. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

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Die Kids-Coaches Jane Saftig und Lidija Bonic Niezie berichten, welche Effekte die regelmäßigen Kurse mit sich bringen. Ein Mädchen, nennen wir es Fatma, vier Jahre alt, hat in der Kita fast nie gesprochen. Meist schweigend nahm es am Alltag teil. Doch dann kam bei einem Kurs vor wenigen Wochen die große Wende: Die Kinder spielten das Bewegungsspiel „Ente, Ente, Gans.“ Fatma machte mit – und „plötzlich“, erinnert sich Jane Saftig „wiederholte sie laut die Worte Ente, Ente, Gans nach – mit Freude.“

Und Kita-Leiterin Bärbel Bieri ergänzt: „Was bei allen Kindern zu beobachten ist, dass sie nach dem Kurs deutlich entspannter sind und mehr Lust auf Bewegung haben.“ Genauso soll es sein, wenn Hamburg Kids bewegt: Was die Lütten in Bullerbü lernen, ist der Startschuss in ein aktives, bewegtes Leben.

Spendenkonto:

Wir bewegen Kids gemeinnützige GmbH
Stichwort: Hamburger Abendblatt / Hamburg bewegt Kids
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